Die bleiche Königin

[290] 1.

Es schlummert König Knut der Greis,

Sein Atem fiebernd geht:

Zu seinen Häupten lilienweiß

Seine junge Königin steht.


Den Heilkelch hält die rechte Hand,

Sie hält ihn abwärts schwank:

Es fallen auf des Estrichs Sand

Die Tropfen von dem Trank.


Die Linke preßt, so dicht sie kann,

Die braunen Augen beid'. –

Sie weint: – ist's um den alten Mann? –

Ist's um ein eigen Leid?


Der Greis erwacht – er blickt sie an: –

Sie sieht es nicht vor Weh:

Er denkt: noch nie hat wohlgetan,

Wer Rosen barg in Schnee. –
[290]

Da hebt sich Lärm in Hof und Flur,

Sein Feldherr stürzt daher,

Das Haupt verbunden, mühsam nur

Hält aufrecht ihn der Speer:


»Stirb, Norwegs König, stirb vor Weh, –

Der Tod ist dir Gewinn, –

Wir sind besiegt zu Land und See!« –

Und rasselnd stürzt er hin.


Und Tostig folgt, sein Bruderssohn, –

Blut zeichnet seinen Pfad: –

»Weh', Oheim, dir, und Norwegs Kron': –

Denn Erich Blutaxt naht.


Dein Heer zerstreut wie Laub vom Sturm

Die Schiffe sind verbrannt,

Schon pocht an deinen Königsturm

Wie Donner seine Hand.


Durch Schwert und Schild und Brünne schlug

Sein Beil mir bis ins Mark,

Für Menschen bin ich Mann's genug, –

Den macht die Hölle stark.«


»So muß ich,« rief der alte Mann,

»Den Wiking selbst bestehn,

Auf, legt mir Helm und Harnisch an

Und stützet mich im Gehn.«


Er spricht's und richtet sich empor,

Und sinkt in Ohnmacht hin: –

Da schreitet langsam zu dem Tor

Die junge Königin.
[291]

Jarl Tostig ruft: »Wie? hemmst wohl du

Des Unholds Siegeslauf?«

»Ich will's versuchen!« – sprach in Ruh'

Die Königin darauf. – –


2.

Im Garten rauscht der Brunnen sacht, –

Es flüstern Busch und Baum: –

Ein Duft schwebt durch die Mondennacht

Süß wie ein Liebestraum. –


Der Sprosser lockt mit leisem Schlag,

Bis jede Rose wacht,

Und tausend Blumen, spröd' am Tag,

Erschließt der Kuß der Nacht.


Die Schwäne ziehen still im Teich,

Der Südwind atmet lau

Und koset Stirn und Wange weich

Der schönen bleichen Frau.


Sie lehnt und lauscht: – es biegt ihr Arm

Zurück den Geißblattstrauch:

In ihre Seele flutet warm

Der duft'gen Blüte Hauch.


Da knarrt die schmale Gartentür

Und mächtig pocht ihr Herz,

Und klirrend tritt ein Mann herfür

Gleich einem Gott von Erz.


Auf seinem Helme sträubt sich wild

Ein Adlerflügelpaar,

Auf seine Schultern nieder quillt

Das prächtig schwarze Haar.
[292]

»Herr Tostig« – ruft er – »seid Ihr, sprecht,

Zum Kampf schon wieder heil?

Habt acht, nicht immer trifft so schlecht,

Wie's gestern traf, mein Beil.


Ihr rieft mich her – ich bin bereit« –

Da rauscht es im Gesträuch: –

Die Kön'gin haucht: »Die List verzeiht,

Ich hab' entboten Euch.«


Und Erich zuckt, sein Auge rollt, –

Starr blickt er vor sich hin, –

»Was ist's, das Ihr vom Wiking wollt,

König Kanuts Königin?«


»O Erich Goldmund, höre mich« –

»Mein Nam' ist umgetauft!

In Strömen Blutes längst hab' ich

Viel schönern mir erkauft!«


»O glaube mir« – »Dir glaub' ich nichts!

Ich glaubte dir genug,

Du redest wie ein Geist des Lichts

Und jedes Wort ist Trug.«


»O weißt du noch« – »Wohl weiß ich's noch,

Du sprachst von Liebe heiß,

Du sprachst so treu und logest doch: –

Gib acht, ob ich's noch weiß.


Ich seh' ein Schloß auf Schwedens Höhn,

Wie hier einen Garten grün,

Und die Königstochter wunderschön,

Eine Rosenknospe, blühn:
[293]

Die Brunnen rauschen – auf leiser Spur

Zieht der Schwan im Mondenlicht,

Das Königskind tauscht Kuß und Schwur

Mit einem Knappen schlicht.


Der sang ihr süßer Lieder viel, –

Den Goldmund hieß man ihn.

Er aber ließ sein Saitenspiel,

Ein Held hinauszuziehn.


Er schwur: »Ich bau' mit Schwert und Speer

Mir auch ein Königreich,

Dann hol' ich dich, kein Knappe mehr,

Nein, deinem Vater gleich.«


Er schwur's und ging und hielt sein Wort:

Ein Reich schuf ihm sein Stahl,

Und als er heimkam, – war sie fort,

Und König Knuts Gemahl!


Da lacht' er grimmig, wie der Sturm,

Wann er das Meer zerstiebt,

In seiner Brust, wie einen Wurm,

Zertrat er, was er liebt';


Und sprang in Kampfblut knöcheltief,

Warf Gnad' und Milde weg,

Und weit durch alle Lande lief

Seines neuen Namens Schreck.


Der Rache schwur er nun sein Wort

Und brach durch Meer und Land

Sich blut'gen Weg durch Schutt und Mord,

Bis er sein Treulieb fand.
[294]

Und jetzt, den Sieg in seiner Hand,

Frägt er das Eine nur:

Wohin, wohin die Treue schwand,

Die sie dereinst ihm schwur?«


Sie aber sprach: »Ihr Vater starb: –

Der Däne trug den Tod

Drei Jahr durchs Land, – ihr Reich verdarb,

Ihr Volk verging in Not.


Kein Retter rings, bis König Knut

Bot' Hilf' und Hand zumal: –

Ihr Volk verging in Krieg und Blut: –

So ward sie Knuts Gemahl:


So nahm sie Norwegs Diadem;

Da war ihr Glück dahin: –

Die Menschen heißen sie seitdem

Die bleiche Königin.


Am Tage lebt sie ihrer Pflicht

Und niemals klagt ihr Mund,

Doch Gott und seiner Sterne Licht

Sind ihre Nächte kund.


Willst du nun Rache, zieh' den Stahl

Und tauch' ihn in dies Herz

Und sei bedankt viel tausendmal, –

Du lösest mich vom Schmerz.


Doch scheue des Greises Silberhaar,

Er ist edel, mild und gut,

Und heilig, wer zur Totenbahr'

Die letzten Schritte tut.«
[295]

»Er hat mir all' mein Glück geraubt,

Deine Hand, meines Lebens Licht«: –

Da flüsternd senket sie das Haupt:

»Doch meine Seele nicht!«


»Die Seele nicht! So folge mir

O folge mir, mein Glück:

Und selig, selig kehret dir

Die alte Zeit zurück.


Ich trage dich an Schiffes Bord –

Ha, wie mein Herz erglüht! –

Die günst'ge Welle trägt uns fort

Zum wunderschönen Süd.


Dort ragt mir hoch ein Königsschloß,

Von Marmor glänzt es hehr,

Im stillen Eiland Tenedos

Im blauen Griechenmeer.


Durch Säulenhallen zauberschön

Der Tag dort goldner quillt:

Dich stell' ich auf die Tempelhöhn

Als schönstes Götterbild.


Das Land ein Blütengarten weit,

Der Himmel ewig klar,

O komm, auflebt die Jugendzeit

Und jeder Traum wird wahr.


O komm, in Rosen schönster Glut

Soll wieder blühn dein Leib.« –

»Halt' ein, du sprichst in Fieberwut

Zu König Kanuts Weib.«
[296]

»Sein Weib! Doch nicht für immerdar!

Ich weiß, du liebst mich noch:

Leb' wohl, und sei's nach manchem Jahr, –

Ich seh' dich wieder doch.«


Er geht: – sie kehrt zum Schlosse leis,

Wo sie den König fand

Und legt auf seine Stirne heiß

Die schmale, weiße Hand.


3.

Und als die Morgensonne hell

Aufs Pfühl des Kranken schien,

Da trat herein Jarl Tostig schnell:

»Herr König, Heil, sie fliehn!


Kein Schiff zur See, kein Zelt am Strand,

Hier war ein Wunder nah!«

Da nahm der König ihre Hand:

»Ich weiß, wie das geschah.


Ein Engel Gottes lilienweiß

Hielt vor mich seinen Schild,

In Ehren stirbt der müde Greis: –

Ich danke dir, Swanhild.


Und wann ich nun gestorben bin

Und im Lenzwind rauscht die See,

Dann blühn, du bleiche Königin,

Die Rosen aus dem Schnee.«

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 290-297.
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