Harpa

[255] Nicht trotze mir länger, verträumtes Kind« –

– Frau Grimtrud sprach's mit Zorne –

»Meine Wefa webt, meine Spinna spinnt,

Dem Weib wob Arbeit die Norne.


Du aber, obzwar mein Stiefkind nur,

Nicht mühst du die Hand mir im Hause:

Du verfolgst nur am Himmel der Wolken Spur

Und den Adler im Sturmgebrause.
[255]

Du verträumst mit den Sternen die schweigende Nacht,

Mit den Wogen der Brandung die Tage:

In die klingenden Saiten der Harfe mit Macht

Schlägst Trotz du, Sehnen und Klage.


Und seit der Wandrer hier eingekehrt

Mit dem Windhut und Mantel, dem blauen,

Der dir Runen geritzt und dich Lieder gelehrt –:

Zu dem Zorne gesellt sich mir Grauen.


Von den Knechten lass' ich die Stufen zum Turm

Mit Schilden und Speeren verrammen,

So – steigt er zu dir nicht aus Wolken im Sturm –

Nie flüstert ihr fürder zusammen.


Mit Hunden hetz' ich vom Hof ihn mit Harm,

Wagt heran sich der Wallende wieder:

Du aber, gehäuft von der Sohle zum Arm,

Hier den Flachsberg spinne mir nieder.


Und hast den Flachs nicht gesponnen du,

Bis die Sonne versinkt in Gluten, –

So werf' ich dich selbst und die Harfe dazu

Hier vom Turm in die brandenden Fluten!«


Frau Grimtrud sprach's und ließ sie allein

Mit dem Flachs, dem hoch gehäuften:

Auf den weißen Arm, in das Werk hinein,

Die bitteren Tränen ihr träuften.


Zur Seite schob sie das Harfenspiel

Und die Spule nahm sie zu Händen:

»Das Werk ist widrig, des Flachses viel,

Doch gehorsam will ich's vollenden.«
[256]

Und sie näßte den Faden und zog und spann,

Bis die Finger blutend sie stachen,

Ob auch Himmel und Meer ihr zu sprechen begann

In geheimen, verwirrenden Sprachen.


Es rauschten die Winde manch' leises Wort

Und die Wellen manch' lockende Weise –

Mit der Rechten spann sie getreulich fort –:

Nur die Linke fingerte leise.


Da kam geflogen ein Feldvöglein,

Ein Hänfling war es, ein brauner:

Der sang vom Fenster zum Turm herein,

Ein berückender, flötender Rauner.


Und er sang von Wald und von Frühlingspracht

Und von lauschig rieselnder Quelle: –

Mit der Linken rührte die Saiten sie sacht –

Doch die Rechte, die spann viel schnelle.


Da rauschten zwei Raben – der Hänfling floh –

Durch die Wolken zog es im Sturme:

Und neben ihr, ernst und geheim und hoh,

Der Wandrer stand in dem Turme.


Da beugte das Haupt sie grüßend tief,

In die Wangen fliegen ihr Lohen:

Wie hastig die Hand an der Spule lief –!

Auf den Flachsberg wies sie, den hohen.


Und der Wegmann strich den gewirrten Bart

Und sprach: »Welch' emsige Hände! –

So mach' ich mich denn auf die Scheidefahrt,

Bevor den Sang ich vollende:
[257]

Bevor wir beide vollenden das Lied,

Ich singend zu deinem Harfen,

Das Lied, wie alles zuletzt geriet,

Als die Nornen die Lose warfen.


Ob der Sieg Asa-Thor, ob dem Midhgardhwurm,

Ob dem Wolf, ob er Odhin gelinge, –

Was kümmert das dich? Im Frauenturm

Hier waltest du nützlicher Dinge.


Ob Odhins herrliche Herrscherschaft

Den dumpfen Riesen erliege,

Was kümmert es dich, wächst, sorglich beschafft,

Nur das Linnen für Brautbett und Wiege.«


Da hemmte die Spule Harpa scharf:

»Willst zornigen Schmerz du mir rühren?

Nicht Brautbett und Wiege sind mir Bedarf: –

Mich verlangt nach dem Tun der Walküren.


Von Odhin zu hören ist all' mein Begehr,

Von dem Tiefen, Gewaltigen, Hohen:

Vollsinge das Lied, vollkünde die Mähr –

Wann in Feuer die Himmel lohen, –


Wann Odhin kämpft und der Höllenhund,

Welch' Schicksal wird ihm tagen?«

»Tot sinkt der Gott auf den flammenden Grund,

Nachdem er den Riesen erschlagen.«


Da warf sie vom Turm mit der Spule das Garn,

In den Wangen zornige Röte:

»Was tust du, was wagst du? Die Feinde harr'n

Und Frau Grimtrud, daß sie dich töte.«
[258]

Doch Harpa rief: »Weh über die Welt!

Was frommt es, um Freude zu werben,

Wenn das Dumpfe siegt, wenn das Hohe fällt?

Laß trotzig uns harfen und sterben.«


Und sie faßte die Harfe und hob sich zum Sprung,

Von dem Hof her nahten die Knechte:

Da griff sie der Wandrer in fliegendem Schwung:

»Heil Harpa, du korest das Rechte.


Vernimm: wann ich, Odhin, der Wanderer, fiel,

Aufleb' ich in höh'rer Walhalle,

Wo du, Harfengöttin, wirst schlagen dein Spiel

Mit unsterblichem Siegesschalle.


Schau dort: durch Gewölk her schimmert Walhall,

Und die Arme, mit grüßendem Freuen,

Streckt Freia und Frigg mit den Himmlischen all'

Dir entgegen, der Göttin, der neuen.«


Und den dunkeln Mantel um die Maid

Schlug er gleich gewaltigen Flügeln,

Und er rauschte mit ihr durch die Wolken weit

Nach Asgardhs goldenen Hügeln.

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 255-259.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Balladen
Balladen Und Lieder (German Edition)

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Musarion. Ein Gedicht in drei Buechern

Musarion. Ein Gedicht in drei Buechern

Nachdem Musarion sich mit ihrem Freund Phanias gestrittet hat, flüchtet sich dieser in sinnenfeindliche Meditation und hängt zwei radikalen philosophischen Lehrern an. Musarion provoziert eine Diskussion zwischen den Philosophen, die in einer Prügelei mündet und Phanias erkennen lässt, dass die beiden »nicht ganz so weise als ihr System sind.«

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon