Lied des gefangenen Königs

[316] Fesseln binden meine Hände:

Ringsum Wächter, Mauern, Erz:

Sehnsucht, Sehnsucht sonder Ende

Trägt hinaus mein krankes Herz.


Dunkle Tannen hör' ich rauschen

Und den Maiwind durch die Nacht,

Wilde Rosen unten lauschen,

Sterne droben gehn in Pracht.


Werd' ich je dahin mich retten,

Wo da Liebe wohnt und Glück,

Oder halten diese Ketten

Bis zum Tode mich zurück?


Sei's denn! bis zum Tode quäle

Diesen Leib der Kerker hier:

Doch zum Himmel frei die Seele

Trägt ein schöner Engel mir.

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 316.
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