Der deutsche Flüchtling

[418] Ich haus' allein im wilden Wald,

Im fernen, fernen Westen;

Den Wolf, den Graubär ungestalt

Hab' einzig ich zu Gästen:

Es nahet mir kein Menschenfuß,

Es grüßet mich kein Freundesgruß: –

Der Sturm pfeift in den Ästen.


Mit Gram seh' ich der Wolken Heer,

Die frei nach Osten streifen:

Die Schwalben, die beneid' ich schwer,

Die heim nach Deutschland schweifen: –

Ich denk', wie, wo der Neckar geht,

Ein Hüttlein dicht in Reben steht,

Dran jetzt die Trauben reifen.


Ich denk', wie nun das Dorf entlang

Sich Kerz' entfacht an Kerzen,

Wie vor der Tür am Wiesenhang

Die blonden Buben scherzen!

Ich denk', wie dort zu dieser Zeit

Die Abendglocke hallet weit: –

Und weh wird mir im Herzen!
[418]

Mein einsam Feuer zünd' ich an,

Schau' in die nächt'ge Ferne: –

Hier bleib' ich stets ein fremder Mann,

Fremd sind mir selbst die Sterne:

O säh' ich nur einzigmal

Mein Vaterhaus im Abendstrahl, –

Ich stürbe – ach wie gerne! –

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 418-419.
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