An die Deutschen

[600] Senket von Sedan die Siegesfahnen,

Senket die Häupter in Scham, Germanen!

»Treue der Deutschen«: – ein Wort der Schande!

Unsere Schmach schreit über die Lande!

Nimmer des Lorbeers, des Ölbaums Reiser

Schirmen das teuere Haupt dem Kaiser!

Heilig dem Fremden dies Angesicht: –

Aber dem Wahn der Deutschen nicht! –


Giftige Fäulnis ergriff dies Geschlecht:

Aber gedenkt, daß der Jugend Recht,

Daß es die Zukunft zu retten gilt!

Hoch erhebet des Rechtes Schild:

Schlagt mit dem Schwert des Kaisers daran

– In der Scheide nur trug es der mildeste Mann! –:

Dröhnend und drohend über das Reich

Schalle der eherne, warnende Streich:

Frevler zu schrecken, Säum'ge zu wecken,

Alle zu mahnen, den Kaiser zu decken!


Wahrlich, ihr deckt mit dem Kaiser zugleich

Nicht nur die Ehre, den Ruhm und das Reich –

Alles, was heilig und edel und teuer:

Bildung und Zucht und des Herdes Feuer![600]

Laßt, ihr verblendeten Brüder, das Zanken!

Fühlt ihr den Boden des Hauses nicht wanken?

Tretet sie aus, die aufzüngelnden Flammen: –

Krachend sonst brechen die Balken zusammen.

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 600-601.
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