Dreizehnter Gesang

[335] Es denke sich, wer was ich nun gewahrte

Recht fassen will (und während ich dann rede,

Halt' er das Bild gleich einem Felsen fest),

Die fünfzehn Sterne, die, ringsum verteilet,

Den Himmel so mit ihrem Glanz erhellen,

Daß sie selbst dickgewebte Luft durchdringen:

Den Wagen denk' er sich, der Tag und Nacht

Genüge hat an unsres Himmels Schoße,

So daß ihn uns nicht birgt der Deichsel Wendung,

Er denke sich die Mündung jenes Hornes,

Das an der Spitze von der Achse anfängt,

Um welche sich das erste Rad bewegt;

Sie alle denk' er zu zwei Himmelszeichen

Vereinigt, ähnlich dem, das Minos' Tochter,

Als sie des Todes Frost empfand, gebildet,

Und so, daß eines in dem andren strahlte,

Und beide sich in solcher Weise drehten,

Daß eines vor, das andre rückwärts ginge.

Dies Bild kann ihm gleich einem Schatten dienen

Des Sterngebildes und des Doppeltanzes,

Der jenen Punkt umkreiste wo ich war.

Als Schatten nur; denn über unsren Brauch

Ist es so weit hinaus, als die Bewegung

Des schnellsten Himmels über die der Chiana.

Dort sang, statt Bacchus man und statt Päanen,

Die göttliche Natur in drei Personen

Und mit der menschlichen geeint zu einer.

Es wandten, als ihr Maß Gesang und Kreisen[335]

Vollendet, sich zu uns die heil'gen Lichter,

Von einer Sorge froh zur andren greifend.

Dann brach das Schweigen der einmüt'gen Geister

Das Licht, aus dem das wunderbare Leben

Des Armen Gottes mir berichtet worden,

Und es begann: Da nun die ersten Garben

Gedroschen sind und eingeheimst die Körner,

Heißt süße Liebe mir den zweiten Ausdrusch.

Du glaubst, daß in die Brust, aus der die Rippe

Entlehnt ward, der entstammt die schöne Wange,

Für deren Gaum so schwer die ganze Welt zahlt,

Und in die andre; die, durchbohrt vom Speere,

So viel genug getan, zuvor wie nachher,

Daß drob die Schale jeder Schuld besiegt wird,

Was nur an Licht die menschliche Natur

Vermag, von jener Kraft die beide sie

Geschaffen, völlig eingegossen sei.

Darum verwundert dich mein früh'res Wort,

Als ich gesagt, es habe seines Gleichen

Das Heil im fünften Lichte nie gehabt.

Nun öffne meiner Antwort deine Augen,

Und sieh, dein Glaube und mein Wort verhalten

Wie Zentrum sich und Umkreis in der Wahrheit.

Unsterbliches und was da sterben kann,

Es ist ein Abglanz nur von der Idee,

Die unser Herr aus Liebesfülle zeugt.

Denn das lebend'ge Licht, das aus dem Lichtquell

Also hervorgeht, daß von ihm so wenig

Sich's trennt, als von der Liebe, die die dritt' ist,

Vereiniget aus Güte seine Strahlen

Gleich wie in Spiegeln, in neun Wesenheiten,

Obwohl es ewig in sich selber eins bleibt.

Abwärts von ihnen steigt von Kraft zu Kraft es

Hinab bis zu den letzten Fähigkeiten,

So daß es endlich nur Zufäll'ges bildet.

Als dies Zufällige bezeich'n ich alle[336]

Erzeugten Dinge, die der Himmel kreisend

In's Dasein ruft, mit oder ohne Samen.

Ihr Wachs und der es aufträgt, sind nicht immer

Gleich gut; drum prägt der ideale Stempel

Bald besser sich, bald wieder schlechter aus.

Daher geschieht es, daß der Art nach gleiche

Gewächse doch verschiedne Früchte tragen;

Drum kommt zur Welt ihr mit verschiednen Gaben.

Wenn makellos des Wachses Reinheit wäre,

Und auch der Himmel in der höchsten Kraft,

Dann sähe man des Siegels volle Schönheit;

Doch unvollkommen nur drückt's die Natur aus,

Weil ihre Arbeit der des Künstlers gleich ist,

Der, kunstgeübt zwar, mit den Händen zittert.

Bereitet nun und prägt die heiße Liebe,

Der ersten Kraft lichtvolles Schauen aus,

So wird Vollkommenheit schlechthin erreicht.

So ward das Land geschaffen, das befähigt

Zu jeder tierischen Vollendung war,

In solcher Weise ward die Jungfrau schwanger.

Beistimmen muß ich also deiner Meinung,

Daß, was in jenen Zwei'n die menschliche

Natur gewesen, sie nie war noch sein wird.

Wohl würden deine Worte, wenn ich nun

Nicht weiter reden wollte, so beginnen:

Wie war denn also jener ohne Gleichen?

Doch damit klar, was jetzt dir unklar, werde,

So denke, was er war, und was ihn antrieb,

Zu fordern, als zu ihm gesagt ward: Bitte!

Ich sprach nicht also, daß du nicht vermöchtest

Zu sehn, wie er als König bat um Weisheit,

Damit ein König rechter Art er sei.

Nicht nach der Zahl der Himmelslenker frug er,

Noch ob Notwend'ges mit Zufälligem

Verknüpft Notwendiges ergeben könne.

Auch nicht, ob Urbewegung anzunehmen,[337]

Noch ob ein Dreieck ohne rechten Winkel

Sich machen lasse aus dem halben Kreise.

Erwägst du dies und was ich oben sagte,

So sieh die Königsklugheit und das Schauen,

Auf das sich richtet meiner Absicht Pfeil.

Und fassest du das »schwang sich auf« in's Auge,

So wirst du sehn, daß es nur Kön'gen gilt,

Die zahlreich sind, doch gute drunter wenig.

Nimm denn mein Wort mit dieser Unterscheidung;

So kann's mit dem, was du vom ersten Vater

Und unsrer Wonne glaubest, wohl bestehn.

Das sei dir immer Blei an deinen Füßen,

Daß du zum Ja und Nein, das du nicht siehst,

Gleich einem Müden langsam dich bewegest;

Denn unter Toren selbst steht der gar niedrig,

Der ohne Unterschied bejaht und nein sagt,

Mag es um dies sich oder jenes handeln.

Gar oft geschieht's, daß die gemeine Meinung

Zur falschen Seite hinneigt, aber dann

Die Leidenschaft die bessre Einsicht fesselt.

Noch schlimmer als vergeblich stößt vom Ufer,

Weil er nicht heimkehrt wie er ausfuhr, wer

Nach Wahrheit fischt, und nicht die Kunst versteht.

Des liefern deutlichen Beweis der Welt

Parmenides, Melissus, sowie Brissus

Und andre, die des Weges Ziel nicht wußten.

Sabellius auch, Arius und die Toren,

Die so wie Schwerter mit der Schrift verfuhren,

Ihr grades Antlitz frevelhaft entstellend.

Es sei'n die Leut im Urteil nicht so sicher!

Sie soll'n nicht tun wie einer, der die Ernte

Schon auf dem Felde schätzt, bevor sie reif ist.

Wohl sah den Winter über ich den Dorn

Voll Stacheln dastehn, starr und ungefüge,

Und dann auf seinem Zweig die Rose tragen.

Auch sah ein Schiff ich rasch und grader Richtung[338]

Das Meer durchfliegen auf der ganzen Reise.

Dann aber scheitern an des Hafens Eingang.

Frau Bertha und Herr Martin soll'n nicht glauben,

Wenn den sie stehlen sehn und jenen opfern,

Sie säh'n drum, was sie sind in Gottes Ratschluß;

Denn der kann fallen, jener sich erheben.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 335-339.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
La Commedia / Die göttliche Komödie: I. Inferno / Hölle Italienisch/Deutsch
Inferno: Die göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

Nach einem schmalen Band, den die Droste 1838 mit mäßigem Erfolg herausgab, erscheint 1844 bei Cotta ihre zweite und weit bedeutendere Lyrikausgabe. Die Ausgabe enthält ihre Heidebilder mit dem berühmten »Knaben im Moor«, die Balladen, darunter »Die Vergeltung« und neben vielen anderen die Gedichte »Am Turme« und »Das Spiegelbild«. Von dem Honorar für diese Ausgabe erwarb die Autorin ein idyllisches Weinbergshaus in Meersburg am Bodensee, wo sie vier Jahre später verstarb.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon