[326] Sinnlose Sorge du der Sterblichen,
Wie sind so trügerisch all' deine Schlüsse,
Ob deren abwärts du die Flügel schlägst;
Der ging dem Jus, der Aphorismen nach,
Dem Priestertum ein andrer, jener strebte
Durch Trug zu herrschen oder durch Gewalt,
Der raubte, der trieb bürgerlich Gewerbe,
Der mühte ruhlos sich, in Fleischeslüste
Verstrickt, der faulen Muße pflegt' ein andrer,
Indessen, frei von all' dem nied'ren Treiben,
Mit Beatrice droben ich im Himmel
Im Kranze solchen Ruhms empfangen ward.
Als jeder dann zu jenem Punkt des Kreises
Zurückgekehrt, an dem zuvor er weilte,
Stand fest er, wie ein Licht im Leuchter steht.
Ich aber hört' im Innern jener Leuchte,
Die mir zuvor gesprochen und nun heller
Erglänzte, unter Lächeln so beginnen:
So wie von seinen Strahlen ich erglänze,
So seh' ich die Gedanken, die du hegest,
Schau' ich in's ew'ge Licht, woher sie stammen.
Du zweifelst, und begehrst in klarer Rede
Und deutlich so, daß deine Fassungskraft
Nachfolgen könn', Erläut'rung meiner Rede,
Als ich vorhin gesagt: »Wo man gedeiht«,
Und weiterhin: »Kein Zweiter schwang sich auf.«
Hier aber muß genau man unterscheiden:
Die Vorsehung, die mit so tiefer Weisheit
Die Welt regiert, daß kein geschaff'nes Auge
Unüberwältigt wagt, sie zu ergründen,
Verordnete, damit die Braut des Bräut'gams,
Der unter lautem Ruf mit heil'gem Blute
Sie sich verlobte, sich'rer in sich selbst,[327]
Und treuer ihm, zu ihrem Trauten ginge,
Zu Schutz und Hilfe ihr zwei hohe Ritter,
Daß sie ihr Führer sei'n zu beiden Seiten.
War seraphgleich an Liebesglut der eine,
So schien der andr' an Weisheit dort auf Erden
Ein Abglanz von dem Licht der Cherubim.
Vom einen will ich sagen: Wen zu preisen
Man wählen möge, gilt das Lob von beiden;
Denn beider Taten hatten nur ein Ziel.
Es senkt von hohem Berg' ein Abhang fruchtbar
Sich zwischen dem vom seligen Ubaldo
Erkor'nen Hügel und Tupino nieder,
Von wo Perugia nächst dem Sonnentore
So Frost als Hitze fühlt, und jenseits Gualdo
Den rauhen Berg beklagt, sowie Nocera.
Von diesem Abhang, da wo seine Steile
Am schwächsten ist, stieg eine Sonne auf,
Wie diese manchmal aus dem Ganges aufsteigt.
Wer also reden will von diesem Orte,
Der sag Assisi nicht, das wäre dürftig:
Er sage Morgenland, will recht er reden.
Noch war nicht ferne sie von ihrem Aufgang,
Als einige Erquickung sie der Erde
Von ihrer großen Kraft zu kosten gab.
Noch jung entzweite sich mit seinem Vater
Der, den ich meine, um ein Weib, dem jeder
Das Tor der Lust, als wie dem Tode schließt.
Und vor dem Hofe geistlichen Gerichtes,
In Gegenwart des Vaters freit' er sie
Und liebte mehr sie dann von Tag zu Tage.
Es hatte, seit sie ihres ersten Gatten
Beraubt war, bis auf ihn elfhundert Jahr
Um die Verachtete niemand geworben.
Nicht half es ihr, daß bei der Stimme dessen,
Vor dem die Welt erbebte, mit Amyklas,
Wie man vernahm, sie unerschüttert blieb.[328]
Nicht half ihr Treue, noch so fester Sinn
Daß sie, wo selbst Maria drunten blieb,
Das Kreuz erstieg, mit Christo dort zu weinen.
Doch, daß ich dir nicht unverständlich bleibe,
So nimm für diese Liebenden Franciscus
In meiner langen Rede und die Armut.
Es riefen ihre Freudigkeit und Eintracht
In Lieb', in süßem Blick und in Erstaunen
Bei manchem heilige Gedanken wach,
So daß Bernardus, der ehrwürd'ge, sich
Entschuhte, solchem Frieden nachzueilen,
Und eilend glaubt' er noch zu sehr zu zögern.
O unbekannter Reichtum, fruchtbar Gut!
Der Braut zu Liebe folgen, sich entschuhend,
Dem Bräutigam Aegidius und Sylvester.
So geht mit seiner Braut und mit der Schar
Der seinen, welche der demüt'ge Strick
Schon gürtete, ihr Vater und ihr Meister.
Auch drückte Feigheit nicht die Stirn ihm deshalb,
Weil Peter Bernardone's Sohn er war,
Noch weil gering geschätzt er allen schien.
Mit königlichem Mut tat Innocenzen
Er seinen harten Vorsatz kund, und dieser
Gab ihm das erste Siegel seines Ordens.
Und als, ihm folgend, dessen Wunderleben
Geeigneter dort in des Himmels Glorie
Man sänge, sich, das arme Volk vermehrte,
Ward dieses Oberhirten heil'ger Wille
Vom ew'gen Hauche durch Honorius Hand
Mit einer zweiten Krone noch umwunden.
Als dann im Durste nach dem Martertume
Er in des Sultans schnöder Gegenwart
Gepredigt Christum und die ihm gefolgt sind,
Und, da er jenes Volk für die Bekehrung
Nicht reif erfand, um nicht umsonst zu weilen,
Zur Frucht ital'scher Pflanzen heimgekehrt war,[329]
Empfing auf rauhem Felsen zwischen Tiber
Und Arno er das letzte Siegel, welches
Sein Leib zwei Jahre lang noch trug von Christo.
Als dem, der ihn für solches Heil erkoren,
Demnächst gefiel, ihn zu dem Lohn zu rufen,
Den er durch Selbsterniedrigung verdienet,
Empfahl er seine Braut, die vielgeliebte,
Den Ordensbrüdern, seinen rechten Erben,
Mit dem Befehl, in Treue sie zu lieben;
Doch wollt' aus ihrem Schoß sein lichter Geist
Zu seinem Reich heimkehrend sich erheben,
Und für den Leib wollt' er nur diese Bahre.
Bedenke nun, wie der war, der mit diesem,
Als würdiger Genoß, das Schifflein Petri
Im hohen Meer erhielt auf rechten Wegen,
Und das ist unser Patriarch gewesen;
Drum kannst du sehn, daß wer, wie er geboten
Ihm nachfolgt, sicher gute Ladung führt.
Doch seine Herde ward nach neuer Nahrung
So lüstern, daß, wie könnt' es anders sein,
Sie sich verstreut auf Weiden mancher Art.
Je mehr, abirrend, aber seine Schafe
Von ihm sich trennen, um so leerer kehren
An Milch sie wieder heim zu ihrem Stalle.
Wohl sind noch ein'ge, die den Schaden fürchten
Und sich zum Hirten halten, doch so wen'ge,
Daß ihre Kutten nicht viel Tuch erfordern.
Sind meine Worte klanglos nicht gewesen,
Hast aufmerksam du ihnen zugehört,
Und rufst du das Gesagte dir zurück,
So muß dein Wunsch zum Teil befriedigt sein;
Denn du erkennst den Baum, den man verstümmelt,
Und siehst weshalb der Riementräger sagte:
»Wo man gedeiht, wenn man nicht Eitlem nachjagt.«
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.
38 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro