Vierzehnter Gesang

[339] Vom Mittelpunkt zum Kreis, von ihm zu jenem

Bewegt in runder Schale sich das Wasser,

Wird es berührt von außen oder innen.

In meinem Geist trat plötzlich was ich sage

Hervor, nachdem das ruhmgekrönte Leben

Des Thomas aufgehört zu reden hatte,

Weil ähnlich zu der Rede Beatrice's

Die seine sich verhielt; doch ihr gefiel es

Als er geendet, also zu beginnen:

Not täte diesem, doch er spricht es nicht

In Worten aus, auch denkt er es bis jetzt nicht,

Noch einer Wahrheit Wurzel zu erkennen.

Sagt ihm denn, ob das Licht, von dem eu'r Wesen

Hier Blütenschmuck erhält, so wie es jetzt ist,

Euch bleiben wird in alle Ewigkeit.

Und wenn's der Fall ist, so erklärt ihm weiter,

Wie, nachdem Sichtbarkeit euch wieder ward.

Dies Licht nicht eurer Sehkraft Schaden tut?

Wie manchmal, von erhöhter Lust getrieben,

Die sich im Ringeltanze drehn und singen

Die Stimm' erhebend freud'ger sich gebärden,

So zeigten bei der frommbereiten Bitte

Die heil'gen Kreis' in ihres Liedes Tone

Und in des Tanzes Schwingung neue Freude.

Wer sich beklagt, daß man hienieden sterbe,

Um droben fortzuleben, fühlte nimmer[339]

Des Gnadenregens ewige Erquickung.

Der immer lebt und eins und zwei und drei ist

Und immer herrscht in dreien, zwei'n und einem,

Der, schrankenlos, das All der Welt umschränkt,

Er ward von jedem dieser sel'gen Geister

Dreimal in solcher Melodie gesungen,

Daß jeglichem Verdienst sie reichlich lohnte.

Dann hört ich wie im strahlendsten der Lichter

Des klein'ren Kreises eine sanfte Stimme,

Vielleicht wie die des Engels zu Marien,

Zur Antwort gab: Solang die Festesfeier

Des Paradieses währt, wird unsre Liebe

Aus sich hervor ein solches Lichtkleid strahlen.

Es wird der Glut ensprechen seine Helle,

Die Glut dem Schau'n; dies aber dringt so tief,

Als über eigne Kraft es Gnad' empfängt.

Wenn mit dem heiligen verklärten Fleische

Wir angetan sind, dann wird unser Wesen,

Weil nun vollständig, wohlgefäll'ger sein.

Drum wird sich, was an unverdientem Lichte

Das höchste Gut uns schenkt, alsdann vermehren,

Dem Licht, das uns befähigt ihn zu schau'n,

So muß denn unsres Schauens Tiefe wachsen,

Die Glut auch wachsen, die sich dran entzündet,

Und so der Lichtglanz, der von dieser ausgeht.

Doch wie die Kohl', aus welcher Flamme lodert,

Durch weißen Lichtglanz sie noch übertrifft,

So daß im Feuer sie erkennbar bleibt,

So wird der Glanz, der uns schon jetzt umhüllet,

Vom Fleische, das die Erde jetzt bedeckt,

An Helligkeit noch übertroffen werden.

Auch wird so großes Licht uns nicht beschweren;

Denn Kraft wird den Organen unsres Leibes

Für alles dann zuteil, was uns erfreuet. –

So rasch und eifrig sagten beide Chöre

Hierzu ihr »Amen«, daß man wohl die Sehnsucht[340]

Nach ihren toten Leibern dran erkannte;

Vielleicht nicht nur den ihren, auch wohl denen

Der Väter, Mütter und der andren, die sie

Geliebt, bevor sie ew'ge Flammen waren.

Und, siehe, gleich an Helligkeit, erschien

Rings um die schon vorhandenen ein Glanz,

Dem Horizont, der sich erhellt, vergleichbar.

Und wie, wenn eben erst der Abend aufsteigt,

Sichtbar am Himmel neue Lichter werden.

Daß man sie bald zu seh'n, bald nicht zu seh'n glaubt,

So schien es mir, als fing' ich neue Wesen

Dort zu erblicken an, die einen Kreis

Noch außerhalb der beiden andren schlössen.

O wahres Funkensprüh'n des heil'gen Geistes,

Wie zeigte sich's so plötzlich mir und glühend,

Daß mein geblendet Aug' es nicht ertrug!

Doch Beatrice sah so schön und lächelnd

Mich an, daß davon, wie von sonst Geseh'nem,

Das die Erinn'rung nicht bewahrt, ich schweige.

Als wieder Kraft gewonnen meine Augen

Emporzublicken, sah ich mich entrückt

Zu höh'rem Heil, allein mit meiner Herrin.

Daß ich emporgestiegen sei, bewies mir

Das feuerfarbne Lächeln des Planeten,

Der röter mir erschien, als ich gewohnt war.

Von ganzem Herzen bracht' ich in der Sprache,

Die gleich für alle ist, solch Dankesopfer

Dem Herren dar, wie solche Gnad' es heischte.

Es war des Opfers Glut in meinem Herzen

Noch nicht erloschen, als ich schon gewahr ward,

Daß günstig aufgenommen war mein Opfer;

Denn Lichter solchen Glanzes und so rot

Erschienen mir im Inn'ren zweier Strahlen,

Daß, Helios, wie schmückst du sie! ich ausrief.

Wie die Milchstraße, Weisen selbst ein Rätsel,

Weißschimmernd sich von Pol zu Pole zieht,[341]

In Sterne, mehr und minder klein, zerfallend,

So konstellieret zeigten auf dem Grunde

Des Mars das heil'ge Zeichen diese Strahlen,

Das in dem Kreise die Quadranten bilden.

Es unterliegt der Geist hier dem Gedächtnis;

Denn Christus leuchtete von jenem Kreuze

So, daß kein würd'ges Bild ich finden kann.

Doch wer das Kreuz auf seine Schultern nimmt

Und Christo nachfolgt, der verzeiht mein Schweigen,

Sieht Christum er in jenem Schimmer leuchten.

Von Arm zu Arm, vom Wipfel zu dem Fuße

Bewegten Lichter sich, die hell aufflammten,

Wenn sie sich trafen und wenn sie sich trennten.

So sieht hienieden man die Sonnenstäubchen,

Bald schnell, bald langsam, krumm bald und bald grade,

Bald kurz, bald langgezogen, in dem Strahle,

Der manchmal durch den Schatten hinstreift, welchen

Zum Schutz vor Sonnenglut die Menschen, sinnreich

Vorkehrend, hergerichtet, sich bewegen.

Wie, wenn bei vieler Geigen oder Harfen

Zusammenklang, auch wer die Melodie

Nicht auffaßt, doch ein süßes Klingen hört,

So tönte mir vom Kreuz der Lichter, die mir

Dort sichtbar wurden, eine Weise, welche,

Verstand ich auch das Lied nicht, mich entzückte.

Ich fühlte wohl, es sei ein hohes Loblied;

Denn mich erreichte: »Du erstehst und siegest«,

Wie den, der reden hört und nicht verstehn kann.

Daran entbrannte ich in solcher Liebe,

Daß bis dahin kein Gegenstand mich jemals

Gefesselt hatte mit so süßen Banden.

Und wem mein Wort allzu verwegen schiene,

Weil ich hintan die schönen Augen setze,

In die zu schaun mir jede Sehnsucht stillt;

Erwägt der wohl, daß die lebend'gen Siegel

Der Schönheit mit dem Steigen Kraft gewinnen,[342]

Und ich nach jenen dort noch nicht geblickt,

So kann ob dessen, des ich mich beschuld'ge,

Er mich entschuld'gend, sehn, daß wahr ich rede;

Schließ' ich die heil'ge Freude doch nicht aus,

Die laut'rer wird mit jeder höh'ren Stufe.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 339-343.
Lizenz:
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