Dreiundzwanzigster Gesang

[96] Schweigsam, allein und des Geleites ledig,

Der eine nach dem andren, gingen wir,

Wie Minoriten auf dem Wege gehn.

Es wandt' ob dieses Streites mein Gedanke

Sich zu Aesopens Fabel, wo vom Frosche,[96]

Vom Geier er und von der Maus berichtet.

Denn ähnlicher ist nicht ein Ei dem andern,

Als Streit und Fabel tun, verknüpft man richtig

Anfang und End' in sorglicher Erwägung.

Und wie Gedanke aus Gedanken quillt,

Also gebar der ein' in mir den andren,

Wodurch mir doppelt große Furcht erwuchs.

Ich dachte bei mir selbst: So überlistet

Sind jene unserthalb mit Hohn und Schaden,

Daß, wie ich glaub' es sie nicht wenig ärgert.

Kommt nun zum bösen Willen Zorn hinzu,

So werden, ärger als der Hund den Hasen,

Den er schon fast erreicht, sie uns verfolgen.

Schon fühlt' ich, wie sich mir die Haare sträubten

Vor lauter Furcht, und rückwärts horcht' ich auf.

Da sagt ich: Meister, birgst du nicht in Eile

Uns beide, fürcht' ich, daß die Malebranche

Uns fassen, denn sie sind auf unsren Fersen;

So malt sie mir die Angst, daß ich sie fühle. –

Er aber: Wär' ich bleibelegtes Glas,

So böte schneller nicht dein Bild von außen

Sich mir, als jetzt ich's innerlich empfange.

Erst eben mischten deine sich zu meinen

Gedanken, gleich an Inhalt und Gebärde,

So daß uns beiden ein Entschluß hervorging.

Ist solcher Art des rechten Ufers Abhang,

Daß wir hinab zur nächsten Bolgia können,

So woll'n wir der geahnten Jagd entrinnen. –

Kaum hatt' er diesen Vorsatz ausgesprochen,

Als ich sie, nahe schon, um uns zu greifen,

Uns nach mit offnen Flügeln kommen sah.

Da faßt' in großer Eile mich der Führer,

Wie wohl die Mutter, die vom Knistern aufwacht

Und neben sich die Flamme lodern sieht,

Ihr Kind, an dem ihr mehr als an ihr selbst liegt,

Ergreift und ohne Säumen schnell davoneilt,[97]

So daß sie mehr nicht als ein Hemd nur anzieht.

Und rücklings an des rauhen Ufers Höhe

Ließ er den steilen Fels sich niedergleiten,

Durch den das nächste Tal diesseits begrenzt wird.

So eilig schoß durch ein Gerinne nimmer

Das Wasser, um ein Mühlrad umzutreiben,

Da wo den Schaufeln es am nächsten kam,

Als diesen Rand mein Meister niederglitt

Und mich dabei, als ob sein Sohn ich wäre,

Nicht der Gefährte, trug auf seiner Brust.

Erreicht war kaum der Grund von seinen Füßen,

Als über uns die Teufel auf dem Damme

Erschienen; doch war nun nichts mehr zu fürchten.

Denn, die zu Dienern sie des fünften Grabens

Bestellt, die hohe Vorsehung, beraubt sie

Der Fähigkeit, von dort sich zu entfernen.

Die dort wir fanden, trugen falsche Farben.

Langsamen Schrittes zogen sie daher,

Erschöpft und kraftlos schienen sie und weinten.

Sie trugen Kutten mit Kapuzen, welche

Die Augen überdeckten, denen ähnlich,

Die man in Clugny für die Mönche fertigt.

Vergoldet sind sie außen, daß es blendet;

Doch innen bleiern und so schwer, daß jene,

Die Friedrich umtat, Stroh dagegen schienen.

Und dieser Mantel lastet ewiglich!

Wir wandten, merkend auf ihr traurig Klagen,

Zur Linken uns, mit ihnen gleicher Richtung;

Doch gingen, ob der schweren Last, die Müden

So langsam, daß bei jedem neuen Schritte

Wir andre Seelen zu Gefährten hatten.

Zum Führer sagt' ich drum: Indem wir gehen,

Bitt' ich dich umzuschau'n, ob du nicht einen

Gewahrst, des Namen oder Tat bekannt ist. –

Und einer, der vernommen, was toskanisch

Ich sprach, rief hinter uns: Hemmt eure Schritte,[98]

Die ihr so lauft in diesen dunklen Räumen;

Vielleicht kann, was du wünschest, ich gewähren. –

Mein Führer wandte sich und sagt': Erwart' ihn,

Und geh' dann gleichen Schrittes mit ihm weiter. –

Ich stand, und Zweie sah ich, deren Eifer

Mich einzuholen ihre Züge malten;

Doch hemmten Last und enger Weg die Eile.

Herangekommen, schauten von der Seite

Sie eine Weile nach mir hin und schwiegen;

Dann blickten sie einander an und sagten:

Lebendig scheint der eine, denn er atmet;

Doch, sind sie tot, wie kommen sie zum Vorrecht,

Des schweren Mantels ledig hier zu wandeln? –

Toskaner, sprachen sie, der zu der Heuchler

Unwürd'ger Gilde du gekommen bist,

Verschmähe nicht, uns wer du bist zu künden. –

Geboren, sagt' ich, und erwachsen bin ich

Am schönen Arno in der großen Stadt.

Den Leib, den ich gehabt, hab' ich noch immer.

Doch wer seid ihr denn, über deren Wangen

So vielen Schmerz ich niederträufeln sehe,

Und was für Strafe tragt ihr, die so gleißet? –

Die gelben Kutten, sagte drauf der eine,

Sind von so dickem Blei, daß die Gewichte

Die Balken ihrer Wage stöhnen machen.

Gaudenten waren wir und Bologneser,

Ich Catalano, jener Loderingo

Genannt, und deine Vaterstadt berief uns,

So wie, zum Schutz des innern Friedens, einen

Man sonst zu rufen pflegt, und wir verfuhren

So, wie man beim Gardingo noch gewahr wird. –

O Brüder, so begann ich, Eure Qualen – –

Doch da verstummt' ich, denn ich sah am Boden,

Gekreuzigt mit drei Pflöcken, einen liegen.

Als der mich sah, zuckt' er am ganzen Leibe

Und stöhnte unter Seufzen in den Bart.[99]

Fra Catalano sah's und sprach zu mir:

Den du dort angenagelt siehst, der sagte

Einst zu den Pharisäern, es sei besser,

Daß ein Mensch sterbe für das ganze Volk.

Nun liegt er nackt querüber auf dem Wege,

Wie du ihn siehst, und was ein jeder wiege,

Der dieses Pfades geht, muß er empfinden.

Die gleiche Strafe trifft den Schwiegervater

Und die noch sonst zum hohen Rat gehörten,

Der für die Juden schlimme Saat geworden. –

Da nahm ich wahr, wie sehr Virgil erstaunte

Ob dessen, der so tief erniedrigt dort lag

In's Kreuz gespannt in ewiger Verbannung.

Zu dem Gaudenten sprach er dann die Worte:

Ist's euch erlaubt, so wollet uns berichten,

Ob in dem Damm hier, rechts ein Tal sich einsenkt,

Durch welches, ohne erst die schwarzen Engel

Zu unsrer Hilf zu entbieten, beide

Aus dieser Schlucht den Ausgang wir gewönnen? –

Der gab zur Antwort: Näher als du hoffest

Ist euch ein Fels, der von der großen Kreiswand

Ausgehend, all' die Schluchten überbrückt,

Und eingestürzt nur über dieser ist.

Hinaufzusteigen hilft Euch das Getrümmer,

Das, unten aufgehäuft, die Steile mindert. –

Ein Weilchen stand gesenkten Haupts mein Führer,

Dann sagt' er: Übel hat uns der berichtet,

Der drüben mit dem Haken Sünder krallt. –

Und jener sprach: Man hat mir in Bologna

Vom Teufel manche Sünd' erzählt, darunter,

Daß er ein Lügner sei und Lügenvater. –

Mit großen Schritten ging der Führer weiter

Und Unmut färbt' ein wenig seine Wangen.

So schied ich von den schwer beladnen Sündern

Und setzt' in seine Spuren meine Füße.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 96-100.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
La Commedia / Die göttliche Komödie: I. Inferno / Hölle Italienisch/Deutsch
Inferno: Die göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Reuter, Christian

Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod

Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod

Die Fortsetzung der Spottschrift »L'Honnête Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plissline« widmet sich in neuen Episoden dem kleinbürgerlichen Leben der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«.

46 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon