Fünfundzwanzigster Gesang

[105] Es reckte, als er schwieg, der Dieb die Hände

Mit durchgesteckten Daumen beid' empor

Und schrie: Dir Gott gilt die Gebärde, nimm sie!

Lieb sind seitdem die Schlangen mir geworden;

Denn eine wand sich fest um seinen Hals,

Als sagte sie: Du sollst nicht weiter reden.

Dir Arme schnürt' ihm eine andre fest

Und sie verknotete sich vorn so enge,

Daß keinen Ruck zu tun er mehr vermochte.

Pistoja, ach, warum beschließt du nicht,

Dich selbst durch Feuer von der Welt zu tilgen,

Weil du noch schlimmer bist als wie dein Samen!

In keinem all' der dunklen Höllenkreise

Sah einen Geist ich, der so frech gelästert;

Auch der nicht, der von Thebens Mauern stürzte.

Fort eilte er und sprach nicht eine Silbe.

Und wild kam ein Zentaur daher gesprengt,

Der rief: Wo ist, wo ist er hin der Arge? –

Wohl hegt nicht so viel Schlangen die Maremma,

Als ihm vom Widerrist bis dahin lagen,

Wo die Gestalt den Menschen an ihm anfängt.

Doch über dem Genick' und auf den Schultern[105]

Hockt' ihm ein Drache mit gespreizten Flügeln,

Der durch den Atem was er antrifft zündet.

Da sprach mein Meister: Siehe, das ist Cacus,

Der oft am Fuß des Aventiner Berges

Solch Blut vergoß, daß es in Lachen stau'te.

Weil er durch List und Trug die große Herde,

Als sie ihm nahe rastete, gestohlen,

Geht mit den Brüdern er nicht gleichen Weges.

Damals beendeten sein schnödes Treiben

Des Herkules gewalt'ge Keulenschläge.

Ihn trafen hundert, doch nicht zehne fühlt' er. –

Drei Geister waren, als er sprach und jener

Vorüberfloh, bis unter uns gekommen;

Doch sah der Meister sie sowohl als ich

Erst als der eine rief: Sagt an, wer seid ihr? –

Da machten dem Gespräche wir ein Ende

Und merkten nun auch unsrerseits auf sie.

Ich kannte ihrer keinen; doch geschah es,

Wie wohl durch Zufall zu geschehen pflegt,

Daß einer im Gespräch den andern nannte.

Wo ist, so sagt' er, Cianfa nur geblieben? –

Damit der Führer nun aufmerken möchte,

Streckt' ich vom Kinn zur Nase meinen Finger.

Bist du, o Leser, was ich nun berichte

Zu glauben schwer geneigt, nimmt mich's nicht Wunder;

Glaub ich's doch kaum, der es mit angesehen.

Noch war mein Auge ihnen zugewendet,

Da sah ich eine Schlange mit sechs Füßen,

Die vorn auf einen lossprang und ihn packte.

Die mittler'n Bein' umklammerten den Bauch ihm,

Die vordersten verstrickten sich den Armen.

Dann, mit den Zähnen, faßte sie die Backen,

Die Lenden nieder dehnte sie die hintren,

Es bog den Schwanz sie zwischen beiden durch,

Ihn dann das Kreuz entlang emporzustrecken.

Nie haftete an einem Baum der Efeu[106]

So fest, als wie dies grause Ungeheuer

Die seinen um die fremden Glieder schlang.

Dann klebten aneinander sie, als wären

Sie heißes Wachs, und mengten ihre Farbe,

Und keiner schien mehr das, was er gewesen.

So geht am brennenden Papier der Flamme,

Die weiter greift, voraus die dunkle Färbung,

Die noch nicht schwarz und doch auch nicht mehr weiß ist.

Die andern beiden schauten zu, und jeder

Rief: Weh' Agnello, wie du dich verwandelst!

Sieh doch, wie du nicht eins nun bist, nicht zweie. –

Schon waren die zwei Häupter eins geworden

Die Züge beider schienen uns verschmolzen

In ein Gesicht, aus dem die zwei geschwunden.

Es wurden aus vier Streifen die zwei Arme,

So Bein' als Lenden, Rumpf sowohl wie Bauch

Umformten sich zu nie gesehnen Gliedern.

Verschwunden war jedwedes frühre Aussehn:

So beides, als von beiden keins, entfernte

Sich das entstellte Bild langsamen Schrittes.

Wie um die Zeit der ärgsten Hundstagsglut

Eidechsen, die von Zaun zu Zaune schlüpfen,

Den Weg durchkreuzen, gleich dem Blitz behende,

So anzuschaun war eine grimm'ge Schlange,

Die schwarz und bräunlich, so wie Pfefferkörner,

Sich auf den Bauch der beiden andren stürzte.

Den Teil, durch den zuerst uns Nahrung zugeht,

Durchbohrte sie dem einen und dann fiel

Zu seinen Füßen regungslos sie nieder.

Es schaute der Verwundete sie an,

Doch schwieg er; als ob Fieber oder Schlaf

Ihn packe, gähnt' er unbewegten Fußes.

Die Schlange blickt' auf ihn und er auf sie.

Qualm drang aus seiner Wund' und ihrem Maule

Und mit dem einen mischte sich der andre.

Es schweige nun Lucan, wo von dem armen[107]

Sabellius und Nasidius er berichtet,

Und höre wohl auf das, was nun gesagt wird.

Auch schweig' Ovid von Arethus' und Kadmus;

Nicht neid ich ihn, verwandelt sein Gedicht

Zur Schlange diesen und zur Quelle jene

Denn nie vertauscht' einander gegenüber

Er zwei Naturen, so daß die Gestalten

Die Stoffe wechselsweis gewandelt hätten.

Also entsprachen sie sich nun einander

Daß ihren Schweif die Schlang' in zweie teilte

Und jener seine Füß' in eins verband.

So wuchsen aneinander Bein' und Lenden,

Daß ihre Fuge wiederzuerkennen

In kurzer Zeit nicht mehr gelungen wäre.

Und die Gestalt, die dort verloren wurde,

Gewann der Schlange Schweif der sich gespalten.

Weich wurde ihre Haut und hart die seine,

Die Arme zog er in die Achselhöhlen;

Des Tieres kurze Bein' hingegen dehnten

Sich ebenso, wie jene sich verkürzten.

Verschlungen bildeten die Hinterfüße

Der Schlange jenes Glied, das man verhüllet,

Und zweigeteilt ward jenem Ärmsten seines.

Mit neuer Farbe kleidete die beiden

Der Rauch noch und beraubte den der Haare,

Mit welchen jenen er dafür bedeckte,

Als einer aufstand und der andre hinfiel,

Doch ohne drum die Augen zu verwenden,

Wobei sie wechselsweis die Züge tauschten.

Es zog der Aufrechtsteh'nde zu den Schläfen

Das Fleisch, und aus dem so gehäuften wurde

Das Ohrenpaar, das aus dem Haupt hervortrat.

Aus dem was nicht nach rückwärts quoll und vorne

Sich häufte, ward dem Angesicht die Nase

Und was die Lippen anzuschwellen nötig.

Es streckt der Liegende die Schnauze vorwärts[108]

Und in das Haupt zieht er die Ohren ein,

Wie Schnecken tun wenn sie die Hörner einziehn.

Es spaltet sich die bisher ungeteilte,

Zum Reden fert'ge, Zung', und die gespaltne

Schließt sich zusammen, – und der Qualm vergeht.

Der Schatten, der zum Tiere nun geworden,

Enteilte zischend durch das dunkle Tal;

Der andre spuckte redend hinter ihm.

Dann wandt er ihm die neu erlangten Schultern

Und sprach zum andren: Mag auf seinem Bauche,

Wie ich bisher getan, nun Buoso laufen! –

Verwandeln sah ich so und sich vertauschen

Des siebten Grabens Schlamm, und es entschuldge

Den Kiel, ließ er sich etwas gehn, die Neuheit.

Wie meine Augen auch befangen waren

Und wie bestrickt mein Sinn, so konnten jene

Doch nicht so heimlich fliehn, daß ich nicht deutlich

Puccio Sciancato hätt' erkennen mögen.

Und der von ihnen war's, der unverwandelt

Allein noch übrig war von jenen drei'n;

Den du beweinst, Gaville, war der andre.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 105-109.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
La Commedia / Die göttliche Komödie: I. Inferno / Hölle Italienisch/Deutsch
Inferno: Die göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Agrippina. Trauerspiel

Agrippina. Trauerspiel

Im Kampf um die Macht in Rom ist jedes Mittel recht: Intrige, Betrug und Inzest. Schließlich läßt Nero seine Mutter Agrippina erschlagen und ihren zuckenden Körper mit Messern durchbohren. Neben Epicharis ist Agrippina das zweite Nero-Drama Daniel Casper von Lohensteins.

142 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon