Sechsundzwanzigster Gesang

[109] Erfreue dich o Florenz deiner Größe,

Denn über Land und Meer schlägst du die Flügel

Und in der ganzen Höll' erklingt dein Name.

Fünf deiner Bürger fand ich bei den schlimmsten

Spitzbuben, dessen ich mich höchlich schäme,

Und große Ehre drob dir nicht erwächst.

Wenn aber Wahrheit Morgenträume künden,

So wird in naher Zukunft dir begegnen,

Was Prato, andre zu geschweigen, wünschet.

Wär's schon gescheh'n, so wär es nicht verfrühet.

Wär's nur vorbei, ist's einmal unvermeidlich;[109]

Denn, wie ich älter werde, trag' ich's schwerer.

Wir gingen weiter, und hinauf die Stufen,

Als welche uns zuvor gedient die Höcker,

Stieg erst mein Meister und mich zog er nach sich.

Wie zwischen dem Geklüfte und den Zacken

Der Felswand wir den öden Weg verfolgten,

Kam, wenn die Hand nicht half, der Fuß nicht vorwärts

Da klagt' ich laut und klage jetzo wieder,

Denk' ich an das zurück, was ich gesehen

Und zügle meinen Geist mehr als ich pflege,

Daß, ungeführt von Tugend, er nicht laufe;

Damit, wenn die Gestirne, oder Bessres

Mir Heil beschieden, ich's nicht selbst verscherze.

So viel Glühwürmer unten in dem Tale,

Wo Wein vielleicht er erntet oder ackert,

Der Landmann, der am Bergesabhang ruht,

Sobald die Fliege weichen muß der Mücke,

Erblickt, wenn der Planet, der Licht der Welt leiht,

Sein Antlitz uns am wenigsten verbirgt,

Von so viel Flammen sah die achte Bolgia

Ich rings erglänzen, als ich zu der Stelle

Gelangt war, wo ihr Boden sich mir zeigte.

Wie der Prophet, der sich durch Bären rächte,

Entschwinden sah den Wagen des Elias,

Als steil gen Himmel sich die Rosse hoben,

Und wie, als mit dem Aug' er ihn verfolgte,

Er endlich nichts mehr sah, als nur die Flamme,

Die einem Wölkchen gleich nach oben schwebte,

So regte sich im Schlunde jenes Grabens

Jedwede Flamm' ohn' ihren Raub zu zeigen;

Denn einen Sünder raubt sich deren jede.

Zum Sehen vorgeneigt stand auf der Brück' ich,

Und, hätt' ich nicht ein Felsenstück ergriffen,

So wär ich nieder ohne Halt gefallen.

Mein Führer, der mich so gefesselt sah,

Begann: In jenen Feuern weilen Geister;[110]

In das hüllt jeder sich, wovon er lodert. –

Mein Meister sagt' ich drauf, durch deine Worte

Werd' ich bestärkt; doch hatt' ich schon erraten,

Daß also sich's verhielt', und wollte fragen,

Wer in der Flamme weilt, die so nach oben

Geteilt erscheint, wie die des Scheiterhaufens,

Der Eteokles mit dem Bruder trug? –

Ulyss', erwidert' er, und Diomedes

Erleiden Straf' in ihr, die jetzt zur Rache,

Wie einst zum Zorne, miteinander gehn.

In jener Flamme büßen sie die Tücke

Des Pferdes, welches jenes Tor gebrochen,

Durch das der Römer edler Samen ausging.

Dort büßen sie die List, ob der im Tode

Noch Deidamia um Achilles trauert.

Auch dem Palladium gilt zugleich die Strafe. –

O Meister, sagt' ich, wenn in jenen Flammen

Sie reden können, bitt' ich dich inständig

Und bitte, daß die Bitt' als tausend gelte,

Du mögest dich nicht weigern, zu verweilen

Bis hierher die gehörnte Flamme kommt.

Du siehst es wie der Wunsch mich zu ihr hinneigt. –

Und er zu mir: Weil allen Lobes wert ist

Was du begehrest, heiß' ich es genehm;

Doch deine Zung' enthalte sich der Rede,

Laß mich nur sprechen. Wohl hab' ich verstanden,

Um was es dir zu tun; weil jene Griechen

Gewesen, möchten sie dein Wort nicht achten. –

Als nun so weit die Flamme war gekommen,

Daß Zeit und Ort dem Führer passend schienen,

Hört' ich in solcher Weise ihn beginnen:

Ihr, die ihr zweie seid in einem Feuer,

Wenn ich um euch mir wenig oder viel

Verdienst' erworben, während meines Lebens,

Als droben die erhab'nen Vers' ich schrieb,

So haltet an, und einer von euch sage,[111]

Wohin er ging, als er verscholl und starb. –

Da hub das größre Horn der alten Flamme

Zu flackern und dabei zu brausen an,

Der Flamme gleich, die mit dem Winde kämpfet.

Dann regte sie die Spitze hin und wieder,

Als ob zum Reden sie die Zunge wäre

Und ihre Stimm' erscholl in diesen Worten:

Als Circe ich verlassen, welche länger

Mich als ein Jahr, dort bei Gacta festhielt

Eh' noch Aeneas also es benannte,

Vermochten nicht die Zärtlichkeit zum Sohne

Und nicht die Ehrfurcht für den alten Vater,

Die Liebe nicht, durch die Penelope'n

Zu freun mir oblag, jenen Trieb zu dämpfen,

Der mich die Welt und Tugenden wie Laster

Der Menschen weiter noch erkunden hieß.

So fuhr ich mit der kleinen Zahl Gefährten,

Die mir verblieb, auf einem einz'gen Schiffe

Hinaus in's weite schrankenlose Meer.

Ich sah die beiden Ufer bis nach Spanien

Und nach Marokko, sah die Sarderinsel,

Sowie die andren, die dies Meer bespület.

Schon alt und träge waren die Gefährten

Gleich mir geworden, als wir zu der Enge,

Wo Herkules die Zeichen setzte, kamen,

Daß weiter vorzudringen niemand wage.

Zur Rechten ließen wir Sevilla liegen,

Schon war zur andern Ceuta uns geblieben.

O Brüder, sagt' ich, die durch hunderttausend

Gefahren ihr erreicht den fernen Westen,

Versagt dem kurzen Abend eurer Sinne,

Der euch noch übrig ist, nicht die Erfahrung,

Der Bahn der Sonne folgend, jenen Teil

Der Welt, der unbewohnt ist, zu erkunden!

Erwägt den Samen, welchem ihr entsprossen:

Ihr seid bestimmt, nicht Tieren gleich zu leben,[112]

Nein, Tugend zu erringen und Erkenntnis. –

So eifrig machte diese kurze Rede,

Zur Weiterreise alle die Gefährten,

Daß sie zu halten kaum vermocht ich hätte.

Gen Morgen wandten wir das Steu'r und machten

Zu Flügeln unsres tör'gen Flugs die Ruder,

Indem wir stets zur linken Seite hielten.

Schon sah die Nacht vollzählig die Gestirne

Des andren Poles, und so tief den unsren,

Daß aus der Meeresfläch' er nicht mehr aufstieg.

Das Licht der Mondesscheibe hatte fünfmal

Sich neu entzündet, war fünfmal erloschen,

Seit hinter uns den Engpaß wir gelassen,

Als sich ein Berg uns zeigte, welchen dämmrig

Die Ferne scheinen ließ, und solcher Höhe

Als keinen noch ich je zuvor gesehen.

Wir freuten uns, doch folgten bald die Tränen;

Denn von dem neuen Land' erhob ein Sturm sich,

Der unsres Schiffes Vorderteil erfaßte.

Dreimal trieb er im Kreis' es mit den Wellen;

Beim vierten hob das Steuer er empor

Und ließ auf höhren Willen in die Tiefe

Den Schnabel schießen, bis das Meer uns deckte. –

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 109-113.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
La Commedia / Die göttliche Komödie: I. Inferno / Hölle Italienisch/Deutsch
Inferno: Die göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Arnim, Bettina von

Märchen

Märchen

Die Ausgabe enthält drei frühe Märchen, die die Autorin 1808 zur Veröffentlichung in Achim von Arnims »Trösteinsamkeit« schrieb. Aus der Publikation wurde gut 100 Jahre lang nichts, aber aus Elisabeth Brentano wurde 1811 Bettina von Arnim. »Der Königssohn« »Hans ohne Bart« »Die blinde Königstochter« Das vierte Märchen schrieb von Arnim 1844-1848, Jahre nach dem Tode ihres Mannes 1831, gemeinsam mit ihrer jüngsten Tochter Gisela. »Das Leben der Hochgräfin Gritta von Rattenzuhausbeiuns«

116 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon