Siebenter Gesang

[34] Pape, Satan, Pape Satan, Aleppe! –

So hub mit rauher Stimme Pluto an;

Doch, alles wohlerkennend, sprach der Weise

Mir gütig zu: Laß nimmer dich von Furcht

Beirren; denn, wie groß auch seine Macht sei,

Wird sie des Felsens Abstieg dir nicht rauben. –

Dann wandt' er sich zu dem geduns'nen Antlitz

Und sagte: Schweig vermaledeiter Wolf!

Verzehre deine Wut im eignen Herzen.

Nicht Willkür heißt zur Nacht uns niedersteigen;

Dort oben will man es, wo Michael

Des Hochmuts Hurerei zu rächen wußte. –

Wie Segel, aufgebläht vom günstigen Winde,

Zusammenfallen, wenn der Mast zerbricht,

So fiel zu Boden dieses grimme Untier.

Wir aber gingen ein zur vierten Lache,

Das Ufer voller Schmerz noch mehr umkreisend,[34]

Das alles Weh der Welt in sich begreift.

O göttliche Gerechtigkeit, wer häufte

Die Strafen all, die Qual auf, die ich sah?

Warum schafft unsre Schuld uns solche Leiden?

Wie dort an der Charybdis eine Welle

Sich an der andern bricht, auf die sie stößt,

So wirbelten die Schatten hier zusammen.

Des Volkes mehr als anderwärts noch sah ich,

Das, mit der Brust sich gegenstemmend, Lasten

Von beiden Seiten wälzte mit Geheule.

Sie stießen aufeinander, und dann wandte

Zur Stelle jeder sich und wälzte rückwärts

»Was hältst du fest?« »Was wirfst du von dir?« rufend.

So kehrten zum entgegenstehenden Punkte

Im dunklen Kreis' allseitig sie zurück,

Das Lied des Hohns sich unablässig singend.

Und wer durchmessen seinen Halbkreis, drehte

Zu neuem Aufeinanderstoß sich um.

Ich, dessen Herz von Mitleid fast durchbohrt war,

Begann: O Meister jetzt verkünde mir,

Wer diese sind, und ob die Tonsurierten

Zu unsrer Linken alle geistlich waren? –

Drauf er: Im ersten Leben waren alle

So geistig blind, daß sie nichts ausgegeben,

Wobei das rechte Maß sie eingehalten.

Ihr eigner Ruf gibt dessen bellend Kunde,

Wenn, wo der Schuld Verschiedenheit sie trennt,

Sie an des Kreises Enden sich begegnen.

Die, deren Wirbel unbehaart ist, waren

Geistlichen Standes, Päbst' und Kardinäle,

In denen Geiz sein höchstes Maß erreichet. –

Und ich: O Meister, unter diesen Schatten

Vermut ich mehrere, die mir bekannt sind,

Weil sie mit solcher Sünde sich beschmutzten. –

Der Meister aber sprach: Dein Wahn ist irrig.

Das einsichtslose Leben, das sie führten,[35]

Verdunkelt sie für jegliches Erkennen.

Zum Doppelanprall kommen sie auf ewig.

Geschornen Haupts erstehn noch aus dem Grabe

Die einen, mit geschlossener Faust die andern.

Verkehrtes Geben oder Halten raubte

Den Himmel ihnen, treibt zu diesem Kampf sie,

Den dir zu schildern ich die Worte spare.

Erkennen kannst du nun den kurzen Wahn

Der Güter, die dem Glück sind übergeben

Und die zu so viel Streit die Welt entflammen.

Denn alles Gold, das jetzt sich unterm Monde

Befindet, oder je befand, vermöchte

Nicht eine dieser Seelen zu befried'gen –

Drauf sagt' ich, Meister, offenbare mir

Was jenes Glück ist, dessen du gedachtest,

In dessen Klau'n die Erdengüter sind? –

Und er zu mir: O törichte Geschöpfe,

Wie schwer umnachtet euch Unwissenheit.

Nimm achtsam in dich auf nun meine Lehre!

Er, dessen Wissen alles übersteiget,

Erschuf die Himmel, gab jedwedem Lenker,

So daß in gleichbemess'ner Lichtverteilung

Ein jeder jeden andern Teil bestrahlet.

So auch zur allgemeinen Lenkerin

Der Erdengüter ordnet' er Fortuna,

Die jenen eitlen Glanz zur rechten Stunde

Von Volk zu Volk, von Stamm zu Stamm vertausche,

Entrückt der Gegenwehr von Menschenklugheit.

Nach ihrem Urteilsspruch, der sich verborgen,

So wie die Schlang' im Grase hält, geschieht es,

Daß ein Geschlecht regiert, ein andres kranket.

Machtlos ist gegen sie eu'r ganzen Wissen;

Sie überlegt, beschließet und vollstreckt

In ihrem Reiche so wie andre Götter.

Nicht Rast, nicht Ruhe kennt ihr ewger Wandel;

Notwendigkeit beflügelt ihre Schritte,

[36] So oft geschieht's daß die Geschicke wechseln.

An's Kreuz geschlagen wird sie von gar vielen

Auch unter denen, welche Preis ihr schulden

Und sie mit Unrecht tadeln und verläumden;

Doch unberührt bleibt sie von solcher Rede

Mit andern erstgeschaffnen Wesen lenket

Sie freudig ihre Sphär' in Seligkeit.

Laß nun zu größrer Qual uns niedersteigen

Schon senkt sich jeder Stern, der als ich aufbrach

Emporstieg, längres Weilen ist nicht statthaft. –

Das Tal zum andern Ufer hin durchschneidend

Gelangten wir zu einem Quell, der siedet

Und niederwärts durch einen Graben abfließt.

Es war sein Wasser schwarz mehr als nur dunkel

Und im Geleite seiner finstren Wellen

Führt' uns ein Pfad hinab, der rauh und seltsam.

Styx heißt der Sumpf, den dieser traur'ge Bach

Am Fuß der unheilvollen Felsen bildet,

Von deren grauer Wand er in das Tal fließt.

Und ich, der sorglich umzuschaun bemüht war,

Sah schlammbedeckte Leut' in jenem Sumpfe

Ganz nackend und mit zornerregten Zügen.

Nicht nur mit Händen schlugen sie einander,

Sie stießen sich mit Kopf und Brust und Füßen,

Zerfleischten sich durch Bisse gegenseitig.

Mein Meister aber sagte: Sohn hier siehst du

Die Seelen derer, die der Zorn bezwungen.

Doch mögest du als gleich gewiß mir glauben,

Daß andres Volk noch unterm Wasser seufzet

Und diesen Sumpf die Blasen werfen läßt,

Die dir dein Auge zeigt wohin du's wendest.

Im Schlamme steckend sagen sie: Wir waren

Unmutig in der süßen lichten Luft,

Weil unser Herz des Trübsinns Qualm benommen;

Jetzt trauern wir mit Recht im schwarzen Moore. –

Doch gurgeln sie dies Lied nur in der Kehle,[37]

Weil sie's voll auszusprechen nicht vermögen. –

Damit umkreisten wir im weiten Bogen

Die schmutz'ge Lache zwischen Mitt' und Ufer,

Die Augen zugewandt den Schlammverschluckern;

Dann kamen wir zu eines Turmes Fuße.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 34-38.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
La Commedia / Die göttliche Komödie: I. Inferno / Hölle Italienisch/Deutsch
Inferno: Die göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon