Siebenundzwanzigster Gesang

[113] Schon wieder aufrecht stand die Flamm' und, weil sie

Nicht weiter sprach, nun ruhig, und entlassen

Vom süßen Dichter, eilte sie von hinnen,

Als eine zweite, hinter jener folgend,

Durch einen wirren Ton, der von ihr ausging,

Auf ihren Gipfel unsre Blicke lenkte.

Sowie Siziliens Stier der, wohlverdient,[113]

Zum erstenmal von dessen Wehruf brüllte,

Der ihn gestaltete durch seine Feile,

Wie dieser Stier in des Gequälten Stimme,

Obwohl von Kupfer, doch nicht anders brüllte,

Als ob von Schmerzen er gemartert würde,

So wandelten sich die betrübten Worte,

Die aus dem Ursprung tief im Feuer Ausgang

Und Weg nicht fanden, in des Schattens Sprache.

Doch, als sie oben, durch der Flamme Spitze

Den rechten Pfad gewählt und ihr die Regung

Erteilt, die von der Zunge sie erhalten,

Vernahmen wir: O du, an den die Rede

Ich richt', und der vorhin Lombardisch sprach

Und sagte: Geh', ich halte dich nicht länger,

Verschmähe nicht, weil später ich gekommen,

Hier mit mir redend etwas zu verweilen;

Verschmäh', doch ich es nicht, obwohl ich brenne.

Bist du erst jüngst in diese blinde Welt

Gestürzt aus der Lateiner süßem Lande,

Aus dem was ich gesündigt alles kommt,

So sag' ob Krieg, ob Fried' ist in Romagna.

Denn dem Gebirg' entstammt' ich nächst Urbino

Und jenem Joch, von dem die Tiber ausgeht. –

Geneigt nach unten stand ich noch und horchte;

Da stieß die Seite leise mir der Meister

Und sagte: Rede du, der ist Lateiner. –

Ich aber, der bereit die Antwort hatte,

Begann nun ohne Säumen so zu reden:

O Seele, die verhüllt dort unten weilet,

In seiner Zwingherrn Brust war dein Romagna

Von Kriege nimmer frei und ist's auch jetzt nicht,

Doch keinen offenbaren ließ ich dort.

Noch ist Ravenna, wie es war seit Jahren:

Es hauset dort der Aar der Polentaner,

So daß er Cervia deckt mit seinen Schwingen.

Der Ort, der einst so lange standgehalten[114]

Und der Franzosen Leichen blutig türmte,

Ist noch den grünen Tatzen unterworfen.

Verrucchio's alter Hund, sowie der neue,

Die übel mit Montagna umgesprungen,

Sie hau'n die Zähne ein wo sie gewohnt sind.

Der kleine Löwe in dem weißen Neste,

Der die Partei vom Sommer tauscht zum Winter,

Lenkt des Lamone Stadt und des Santerno.

Und jen', an deren Flanke spült der Savio,

Weilt zwischen Tyrannei und freiem Wesen,

So wie sie zwischen Berg und Ebne liegt.

Nun aber bitt' ich, wer du sei'st, bericht' uns.

Sei härter nicht, als wie die andren waren,

Soll lange in der Welt dein Name dauern. –

Nachdem zuvor das Feuer eine Weile

Nach seiner Art gebrüllt, regt' es die Spitze

Hierhin und dorthin, und dann haucht' es also:

Glaubt' ich, daß meine Antwort wer vernähme,

Der je zur Oberwelt zurückgelangte,

So bliebe unbeweglich diese Flamme.

Weil aber, ist, was man sagte, richtig,

Lebendig niemand diesem Schlund' entstiegen,

Kann ohne Furcht der Schmach ich Antwort geben.

Ich war ein Kriegsmann, nahm dann Strick und Kutte

Und dachte Buß' in diesem Kleid zu tun;

Und was ich glaubte, Wahrheit wär's geworden,

War nicht der große Pfaff, den Unheil treffe,

Der mich zurückzog in die alten Sünden;

Wie und warum sollst du nun von mir hören.

Solang ich Form des Fleisch's und der Gebeine

Noch war, die mir verlieh'n die Mutter, hatten

Nicht Löwen- sondern Fuchsart meine Taten.

Mit allen Listen und verdeckten Wegen

War ich bekannt und übte so geschickt sie,

Daß bis an's End der Welt davon erzählt ward.

Als zu dem Lebensalter ich gediehn war,[115]

Wo einzuziehn die Taue, und die Segel

Herabzulassen jeglichem geziemt,

Beklagt' ich was zuvor erfreut mich hatte,

Und beichtete reumütig meine Sünden;

Und, wehe mir! es hätte mir gefruchtet!

Allein der Fürst der neuen Pharisäer,

Als Krieg er führte dort beim Lateran,

Und nicht mit Sarazenen oder Juden

(Denn Christen waren seine Feinde sämtlich,

Und keiner war bei Akkons Fall beteiligt,

Noch Kaufmann in des Sultans Land gewesen)

Mißachtet' er in sich sein höchstes Amt

Und seine heil'gen Weih'n, an mir den Strick,

Der magrer sonst, die die ihn tragen, machte.

Wie Konstantin aus des Soracte's Wildnis

Sylvester rief, den Aussatz ihm zu heilen,

So rief auch dieser mich, daß ich ein Arzt ihm

Zur Heilung seines Hochmutsfiebers würde

Er frug um meinen Rat; ich aber schwieg,

Denn seine Worte achtet' ich für trunken.

Dann sagt' er: Fürchte nicht in deinem Herzen,

Ich spreche dich im voraus los; doch lehre

Mich, wie ich Palästina niederwerfe.

Den Himmel kann so lösen ich als binden,

Wie du wohl weißt, darum sind zwei der Schlüssel,

Die mein Vorgänger nicht zu schätzen wußte. –

Bestimmt ward ich von den gewicht'gen Gründen,

Die mir als schlimmstes Teil das Schweigen wiesen,

Und sagte: Vater, da du von der Sünde,

In die ich fallen soll, mich also rein wäschst,

Wird viel versprechen und nur wenig halten

Im hohen Sitze dir Triumph verleihn. –

Als ich dann tot war, kam um meinetwillen

Der heil'ge Franz; jedoch ein schwarzer Cherub

Rief aus: Laß ab von ihm, tu mir kein Unrecht!

Herab zu meinen Knechten muß er kommen,[116]

Weil den betrügerischen Rat er gab,

Seit welchem meine Hand am Schopf ihn festhielt.

Lossprechen kann man den nur, der bereut,

Und sünd'gen und bereu'n geht nicht zusammen

Des Widerspruches wegen, der's nicht zuläßt. –

O weh mir Armen, wie entsetzt' ich mich,

Als er mich packt' und rief: Du dachtest

Wohl nicht, daß ich auf Logik mich verstünde? –

Zu Minos bracht' er mich, und der umwandte

Den harten Rücken achtmal mit dem Schweife

Und biß vor großer Wut dann noch hinein.

Der, sagt' er, kommt zum räuberischen Feuer! –

Drum bin ich da, wo du mich siehst verloren

Und wandle jammervoll in solchem Kleide.

Als seine Rede also er beendet,

Verließ die Flamm' uns unter Schmerzenslauten,

Indem ihr spitzes Horn sie dreht' und regte.

Dann gingen wir, ich und mein Führer, weiter

Den Felsen hin bis zu dem andren Bogen,

Der ob dem Tal sich wölbt, in dem die Buße

Die zahlen, die durch Spaltung sich belasten.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 113-117.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
La Commedia / Die göttliche Komödie: I. Inferno / Hölle Italienisch/Deutsch
Inferno: Die göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Cleopatra. Trauerspiel

Cleopatra. Trauerspiel

Nach Caesars Ermordung macht Cleopatra Marcus Antonius zur ihrem Geliebten um ihre Macht im Ptolemäerreichs zu erhalten. Als der jedoch die Seeschlacht bei Actium verliert und die römischen Truppen des Octavius unaufhaltsam vordrängen verleitet sie Antonius zum Selbstmord.

212 Seiten, 10.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon