|
[100] In jener Zeit des jungen Jahres, wo
Die Sonn' ihr Haar im Wassermanne kräftigt
Und gegen Süden schon die Nächt' entweichen,
Geschieht's wohl, daß der Reif den Boden rings
Mit seiner weißen Schwester Bild malt;
Doch seiner Feder Schnitt hält wenig vor.
Dann steht der Landmann, dem das Futter mangelt,
Am Morgen auf, und, sieht er seine Felder
Weiß überdeckt, so schlägt er sich die Hüfte,
Kehrt wieder heim und klagt nach allen Seiten
Dem Armen gleich, der sich nicht weiß zu raten.
Noch einmal schaut er aus, und seine Hoffnung
Erstarkt auf's neu; denn schon sieht er verwandelt
Das Ansehn der Natur, und schnell ergreift er
Den Stab um seine Schäflein auszutreiben.
Also erschrak ich, als des Meisters Stirne,
Mit Wolken, wie ich wahrnahm, sich umzog,
Also gab für die Wund' er schnell das Pflaster.
Denn, als wir kamen zur zerstörten Brücke,
Wandt' er zu mir sich mit dem güt'gen Ausdruck,
Den ich zuerst am Fuß des Berges sah:
Die Arme tat er auf und, als ein Weilchen
Er sich bedacht, indem das Felsgetrümmer
Er überschaute, hob er mich empor.
Wie wer zu gleicher Zeit erwägt und ausführt,
Und, handelnd, immer vorzusorgen scheint,
So tat auch er indem er mich hinauftrug.
Von einer Klipp' erspäht' er schon die zweite
Und sagt': An jene halte dich nun an;
Doch prüfe erst, ob festen Fuß sie bietet. –
Das war kein Weg im Mantel ihn zu machen!
Ihm, der so leicht, und mir, von ihm gehoben,
Gelang es kaum, von Fels zu Fels zu klettern.[101]
Und wäre nicht des Tales inn're Böschung
Viel niedriger, so weiß ich nicht, ob er;
Ich aber wäre sicher unterlegen.
Weil aber Malebolge nach der Mündung
Des tiefsten Brunnens sich herniedersenkt,
So bringt des Orts Beschaffenheit es mit sich,
Das ein Rand aufsteigt und der andre abfällt.
Endlich gelangten wir zum obren Saume,
Von wo der letzte Stein diesseits geneigt ist.
So gänzlich war der Atem mir vergangen,
Als ich dort ankam, daß ich nicht mehr konnte
Und vor Erschöpfung gleich mich niedersetzte.
Der Lässigkeit mußt du dich nun erwehren,
Begann mein Meister, denn auf Lotterbetten
Gelangt zum Ruhm man nicht, noch unter Daunen.
Wer aber ohne den sein Leben hinbringt,
Läßt keine andre Spur zurück auf Erden,
Als in der Luft der Rauch, der Schaum im Wasser.
So steh' denn auf, bezwinge die Erschöpfung
In jenem Willen, der den Kampf zum Sieg führt,
Beugt er sich nur nicht vor des Körpers Schwere.
Viel höh're Stiege bleibt noch zu erklimmen.
Von diesen los zu sein, reicht noch nicht hin;
Verstehst du mich, so laß es sich bewähren. –
Sofort erhob ich mich und, mich bestrebend
An Atem reicher als ich war zu scheinen,
Sagt' ich: Wohlan, mutvoll bin ich und kräftig. –
Den Brückenfels hinan führt' unser Weg,
Der eng und rauh und schwierig war zu gehen
Und steiler noch um vieles als der früh're;
Doch sprach im Geh'n ich, um nicht matt zu scheinen
Da tönte aus dem Graben eine Stimme,
Die ungeschickt schien, Worte zu gestalten.
Ich weiß nicht, was sie sagte, ob ich gleich
Schon angelangt war auf des Bogens Höhe;
Doch schien der Redende erregt von Zorne.[102]
Ich sah hinab: doch des Lebend'gen Auge
Erreichte durch das Dunkel nicht den Boden.
Drum sagt' ich: Meister laß uns jenes Ufer
Gewinnen und die Böschung niedersteigen
Wohl hören kann ich hier, doch nichts verstehen,
So seh' ich auch, und kann doch nichts erkennen. –
Statt aller Antwort, sagt' er, will ich tun
Was du begehrt; denn die verständ'ge Bitte
Soll durch die Tat man, ohne Wort', erfüllen. –
So stiegen von der Brücke wir hernieder,
Dort wo das achte Ufer sie berühret,
Und nun ward mir die Bolgia offenbar.
Da drinnen kroch und wimmelt' es von Schlangen,
So grauenvoll und so verschiedner Arten,
Daß mir das Blut gerinnt, denk ich daran.
So viel kann sich Lybiens Sand nicht rühmen;
Denn, zeugt er Vipern auch und Ringelnattern,
Gleich Ottern und viel ähnlichem Gezüchte,
Zeigt' er doch nie so viel und argen Giftstoff,
Auch wenn man Äthiopien noch hinzunimmt
Und das am roten Meer belegne Land.
Und zwischen all' dem gräulichen Getiere
Sah hin und her ich Nackte laufen, welche
Umsonst nach Heliotrop und Schlupfloch suchten.
Rücklings gebunden waren ihre Hände
Von Schlangen, die mit Kopf und Schwanz ihr Kreuz
Durchbohrt, um beide vorne zu verknoten.
Da schnellt' auf einen, der uns nahe stand,
Sich eine Schlange los und sie durchstach ihn,
Wo mit dem Hals der Nacken sich verbindet.
Kein O ward je so schnell, kein I geschrieben,
Als er in Flammen aufging und verbrannte
Und dann zu Boden fiel, ein Häuflein Asche.
Kaum aber lag er so zerstört danieder,
Als sich der Staub auf's neu' zusammenfand
Und wieder ward, was er zuvor gewesen.[103]
So melden uns die Weisen alter Zeit,
Daß, wenn er auf fünfhundert Jahr sein Alter
Gebracht, der Phönix stirbt und wieder auflebt.
Nicht Korn noch Kräuter frißt er all sein Leben;
Amomus nährt ihn nur und Weihrauchstränen,
Sein Leichentuch sind Nard' und Myrrhenbalsam.
Und wie, wer niederfällt, weil ihn ein Dämon
Besessen, oder weil sein Blut in Stockung
Geriet, so daß ihm das Bewußtsein schwand,
Wenn er dann wieder aufsteht, rings umherschaut,
Und, ganz verstört von der erlitt'nen Angst,
Beklommen seufzt, wie er die Augen öffnet,
So tat der Sünder als er sich erhoben.
O Allmacht Gottes, wohl bemißt du richtig,
Wenn solche Schläge du zur Rache austeilst!
Dann frug der Führer ihn nach seinem Namen.
Und er darauf: Ich schneite aus Toskana
Unlängst in diesen grausen Schlund hernieder.
Ein Bastard war ich, und ich führt' ein Leben
Mehr vieh- als menschengleich, hieß Vanni Fucci,
Das Vieh. Pistoja war mir würd'ges Lager. –
Zum Meister sagt ich: Heiß' ihn, nicht entschlüpfen
Und frag' ihn, welche Schuld hierher ihn brachte;
Einst kannt' ich ihn als Mann des Blut's und Zornes. –
Der Sünder wandte, als er dies vernommen,
Zu mir so Aug' als Sinn, und ohne Hehl
Sprach traurig er und Scham färbt' ihm die Wangen:
Mehr schmerzt es mich, daß ich in solchem Elend,
Wie du hier siehst, von dir ward angetroffen,
Als mich es schmerzte, aus der Welt zu scheiden.
Versagen mag ich nicht, was du begehrst:
Weil in der Sakristei der Prachtgeräte
Ich stahl, ward ich verdammt in solche Tiefe,
Und fälschlich ward's wem andren beigemessen.
Doch, daß du solchen Anblicks dich nicht freuest,
Wenn je die finstren Räume du verlässest,[104]
So hör' auch das, was ich dir nun verkünde:
Pistoja wird zuerst an Schwarzen ärmer,
Dann wandlen sich in Florenz Leut' und Sitten.
Dunst ruft aus Val di Magra Mars hervor,
Um den sich trübe Wetterwolken lagern;
Dann wird auf dem Picenischen Gefilde
Gekämpft mit mächtigem und wildem Sturme.
Der aber wird den Nebel schnell zerreißen,
So daß der Schlag jedweden Weißen trifft.
Dies sagt ich Dir, um dich damit zu kränken. –
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
1858 in Siegburg geboren, schreibt Adelheit Wette 1890 zum Vergnügen das Märchenspiel »Hänsel und Gretel«. Daraus entsteht die Idee, ihr Bruder, der Komponist Engelbert Humperdinck, könne einige Textstellen zu einem Singspiel für Wettes Töchter vertonen. Stattdessen entsteht eine ganze Oper, die am 23. Dezember 1893 am Weimarer Hoftheater uraufgeführt wird.
40 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro