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[196] Zum höchsten Punkt der Treppe waren wir
Gelangt, wo in dem Berg, der die Ersteiger
Von Schuld befreit, ein zweiter Einschnitt ist.
Hier windet um den Hügel sich als Kranz
Ein breiter Weg, der ganz dem ersten ähnlich,
Nur daß sein Umkreis enger ist gebogen.
Nicht Bildwerk ist, nicht Zeichnung dort zu sehen;
Es zeigt das Ufer gleich dem schlichten Boden
Nichts andres, als des Steines düst're Farbe.
Wenn um zu fragen, Leute wir erwarten,
Begann der Meister, fürchte ich, es möchte
Zu lange uns're Wahl sich hier verzögern. –
Dann richtet' er zur Sonne fest das Auge,
Und wandte seines Körpers linke Seite,
Indem als Zentrum ihm die rechte diente.
O süßes Licht, auf welches ich vertrauend
Den neuen Weg betrete, führe du uns,
So sprach er, wie zu geh'n sich hier gebühret.
Du bist es, das die Welt wärmt und erleuchtet;
Es soll dein Strahl, wo kein besondrer Grund
Das Gegenteil befiehlt, uns Führer sein. –
Gemacht schon hatten wir nach ird'scher Rechnung
Wohl eine Miglie Weg's; doch bei dem Eifer
Der uns beseelte, in gar kurzer Frist.
Da hörten wir, doch ohne sie zu sehen,
Wie Geister uns im Flug' entgegenschwebten,[196]
Zum Liebesgastmahl süße Ladung rufend.
Sie haben keinen Wein, – so sagte laut
Die Stimme, die zuerst vorüberflog
Und wiederholt' es hinter uns noch weiter.
Und noch bevor wir sie, ob der Entfernung,
Nicht mehr vernahmen, rief im raschen Fluge
Die zweit': Ich bin Orest – und zog vorüber.
O Vater sagt ich, was für Stimmen sind das? –
Und während ich noch frug, erscholl die dritte,
Die sagte: Liebet, die euch übeltaten. –
Der Meister sagte: Dieser Gürtel züchtigt
Die Schuld des Neides; darum ist die Geißel
Mit Strängen, die die Liebe beut, bewehrt.
In and'rem Sinne muß der Zügel lauten;
Vernehmen wirst du's, wenn ich recht vermute,
Eh' du zum Ausgang, der da sühnt, gelangest.
Doch richte vorwärts, aufmerksam die Augen
Und sitzen siehst du eine Reihe Schatten,
Von denen jeder an die Felswand lehnet. –
Da öffnet' ich mehr als zuvor die Augen,
Und Leute sah ich angetan mit Mänteln,
Nicht unterschieden von des Steines Farbe.
Als etwas weiter wir gegangen waren,
Da hört ich rufen: Bitt' für uns Maria,
Und Petrus, Michael und alle Heil'gen. –
Wohl glaub' ich, daß auf Erden niemand wandelt
So harten Herzens, daß ihn nicht das Mitleid
Bei dem, was ich nun sah, ergriffen hätte;
Denn als so nah zu ihnen ich gelangt war,
Daß ihre Haltung sicher ich erkannte,
Brach bitt'rer Schmerz hervor aus meinen Augen.
Mit grobem Haartuch waren sie bekleidet
Und auf des Nächsten Schulter stützte jeder
Sich, wie das Felsenufer alle stützte.
So sieht die Blinden man, die Mangel leiden,
Wenn sie beim Ablaß Gaben sich erbitten,[197]
Sein Haupt den einen auf den andren lehnen,
Damit noch neben ihrer Worte Inhalt
Der Anblick, der nicht minder dringend bittet,
In fremden Herzen rasch das Mitleid wecke.
Und wie den Blinden nichts die Sonne fruchtet,
So will das Himmelslicht an jenem Orte
Den Schatten nichts von seinem Glanz gewähren;
Denn aller Augenlid durchbort ein Draht
Und schließt es also wie dem wilden Sperber
Zu tun man pflegt, damit er ruhig bleibe.
Mir kam es vor, als ob ich Unrecht tue,
Wenn, ungesehn, die and'ren ich beschaute;
Drum wandt' ich mich zu meinem weisen Rater.
Und da er den noch Stummen schon verstand,
Erwartet' er nicht erst, daß ich ihn früge
Und sagte: Rede kurz denn und verständig. –
Virgil ging neben mir auf jener Seite,
Wo man gefährdet ist hinabzufallen,
Weil Raum für keinen Rand das Ufer läßt.
Zur and'ren Seite saßen still ergeben
Die Schatten, welche durch die grause Nat
So preßten, daß sich ihre Wangen netzten.
Ich wandte mich zu ihnen und begann:
O Seelen, sicher, einst das Licht zu schauen,
Nach dem allein sich eu'r Verlangen richtet,
Soll Gnade bald den letzten Schaum zerstreuen,
Der eu'r Gewissen trübet, so daß helle
Die Rückerinn'rung in ihm niederfließe,
So sagt mir, ob Lateinerin nicht eine
Hier unter euch ist; mir wär' es willkommen,
Und fruchten könnt es ihr, wenn ich's erfahre. –
O Bruder, Bürgerin ist hier jedwede
Der einen wahren Stadt; doch willst du sagen,
Ob ein' als Pilgerin in Wälschland lebte. –
Die Worte glaubt' ich etwas weiterhin,
Als wo ich stand, zur Antwort zu vernehmen,[198]
Weshalb mein Vorgehn ich bemerklich machte.
Da sah ich einen Schatten, dem das Warten
Man ansah, und wenn jemand früg': An was denn?
So sag' ich, Blinden gleich, erhob das Kinn er.
Geist, der um aufzusteigen, Qualen duldet,
Bist du's, begann ich, der mir Antwort gab,
So mach durch Namen oder Ort dich kenntlich. –
Ich war aus Siena, sprach er, und mit allen,
Die hier sind, läutr' ich mich vom schuld'gen Leben,
Daß Gott sich uns gewähr', in Tränen bittend.
Sapía ward ich zwar genannt; doch weise
War ich so wenig, daß der Schaden and'rer
Mehr als mein eigner Vorteil mich erfreute.
Damit du nicht, daß ich dich täusche glaubest,
So höre selbst, wie töricht ich gewesen:
Schon neigte abwärts sich mein Lebensbogen
Als meine Landsgenossen dort bei Colle
Mit ihrer Feinde Heer zusammenstießen.
Da bat ich Gott um das, was er beschlossen.
Geschlagen wurden sie und in die Schritte
Der bitt'ren Flucht gejagt, und meine Freude,
Als ich die Flücht'gen sah, war außer Maßen,
So daß empor die kecke Stirn ich wandte
Und rief: O Gott, nun fürcht' ich dich nicht länger;
Wie wegen wenig Sonnenscheins die Amsel.
Am Ende meines Lebens sucht' ich Frieden
Mit Gott; doch würde meine Schuld durch Buße
Noch sich zu mindern nicht begonnen haben,
Wenn nicht in seinen heiligen Gebeten
Sich aus Erbarmen Peter Pettinagno
Fürbittend meiner oft erinnert hätte.
Doch wer bist du, der du nach uns'rem Zustand
Mit ungebundnem Auge also fragest,
Und bei dem Sprechen, wie ich glaube, atmest? –
Das Auge wird auch mir geraubt hier werden;
Doch kurze Zeit nur, sagt' ich, denn die Sünde,[199]
Die neidisch blickend es verübt, ist klein nur.
Viel größre Furcht indes hält meine Seele
Befangen vor der Qual im vor'gen Kreise
Und drücken fühl' ich schon die Last dort unten. –
Und sie zu mir: Wer führte hier herauf dich,
Wenn du nach unten denkst zurückzukehren? –
Und ich: der mir zur Seite geht und schweiget.
Lebendig bin ich; drum, erwählter Geist,
Verlange nur, wenn dir daran gelegen,
Daß jenseits ich für dich den Fuß noch rege. –
So neu ist was du sagst und unerhört,
Sprach sie, daß es bezeugt, Gott liebe dich;
Drum denke manchmal in Gebeten meiner.
Auch bitt' ich dich bei dem, was du vor allem
Ersehnst, daß, kommst du jemals nach Toscana,
Du meinen Ruf dort herstellst bei den Meinen.
Du findest sie bei dem leichtsinn'gen Volke,
Das noch vergeblicher, wie bei dem Suchen
Der Diana, Hoffnung baut auf Talamone;
Doch schlimmer geht es noch den Admiralen. –
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