|
[242] Das Reden hemmte nicht das Gehn, noch hemmte
Das Gehen jenes, sprechend gingen wir
Schnell wir ein Schiff bewegt von günst'gem Winde.
Und die zum zweitenmal gestorben schienen,
Die Schatten, sogen durch die Augenhöhlen
Verwundrung ein, als sie erkannt, ich lebe.
Fortsetzend meine Rede, sagt' ich drauf:
Vielleicht geht minder schnell, als sonst er täte,
Aus Rücksicht auf wen anders er empor.
Doch wenn du's weißt, so sprich, wo ist Piccarda;
Und sage mir, ob wer bemerkenswert
In dieser Schar sei, die so starr mich anschaut. –
Schon freut sich triumphierend ihrer Krone
Dort droben im Olympe meine Schwester,
Die schön und gut, ich weiß nicht welches mehr, war.
So sprach er erst und dann: Hier ist jedweden
Zu nennen unverwehrt, da unser Fasten
Die Züge des Gesichts so völlig aufsog.
Der hier (und dabei wies er mit dem Finger)
Ist der Lucchese Bonagiunta; jenseits
Das Antlitz, abgezehrter als die andren,
Die heil'ge Kirche hielt's in seinen Armen.
Es war von Tours und büßt hier durch Entbehren
Den edlen Wein und die Bolsener Aale.
Noch viele nannt' er, einen nach dem andren
Und jedem schien genehm, genannt zu werden,[242]
So daß ich finster dreinschaun keinen sah.
Vor Hunger sah umsonst die Zähn' ich brauchen
Den Bonifaz, der mit dem Krummstab viele
Geweidet, so wie Ubaldin von Pila.
Den Herrn Marchese auch, der in Forli
Mit minder trockner Kehle trinken konnte
Und dennoch nimmer sich gesättigt fühlte.
Wie wer, nachdem er umgeschaut, mehr eines
Als andres schätzt, tat ich mit dem von Lucca;
Auch schien von mir am meisten er zu wissen.
Er sprach für sich und da, wo er die Wunde
Des göttlichen Gerichts, das sie verzehret,
Empfand, vernahm ich etwas wie »Gesindel«.
O Seele, sagt' ich, die mit mir zu sprechen
So zu verlangen scheint, laß dich vernehmen,
Daß deine Rede dich und mich erfreue. –
Schon lebt ein Weib, doch trägt sie noch nicht Binden,
Begann er, welche lieh dir meine Stadt
Wird werden lassen, wie man sie auch tadle.
Begleiten wird dich diese Zukunftsahnung,
Und wenn vorhin dich mein Gemurmel täuschte,
So wird der Dinge Wahrheit es bericht'gen.
Doch sage mir, ob den ich vor mir sehe,
Der Lieder neuer Art ersann, beginnend:
»O Frau'n, die ihr Verständnis habt der Liebe«? –
Drauf gab ich ihm zur Antwort: Ich bin einer
Der aufmerkt, wenn mich Amor's Hauch berühret,
Und was er innen vorsagt, schreib' ich nieder. –
Drauf er: Den Knoten, Bruder, seh' ich nun,
Der den Notar, Guittone und mich selber
Diesseits des schönen, neuen Stil's zurückhielt.
Ich sehe wohl, wie eure Federn sorglich
Nur das, was Amor einflößt, wiedergeben;
Das war mit unsren sicher nicht der Fall.
Und wer sich anmaßt weiter noch zu blicken,
Sieht nicht die Kluft von einem Stil zum andren. –[243]
Mit diesen Worten schwieg er wie befriedigt.
Gleichwie die Vögel, die am Nil durchwintern,
Erst in der Luft zu einer Schar sich sammeln,
Dann eiliger in einer Reihe fliegen,
Also beeilten alle, die dort waren,
Das Antlitz wendend, ihre Schritte nun,
Leicht, wie sie Magerkeit und Wille machten.
Und wie, wer müde ist des raschen Laufens,
Voraus läßt die Gefährten, langsam wandelnd
Bis seiner Brust beklommnes Keuchen nachläßt,
So ließ Forese jene heil'ge Herde
Vorüberziehn und langsam mit mir folgend,
Frug er: Wann werd' ich wohl dich wiedersehen? –
Ich weiß nicht, sagt' ich drauf, wie lang' ich lebe;
Doch kehr' ich sicher nicht so früh zurück,
Daß nicht vorausgeeilt mein Wille wäre.
Denn jener Ort, wo mir zu leben obliegt,
Entkleidet täglich mehr sich von der Tugend
Und scheint verfallen unheilvollem Umsturz. –
Er sagte: Geh'; denn der zumeist dran Schuld ist,
Den seh' an eines Tieres Schweif ich schleppen
Hin zu dem Tal, wo nie die Schuld gesühnt wird.
Mit jedem Schritte rennt das Tier geschwinder,
Wird immer wilder, bis es ihn zerschmettert
Und grauenvoll entstellt den Körper läßt.
Nicht viel zu kreisen haben diese Räder
(Und auf zum Himmel richtet' er die Augen),
Bis klar dir wird, was dunkel jetzt mein Wort läßt.
Doch bleibe nun zurück; die Zeit ist teuer
In diesem Reich. Zuviel müßt' ich verlieren,
Ging' fürder ich mit dir so gleichen Schrittes. –
Wie manchmal wohl ein Reiter im Galopp
Allein hervorsprengt aus der Schar, die anrückt,
Daß er des ersten Anprall's Ruhm gewinne;
Also verließ er uns mit größ'ren Sätzen,
Und ich ging weiter fort mit jenen Beiden,[244]
Die lebend so als Führer vorgeleuchtet.
Als jener dann so weit von uns entfernt war,
Daß meine Augen ihm nicht besser folgten,
Als seinem Wort zuvor mein Geist gefolgt war,
Erblickte fruchtbeladen ich und kräftig
Noch eines Baumes Zweig' in kleiner Ferne,
Weil dorthin wir erst eben uns gewendet.
Und Schatten hoben unter ihm die Hände
Und riefen, was verstand ich nicht, zum Laube,
Wie Kindlein, die begehrlich sind und töricht,
Wenn auf ihr Bitten der Gebetne schweigt,
Und um noch zu verschärfen ihre Sehnsucht,
Nicht birgt, was sie begehren, sondern hochhält.
Dann gingen, wie enttäuscht, von ihm sie weiter;
Wir aber kamen zu dem großen Baume,
Der soviel Bitten, soviel Tränen abweist.
Geht, ohne euch zu nahen, rasch vorüber!
Entnommen ist dies Reis dem Baum, von welchem
Einst Eva aß, der weiter oben steht. –
So sprach, ich weiß nicht wer, aus dem Gezweige,
Weshalb ich, Statius und Virgil mich enge
Anschließend, auf der Seite ging, die aufsteigt.
Der Maledeiten denkt, die in der Wolke
Erzeugt (so sprach er), mit zwiefacher Brust,
Als sie des Weines voll, mit Theseus kämpften.
Der Juden auch, die, weil sie trinkend weichlich
Sich zeigten, Gideon nicht mit sich nahm,
Als er die Höh'n gen Midian hinabstieg. –
So hörten dicht am einen Rande gehend,
Die Schuld der Völlerei, sowie die schlimmen
Gewinnste, welche sie gewährt, wir geißeln.
Wohl hatten, breiter auf der öden Straße
Wir gehend, tausend Schritt' und mehr durchmessen,
Und schweigend ging ein jeder in Gedanken.
Was geht ihr drei so sinnend? – hörten plötzlich
Wir eine Stimme sagen, und ich fuhr[245]
Zusammen, wie ein Tier vor Schrecken scheu wird.
Den Redenden zu sehn, wandt' ich das Haupt,
Und weder Glas sah noch Metall im Ofen
Ich je so glühend oder rot, als der war,
Den ich nun sah und der uns sagte: Wollt ihr
Noch höher gehn, so müßt ihr hier euch wenden;
Hier ist der Weg, wo man zum Frieden aufsteigt.
Die Sehkraft hatte mir geraubt sein Anblick,
Weshalb, wie wer vom Ohr sich leiten läßt,
Ich, meinen Lehrern folgend, mich bewegte.
Wie als Verkünderin der Morgenfrühe
Die Maienluft sich regt und Duft verbreitet,
Durchdrungen ganz von jungem Grün und Blüten,
So fühlt' ich mitten auf der Stirn ein Lüftchen
Mich fächeln und empfand des Flügels Regung,
Von dem ein Duften wie Ambrosia ausging.
Dann hört ich sagen: Selig sind, die Gnade
So sehr erleuchtet, daß die Lust des Gaumens
Ihr Herz nicht mit dem Qualm der Gier erfüllt,
Weil nach Gerechtigkeit sie immer hungern. –
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.
64 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro