|
[192] In gleicher Haltung, wie im Joch die Stiere,
Ging ich mit der beladnen Seel' einher
So lang genehm es war dem süßen Lehrer.
Doch als er sprach: Verlaß ihn und geh' weiter;
Denn hier soll jeder, wie er's nur vermag,
Mit Rudern seinen Kahn und Segeln treiben –,
Da richtet' ich mich völlig wieder auf,
Wie sich's zum Gehen schickt, ob die Gedanken
Auch noch gesenkt mir und befangen waren.
Schon ging ich wieder, meines Meisters Schritten
Mit Freuden folgend, und der ein' und andre
Bewährte schon, wie wir so leicht uns fühlten,
Als er mir sagte: Wende deine Blicke
Nach unten; dir den Weg erleichtern wird es,
Betrachtest du das Bette deiner Füße. –
Sowie, um das Gedächtnis der Begrabnen
Zu wahren, über ihnen Leichensteine
Darstellen, wie im Leben sie gewesen
(Weshalb auf Erden manches Mal man weinet,
Ob der Erinn'rung Stachels, der nur denen
Die Sporen gibt, die an der Treue halten),
So sah ich dort, doch nach der Meisterschaft[192]
Der Kunst viel schöner, überdeckt mit Bildern
Was vom Gestein des Berges dient zum Wege.
Vom Himmel niederfallen unter Blitzen
Sah ich zur einen Seite den, der edler
Geschaffen ward, als alle Kreaturen.
Zur andern sah, vom himmlischen Geschosse
Durchbohrt, Briareus ich am Boden liegen,
Vom Todesfroste kalt und unbeweglich.
In Waffen noch sah Mars, Apoll und Pallas
Um ihren Vater stehend, die zerstreuten
Gigantenglieder staunend ich betrachten.
Dann sah, am Fuße seines großen Werkes,
Ich Nimrod stehn und wirr die Völker anschaun,
Die stolz in Sinear mit ihm gewesen.
O Niobe, mit welchem Blick des Schmerzes
Sah, abgebildet auf des Bodens Fläche,
Ich zwischen sieben dich und sieben Kindern.
O Saul, wie todesstarr erschienst du dort,
Gestürzt in's eigene Schwert, auf Gelboè,
Das seit der Zeit kein Tau mehr netzt und Regen.
Dich sah ich auch, o törichte Arachne,
Schon halb als Spinne, traurig auf den Fetzen
Des Werkes, das du machtest dir zum Unheil.
Rehabeam, wohl schien dein Abbild hier
Nicht mehr zu droh'n; es trug in wildem Schrecken
Ein Wagen ihn dahin, den Unverfolgten.
Der harte Felsgrund zeigte noch, wie teuer
Alkmäon einst den unheilvollen Schmuck
Der Mutter Eriphyle scheinen ließ.
Er zeigte, wie im Tempelheiligtume
Auf Sanherib sich warfen seine Söhne
Und wie sie den Getöteten dort ließen.
Das herbe Ende zeigt' er und den Hohn,
Womit Tamyris Cyrus strafte, sprechend:
Blutdürstiger! mit Blut will ich dich füllen.
Er zeigte die Assyrer, überwunden[193]
Nach Holofernes' Tod', in wilder Flucht,
Und auch der Marter Überreste zeigt' er.
In Trümmern sah ich Troja und in Asche
O Ilion, wie tief gefallen zeigte
Dein Abbild dich, das dorten ich gewahrte! –
Wer führte so den Griffel oder Pinsel,
Daß auch der feinste Geist erstaunen müßte,
Wie Umriß dargestellt und Schatten waren?
Die Toten schienen tot, Lebend'ge lebend;
Es sah, wer selbst die Wahrheit sah, nicht besser
Als ich, geneigten Haupt's zu Boden blickend. –
So überhebt euch denn, ihr Evakinder,
Tragt hoch den Kopf und senkt ihn nicht zur Erde,
Sonst würdet ihr gewahr, wie falsch eu'r Weg sey! –
Schon hatten mehr vom Berge wir umwandelt,
Und mehr vom Sonnenpfade war verbraucht,
Als meine Seele, die nicht frei war, wähnte;
Da hub, der stets im Geh'n nach vorwärts spähte,
Zu reden an: Erhebe nun dein Haupt;
So sinnend fortzugehn, ist nicht geziemend.
Sieh' einen Engel dort, der uns entgegen
Zu kommen sich bereitet; sieh vom Dienste
Die sechste Tagesdienerin entlassen.
Mit Ehrfurcht schmücke Antlitz wie Gebärden,
Daß er hinaufzusenden uns geneige;
Bedenke, daß das Heut nie wieder taget. –
Gewöhnt war ich bereits an seine Mahnung
Die Zeit nicht zu verlieren; dunkel also
Konnt' er in diesem Punkte mir nicht reden.
Es nah'te sich das liebliche Geschöpf
In Weiß gekleidet, und es schien sein Antlitz
Dem Morgensterne gleich, der strahlend zittert,
Die Arme öffnet' er und dann die Flügel:
Kommt hierher, sprach er, denn hier sind die Stufen,
Geringe Mühe kostet jetzt das Steigen.
Nur wenige entsprechen solcher Ladung.[194]
Ihr Menschen, die geboren, aufzufliegen,
Was laßt ihr euch von wenig Wind schon werfen? –
Er leitet' uns zu jenes Felsens Einschnitt;
Da schlug er mit den Flügeln mir die Stirne,
Des Weges sichren Fortgang mir verheißend.
Wie um dort rechts den Berg emporzusteigen,
Auf dem die Kirche, die die Wohlregierte
Beherrscht, erbaut ist, über Rubaconte
Erleichtert wird des Anstiegs jähe Steile
Durch Treppen, angelegt vor alten Zeiten,
Als sicher Stadtbuch noch und Daube waren,
So wird das Ufer, das vom nächsten Kreise
Gar steil sich niedersenket, hier gemildert;
Doch hemmt der hohe Fels zu jeder Seite.
»Gesegnet sind die geistig Armen« sangen
Als in die Kluft wir eingetreten, Stimmen,
So schön, daß keine Red' es schildern könnte.
Ach wie verschieden sind doch diese Tore
Von denen in der Hölle; mit Gesängen
Tritt hier man ein, und dort mit grimmen Klagen.
Schon stiegen wir empor die heil'gen Stufen
Und leichter, als zuvor ich in der Ebne
Mir vorkam, schien ich mir zu sein um vieles.
Drum sprach ich: Sage Meister, was ist Schweres
Von mir genommen, daß das Gehen jetzo
Anstrengung mich so gut als gar nicht kostet? –
Sind erst die P, die, jetzt schon fast verloschen,
Dir noch im Antlitz blieben, gleich dem einen,
Erwidert' er, einst völlig ausgetilgt,
So wird der gute Wille deine Füße
So sehr beherrschen, daß emporzusteigen
Sie nicht nur nicht ermüden, sondern freu'n wird. –
Da tat ich denen gleich, die, was am Haupte
Sie tragen selbst nicht wissend, durch die Winke
Vorübergehender bedenklich werden,
Und dann die Hand, sich zu belehren, brauchen,[195]
Die sucht und findet, und das Amt verrichtet,
Dem zu genügen nicht vermag das Auge;
Und mit der rechten Hand gespreizten Fingern
Fand ich der Zeichen, die mir ob den Schläfen
Der Schlüsselträger einschnitt, nur noch sechse.
Drob lächelte, als er es sah, mein Meister.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik
78 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro