[Mein Herz warf mich zur Stadt hinaus]

[639] Mein Herz warf mich zur Stadt hinaus,

Wollt' nicht zur Königin nach Haus,


Lief im Wald am Schierling vorbei,

Als ob ich ein Giftbecher sei,


Fühlend, ich werd' noch Unglück stiften

Und mir Frau Königin vergiften.


Schlief ein dann unterm Eibenbaum,

Wahrsagend wirkt der oft im Traum.


Kam als König zum Krönungsmahl,

Die Tafel stand gespickt im Saal,


Gäste standen in steifen Reihn,

Hörte die Herolde laut schrein:


»Ihr seid serviert, Madam, ich bitte.«

Der Marschall rief's nach alter Sitte.


Unser Nam' aus Juwelen bunt,

Auf dem Tischtuch geschrieben stund,


Königin saß mir gegenüber,

Mitten die Kron', man sah kaum drüber.
[639]

Auf meinem Platz fand ich abnorm

Ein Messer fremd in Sichelform.


Weiß nicht, warum ich plötzlich fror,

Solch Messer kam sonst nirgends vor.


Sein steiles Eisen zog mich an,

Und aller Augen hingen dran,


Fühlte die Zung' am Gaumen kleben,

Wußte, dies Messer will mein Leben.


Königin riß das Schweigen ab,

Sprach: »Ich bin's, die dies Messer gab,


Es kriechen Tage aus wie Kröten,

Die Kron' zerspringt, kannst sie nie löten,


Wahnsinnig Schicksal steht am Tor,

Dies Messer nur schützt dich davor.«


Und alles altert, wie sie spricht,

Es faltet sich jedes Gesicht,


Mein Blick geht in dem Saale um,

Grau scheint mein ganzes Königtum.


»Wer will den Liebesdienst mir tun?«

Fragt' ich, doch alle Hände ruhn.


Das Messer nimmt die Königin,

Blut scheint ihr in den Augen drin.


Ich ließ den Krönungsmantel fallen,

Voll Blaßgesichter stehn die Hallen,


Tret' hintern Stuhl der hohen Frau,

Küß ihr die Stirn, ihr Haar wird grau.


Sie sieht nicht um, es stößt die Hand,

Hart mir ein Schnitt im Herzen stand.
[640]

Ich stürzte mit des Blutes Strahl,

Königin steht aufrecht im Saal,


Sie atmet hoch, die Brust ihr sprang,

Sterbend ihr Blut zu meinem drang. –


Im Walde war es Abend bald,

Da machte ich im Schlafen alt;


Erschüttert kehrt' ich heim zur Stadt,

Wo man Lampen anzünden tat.


Denn dort, wo fromme Leute wohnen,

Stehn in Steinnischen Hausmadonnen,


Und stille Lampen rot und blau,

Brennen bei jeder Himmelsfrau.


Sie halten Wach' mit frommem Frieden,

Und friedlich denkt man dann hienieden.


Frau Königin schlief schon mit Ruh,

Still kam auch ich und deckt mich zu.


Stundenlang hab' ich nachgedacht:

Warum ist man aus Blut gemacht?


Wär' ich wie Heilige aus Stein,

Stünd' ich im Leben rein allein;


Dann wüßte man, daß man nichts wollt'.

Doch solang' Blut im Leib umrollt,


Will dieses Blut stets was erleben

Und tut uns was zu denken geben.


Ich dachte zuviel diese Nacht,

Ameisen hatt' ich mitgebracht


Vom Wald, die ließen mich nicht ruhn,

Und gaben mir stets was zu tun. –
[641]

Gewöhnlich sind die Nächte stumm,

Doch singt etwas, sieht man sich um.


Königin sang zur Mittnachtstund',

Als säß' ein Vogel ihr am Mund


Zwitscherte schlafend sich ein Lied,

Als ob sie nachts noch Geigen sieht.


Dabei schien sie mir winzig klein,

Schien größer nicht wie's Herz zu sein,


War wie ein Brünnlein, das sich schwingt,

Mein Ohr war's Becken, drin es klingt.


Fällt uns im Schlaf noch Musik ein,

Muß man wohl gründlich glücklich sein,


Oder man tut aus Sehnsucht singen,

Die man am Tage konnt' bezwingen.


Ich dacht', wir müssen weitergehn

Und fremde Länder uns besehn.


Heimat ist es, die mich beschwert,

Weil man sich hier um Altes schert,


Heimat ist mir ein dumpfes Wort,

Ich lebe lieber weiterfort.


Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925, S. 639-642.
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