[Mein Magen, der von Leid ganz klein]

[692] Mein Magen, der von Leid ganz klein,

Ließ kaum den Durst und Hunger ein;
[692]

Mein Geld war längst in fremden Händen,

Ich lebte schon mit lahmen Lenden;


Lehrreich ist zwar Philosophie,

Sehr sättigend ist sie doch nie,


Und niemand einem etwas schenkt,

Für all das Geld, das man sich denkt.


Wollt' mich vom Leben nicht entfernen,

Fabrizierte Nachtlichtlaternen,


Laternen, schön aus buntem Glas,

Leuchten zu Haus und auf der Straß',


Darauf male ich manchen Reim,

Leute leuchten sich damit heim.


Doch öfters leg' ich mir die Karten,

Denn wünscht man was, tut man's erwarten.


Noch einmal wünsch' Frau Königin

Ich mir an meinen Busen hin.


Nur eine Nacht, voll von Vergessen,

Soll sie sich liebend mit mir messen,


Und dann soll kommen was da will,

Das Leben bringt ja stets so viel. –


Wie man von Loreley es weiß,

Ihr Haar tötete gern mit Fleiß.


Tat sie beim Kämmen auch noch singen,

Gleich ganze Schiffe untergingen.


Jetzt wie ein Spuk es öfters war,

Braun bin ich und fand blondes Haar,


Fand's noch im Ärmelfutter hängen

Und weiblich waren seine Längen.
[693]

Die Uhr blieb mir vor Schreck dann stehn,

Sehnsüchtig tat ich um mich sehn


Das Goldhärlein flog zitternd hoch,

Der Kopf dazu fehlte jedoch.


Tief seufzend fiel ich jedenfalls

Dem goldnen Härlein um den Hals.


So kommt sie stellenweis nur an

Als Schattenbild zum Schattenmann.


Guckt mir der Abend in die Fenster,

Nahn glucksend die Liebesgespenster,


Schneuzend brauch' ich dann Taschentücher,

Stöhnend wie über schöne Bücher.


Seh' sacht Frau Königin entstehn,

Aus der Tapet ins Zimmer gehn,


Verrückt wird dann das ganz Haus,

Schwimmt als ein Schloß ins Meer hinaus,


Die Pfützentümpel auf der Straße,

Die werden Austerbänke, blasse,


Mein Herz schlägt schwerer als ein Gong

Königin tritt zum Schloßbalkon,


Wo sie dem Meer sich zeigen läßt,

Und alle Fische halten Fest.


Fische schnellen zum Speisesaal

Auf Silberplatten ohne Zahl,


Hirsche vom Walde springen hin

Auf Monsterplatten, schwer aus Zinn,


Und Schafe tuen lieblich blöken

Und nicht wider den Bratspieß löken,
[694]

Alle sind Frau Königin gut

Und braten sich aus Liebesglut.


Und jedes Bein vom Speisetisch,

Blüht flott als Weinstock grün und frisch


Und trägt schon zum Dessert die Trauben;

Man wird das wahrscheinlich kaum glauben.


Königin spricht. »Glück war Geruch,

War wie etwas im Taschentuch,


Glück lag tief vor uns auf dem Bauch

Und räucherte wie Weiherauch,


Glücksgeruch badete mein Blut,

Ich roch einst selber mir so gut,


Ließ Sonne nach Belieben scheinen,

Selbst Meerrettich machte nicht weinen.«


Sie tut die Sonn' vom Nagel nehmen,

Damit die Stern' als Lampen kämen.


Wir tuen dann den Mond aufhängen

Und drunter Lipp' an Lippe drängen.


Die Uhr schlägt wie die Nachtigall

Und sagt nicht mehr der Stunden Zahl ...


So träum' ich nächtlich ins Nachtlicht;

Seufzend geht's aus, das Zimmer riecht


Nach weichem Öl und warmem Rauch,

Mond lehnt mir leer und kühl am Bauch,


Aus Zeitungspapier scheint der Mond,

Alt, daß sich nichts zu lesen lohnt.


Die Häuser, Droschken, Ladenfenster

Sind nur Pappendeckelgespenster,
[695]

Gleich Papierpüppchen anzuschaun,

Tänzeln vorbei Herren und Fraun.


Und geh' ich früh zur Stadt hinaus,

Sehn Wolken wie Nachtmützen aus.


Es gähnen Bäum', Wolken, Erdscholl',

Schafherden gähnen weiß aus Woll',


Es gähnt das Feuer in der Schmied',

Ein Riesenschlaf aus allem zieht,


Der Pflug im Acker fällt um still,

Weil Gaul und Bauer gähnen will,


Der Bach sich dicht ans Ufer lehnt,

Wasser, Luft, Erde, Feuer gähnt,


Türme kein Gleichgewicht mehr haben,

Gähnend fallen auf mich die Raben,


Seh' alle Ding' im Schlaf fortschweben,

Frage mich: »Bin ich noch am Leben?«


Vielleicht sind's tausend Jahre bald,

Seit ich einschlief und schlief mich alt.


Möchts gern noch allen Leuten sagen,

Wie schön's war, Liebe zu ertragen.


Die Liebe ich allmächtig fand,

Der Tod ist nur interessant.


Werden mir dunkel jetzt die Fenster,

Seh' ich im Tode nicht Gespenster.


Mache nur still die Augen zu,

Weh tat noch keinem Mensch die Ruh'.


Das Essen uns nur teilweis zündet,

Wenn es uns so behaglich ründet.
[696]

Weisheit erquickt, wenn sie uns paßt,

Man fühlt sich blendend angefaßt.


Doch Liebe uns ganz voll entzückt,

Verliebt fühlt sich der Floh entrückt.


Die Liebe ist im Weltall Trumpf,

Auch unten bei dem Frosch im Sumpf.


Verliebtsein ist das Himmelreich,

Da sind sich Mensch, Tier, Pflanze gleich.


Verliebt geht man aus sich heraus,

Pflanze, Tier, Mensch sehn prachtvoll aus.


Liebe im Mittelpunkt dasteht,

Die ganze Welt sich darum dreht.


Und tut ein altes Herz verderben,

Um neu zu lieben, kann es sterben.


Doch mach' ich aus dem Tod kein Fest,

Da man sich gern beweinen läßt.


Und nicht wie sterbend ein Cäsar,

Befiehlt Applaus der Balthasar.


Ich ruf', wenn ich den Leib fortschiebe:

»Die Lieb' ist tot! Es leb' die Liebe!«


Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925, S. 692-697.
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