[Wie kann man denn ein Weib verstoßen?]

[684] Wie kann man denn ein Weib verstoßen?

Ein Weib ist doch kein Mann in Hosen.


Verliebt ist jede Frau so schön,

Nur schwül wird's öfters wie beim Föhn.


Es stand vor mir Frau Königin

Und sprach: »Ich habe dir verziehn.


Es ist so einsam auf dem Land,

Fühl' ich dich nicht gleich bei der Hand.


Drei Tag' ging ich im Schnee dahin,

Als ob ich nicht geboren bin.


Froh bin ich, daß ich wieder hier.

Mach, was du willst, ich bleib' bei dir.«
[684]

»Ja,« sprach ich, »ach, sieh es doch ein,

Kein Schicksal kann uns je entzwein.


Ich fühl' mich wie im Honigtopf,

Seh' ich nur deinen goldnen Kopf;


Doch Untreu ist auf mich versessen,

Sie ist heut nacht bei mir gewesen.«


– Auf einmal war es leer im Zimmer,

Es ging was fort, und ging für immer.


Trotzdem die Lampe noch da war,

Verfinsterte 's sich sonderbar.


Ich sprach: »O, rede doch ein Wort!

Ich liebe dich doch immerfort.«


Die Seele schien ihr ausgerissen,

Sie sah mich an ohne Gewissen.


Nie fühlt' ich vorher ein Unrecht,

Jetzt war mir's vor mir selber schlecht.


Die Hände hingen ihr hernieder,

Es waren nicht mehr ihre Glieder,


Der Schmerz hatte sie ganz zerdrückt,

Sie lag in Scherben wie zerstückt.


Wie was man nicht mehr leimen kann,

So sah sie mich zerbrochen an.


Sie sprach: »Nun gibt es nichts mehr schlimmer,

Mein ganzer Mensch ist ein Gewimmer,


Ich hab' zum letztenmal gelacht,

Zur Mumie hast du mich gemacht.


Mit Mumien ist nicht gut wandern,

Ich geh', und du bleib' bei der andern.« –
[685]

Und eine Wolke tat entstehn,

Mit ihr tat etwas vor sich gehn.


Wie Heilige einst vor dem Volke

Stieg Königin auf diese Wolke.


Verjüngt erkannt ich sie kaum wieder,

Rosen fütterten ihre Glieder,


Ihr Leib wie Daunen von der Eider

Zeigt' rosa Blut wie Unterkleider,


Die goldnen Wimpern glitzern ihr,

Es lacht ihr Haar, sie redet irr.


Sie spricht: »Ich habe jetzt gewählt,

Nehm einen, der mich nicht so quält.«


Die Wolke ging mit ihr durchs Dach,

Ich sah mit offnem Munde nach.


Das Ganze ging im Handumdrehn,

Ich habe nie so was gesehn.


Nun war auch ich ein Scherbenbrei,

Es schien mir durch und durch vorbei.


Mir war, als ob in langen Tönen

Hunde in mir den Mond anstöhnen.


Gestalten vor den Türen saßen

In langen Tüchern, kalten, nassen.


Die Fenster tränten in dem Haus,

Als weinten sich die Zimmer aus.


Frau Königin ohn' Blutgergießen

Hat mich wie Zähne ausgerissen.


Wußt nichts mehr mit mir anzufangen,

Legte mich hin und ist gegangen.
[686]

Hat mich getrennt zurückgelassen

Wie Unterteller ohne Tassen.


Unheimlich war mir meine Haut,

Die Wände hört' ich sprechen laut.


Wie Stimmer stimmen ein Klavier,

So saß ich horchend neben mir.


Kam mir als Leichenwache vor,

Daß ich in allen Pulsen fror.


An jedem Weg, den ich jetzt nahm,

Mir eine tote Katz' vorkam.


Und all die vielen Katzenleichen

Mußt' ich mit jenem Traum vergleichen,


Wo ich Königin einst gesehn

Als Katz' mit Menschenkopf umgehn.


Und stündlich saß ich wie auf Steinen,

Und tat mein Kätzlein heiß beweinen.


Ich tat mich stündlich steinigen,

Und konnt' mich nicht mehr reinigen.


Und so wie kirchliche Ruinen

Bin ruiniert ich mir erschienen;


Ich sah am Meer einst hingefallen

Verschimmelt achtzehn Kathedralen;


Auf Gotland in der Wisbystadt

Verbrannt man alle achtzehn hat.


Wo Ohrenbeicht' einst und Te Deum,

Strichen frivol die Seelüfte um,


Wo sonst der Heiligen Gedränge,

Gehn Kühe kauend durch Grasgänge,
[687]

Die Glocken rosten, tief begraben,

Statt Priester predigen die Raben,


Der Fensterrosen Blutrubinen,

Die rot aufs Meer zur Nacht noch schienen,


Sind Löcher, und wo sonst die Rose,

Schaut jetzt ein Loch ins Seelenlose.


Ein Dänenschiff mit Kirchenschätzen

Tat damals sich zum Meergrund setzen.


Die Heiligen waren zu schwer

Dem alten grauen Heidenmeer.


Die Heiligen verschwanden unten,

Haben nie mehr heraufgefunden.


So krumm voll Unkraut unterm Himmel,

Schön, einst voll Bilder, jetzt voll Schimmel,


Belegt mit Meersalz und zerfallen,

Glich ich den achtzehn Kathedralen.


Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925, S. 684-688.
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