Vierter Reim

Venusine in Rom, auf dem Monte Pincio zum Korso, und als Königin unter römischen Dirnen

Monte Pincios Garten

Knirscht auf allen Wegen,

Wenn zur Korsostunde

Sich die Wagen regen.


Alle Staatskarossen

Tragen Römerinnen

Wie aus Gold gegossen.


Auf dem Petersdome

Lagen Abendfeuer.

Abendrosen hingen

Über Roms Gemäuer.


Venus nahte lächelnd,

Bettlerinnen ähnlich

Mit der Schürze fächelnd.


Stieg zu Pincio's Garten

Einsam ohne Wagen,

Wollte allem Prunke

Einfach heut entsagen.


Geht im Bauernkleide

Zwischen den Karossen,

Wie ein Weib der Heide.


Palmen und die Blumen,

Sie sogleich erkennen,

Möchten mit Gerüchen

Ihren Namen nennen.


Venus lächelt eigen,

Und die scheuen Blumen

Schließen sich und schweigen.
[45]

Auch die Instrumente

Der Musikkapelle

Fühlen Venusine,

Werden sanft zur Quelle


Heißer Harmonien,

Die nie Noten finden

Und das Blut durchziehen.


In dem Volksgedränge

Zwischen Marmorbänken

Steht da jung ein Jüngling,

Den noch Menschen kränken,


Lehnt da leidversunken

Am Zypressenbaume,

Fühlt sich weltalltrunken.


Venus riecht das Schwitzen

Dieses Enthusiasten,

Sieht den grauen Kragen

Unterm Schädelkasten,


Fühlt auch Todesschauer,

Als er zu ihr sagte:

»Ich bin ein – Bildhauer.


Du mußt mit mir gehen!

Will dich nicht berühren,

Nur die Nähe meines

Ideales spüren.


Hab Dich gleich empfunden –

Zahl' für Aktmodelle

Lire drei die Stunden.«
[46]

Venus unumwunden

Sagt's heraus dem Knaben:

Für Anschauungsstunden

Sei sie nicht zu haben.


Wer nur in den Augen,

Sonst nicht heißer werde,

Könnte ihr nicht taugen.


Doch der Jüngling altklug

Sagt: »Ihr feile Holde,

Schielt nur nach den Reichen!

Unglück hängt am Golde.


Gold sollt man begraben,

Weil, ach! die Dukaten

Keine Seele haben.


Reichtum ist Langweile,

Könnt mir pünktlich glauben!

Wollte Venus allen

Reichen hier erlauben,


Daß mal Alle sollten,

Die zu Wagen kommen,

Tuen, was sie wollten, –


Ach, wie wenig Wünsche

Lägen hier verborgen!

Meistens wären's Seufzer

Aus der Lust nach Sorgen.


Nicht zwei sich gehörten,«

Schrie der Jüngling lauter,

»Alle nur sich störten!«
[47]

Venus lacht: »Ihr glaubet,

Daß dann nur die Pferde

Offne Liebe zeigten

Mit Geschlechtsgebärde,


Damen und die Herren

Und die Grooms und Diener

Nur den Mund aufsperren?


Herrlein, strebt doch lieber

Erst mal Gold zu haben,

Ehe Ihr Verwünschung

Ausstoßt wie die Knaben!


Glaubt mir: all die Reichen

Sind nicht blaß vom Schlafen,

Auch die Lieb' macht bleichen.


Fruchtbar von dem Golde

Leben alle Sinne.

Armut darf sie dulden,

Reichtum nährt die Minne.


Und der Seele Leiden

Und des Leibes Schmerzen

Wohnen bei den Beiden.«


Staunend horcht der Jüngling

Auf die Bauerndirne,

Die ihm überlegen

Stark an Herz und Stirne.


Ihm beginnt zu zahnen

Weisheit und Vertrauen,

Er tut Weltlust ahnen.
[48]

Venus läßt ihn stehen,

Wendet sich zu Gassen,

Wo in hohlen Häusern

Feile Dirnen saßen.


Tritt in einen Garten,

Gleich des Königs Gattin,

Daß die Dirnen starrten.


Amor macht den Pagen,

Eckehardt den Knappen,

Tragen auf den Fräcken

Stolz des Königs Wappen.


Und als Königine

Setzt sich zu den Dirnen

Huldvoll Venusine.


Spricht: »Ich nenn euch Schwestern!

Seht: hier Pag' und Knappen

Bringen neue Kleider,

Legt jetzt ab die Lappen!


In dem Festgewande

Dürft ihr festlich minnen,

Frei von Spott und Schande.


Und in jedem Kleide

Liegt die Kunst zu minnen.

Lieder könnt ihr singen,

Besser tanzen drinnen.


Und ein jedes Mieder,

Das ich euch hier schenke,

Gibt euch keusche Glieder.«
[49]

Alle Dirnen staunen –

Venus spricht nichts weiter –

Kleidet jede Dirne.

Alle werden heiter.


Die verloren saßen

Ziehen wie Prinzessen

Zierlich auf die Straßen.


»Sollt' euch was passieren,«

Spricht die Königine,

»Ruft das eine Wörtlein

Laut aus: Venusine!


Alle Dirnen strahlen,

Daß des Königs Gattin

Sie erlöst aus Qualen.


Ach, die hohe Freude

Konnt nicht lange währen,

Denn die Ehefrauen

Wurden fast Megären.


Keine konnt mehr ruhen,

Ohnmacht kam nach Ohnmacht,

Gab dem Mann zu tuen.


Denn so lang in Straßen

Zierlich sich benahmen

Schandefrei die Dirnen,

Fielen um die Damen.


Keine wollt erwachen,

Und die Männer mußten

Krankenwärter machen.
[50]

Um die Mittnacht riefen

Mit betrübter Miene

All die Straßendirnen

Herzhaft: »Venusine!«


S' fielen ab die Kleider,

Und aufs Neu in Lappen

Sahen sie sich leider.


Wieder frech in Farben

Sie durch Straßen liefen,

Daß die Ehefrauen

Eifersuchtlos schliefen.


Frechheit sich bemühte

Statt der Grazie wieder,

Unds Geschäft, das blühte.

Quelle:
Max Dauthendey: Der Venusinen-Reim. Leipzig 1911., S. 41-51.
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