Fünfter Reim

Venusinens Nachtabenteuer im Kolosseum bei der Katze Schmeichelspeichel und im Palatinum erste Umarmung mit dem Teufel

Spät im Mondscheintaumel

Wandelt Venusine

Durch des Kolosseums

Alte Prachtruine,


Geht durch Mondscheinflecken

Über Steinkadaver,

Die voll Zeiten stecken.


In der Kaiserloge,

Wo einst Neros Tatze

Auf der Brüstung spielte,

Saß da eine Katze.


Sie war vor Jahrtausend

Stolz in Rom Hetäre; –

Heute Mäuse mausend.


Venus sie zu kosen

Streichelt ihren Rücken.

Doch wer kannte jemals

Aller Katzen Tücken!


Pfauchend bös in Miene

Beißt die Katz den Daumen

Ab der Venusine.


Wüchs er nicht der Göttin

Neu nach kurzer Weile,

Wär' sie nicht mehr Venus

Gleich nach dieser Zeile.


Doch er wuchs ihr wieder. –

Staunend drückt die Katze

Zu die Augenlider. –
[55]

»Sag was dich so kränkte

Daß Du mich gebissen?«

Fragte Venusine

Jene aufs Gewissen.


Diese nur miaute

Und sich als Hetäre

Nicht sofort vertraute.


Denn die Katze fürchtet

Nichts so sehr auf Erden,

Als heut unter Menschen

Nochmals Mensch zu werden.


Schwieg darum verlegen,

Ließ sich nur mit Mühe

Zu der Red' bewegen.


»Schmeichelspeichel heiße

Heut' ich unter Katzen.

Wohn' im Kollosseum,

Wo mich Mäuslein atzen.


Mäuslein sind wie Christen,

Die schon vor dem Tode

Dunkelleben fristen.


Saß im Kolosseum.

War – ich darf mir's trauen,

Heut noch laut zu sagen –

Göttin unter Frauen.


Nero selbst, der Kaiser,

Sprach bei meinem Eintritt

In die Loge leiser.
[56]

Einen jungen Tiger

Hatt' ich aufgezogen.

Diesem Tiere war ich

Inbrünstig gewogen.


Niemand ich mehr brauchte,

Sprang er auf mein Lager,

Und sein Zunglapp rauchte.


Bei den Venusspielen,

Wo man auch auf Frauen

Geile Tiere hetzte,

Wollt der Kaiser schauen


Meinen jungen Tiger

Über alle Bestien

Als des Tages Sieger.


Herrlich war die Hitze,

Wie mein Tiger tötet'

Bären und die Löwen

Und mit Blut sich rötet.


Doch die Jungfrau'n rührte

Er nicht an am Kleide,

Weil sein Herz mich spürte.


Wohl gab's leises Murren,

Als er sich nicht regte,

Ohne Liebesregung

In die Sonn' sich legte,


Und die Jungfrau'n schonte,

Auf zur Loge blinzelt,

Wo ich Beifall lohnte.
[57]

Wenn ein Tier nicht hörte,

Mußt' man's töten lassen.

Niemand dachte diesmal

Den Entschluß zu fassen.


Alles klatscht aufs Neue,

Lacht nach meiner Loge,

Gratuliert zur Treue.


Nur der Sitte wegen

Sprangen Gladiatoren

Hin zu meinem Tiger,

Faßten seine Ohren.


Schauten nach der Mitte

Auf die Kaiserloge,

Denn auch das war Sitte.


Hob sich Nero's Daumen,

Hieß das: laßt ihn leben!

Senkt' er ihn, so konnte

Man den Tod gleich geben.


Doch auch Vesta's Frauen

Hattens Recht der Daumen –

Nie war dort zu trauen.


Nero hebt den Daumen

Und entläßt den Tiger.

Beifall brüllts Gebäude

Meinem flotten Sieger.


Doch ich mit Erbleichen

Seh': die Priesterinnen

Gebens Todeszeichen, –
[58]

Senken ihre Daumen, –

Und die Schwerter blinken.

Wie ein Lamm so schuldlos

Mußt' mein Tiger sinken.


Einen Schrei zerknicke

Ich im Halse, stürze,

Brech' mir das Genicke.


Kann's noch nicht vertragen,

Heut nach Tausend Jahren:

Fühl' ich einen Daumen

Über meinen Haaren,


Weckt mich Brunst zum Tiger,

Den ich einst umhalste, –

Ewig bleibt er Sieger.«


»Schmeichelspeichel, höre:

Trugst Du niemals wieder

Seit den Heidenzeiten

Neue Menschenglieder?


Dieses möcht' ich fragen,

Wenn Erinnerungen

Deine Ruh nicht plagen?«


»Ach, die neuen Zeiten,«

Sprach gedehnt die Katze,

Und sie schnitt zum Monde

Spuckend eine Fratze,


»Sind nicht das auf Erden.

War noch einmal Menschin,

Möcht's nicht nochmals werden.
[59]

Saß in Hintergassen,

Nicht mehr in Palästen.

Sittenpolizisten

Jetzt die Luft verpesten.


Und die Lieb' konnt' nimmer

Niemals richtig blühen,

Ängstlich war man immer.


Niedrig war mein Wirken.

Darf der Mensch nicht lieben

Frei wie Pflanz und Tiere,

Lebt das Blut gleich Dieben.


Und ich stahl mir Leben,

Wie und wo ich konnte;

Eckel saß daneben.


Eckel vor den Menschen

Hat mich nicht verlassen,

Die den Leib, der liebte,

Spotteten und hassen.


Leidenschaft tat fehlen.

Heut die ärmsten Leute

Brüsten sich mit Seelen.


Konnte nie mehr lieben.

Unter meinen Gästen

War ein Offizierlein,

Einer von den Besten.


Ohne mir's zu sagen,

Tat er'n Abschied nehmen –

Konnt' mich doch erst fragen.
[60]

Kommt da eines Abends

Ohne Epauletten,

War Zivil geworden, –

Nichts war mehr zu retten.


Sagte: meinetwegen,

Daß sein Weib ich würde,

Schied er von dem Degen.


Nichts war mehr am Menschen,

Als er seine Seele

Ohne Schneid und Degen

Anbot mit Gequäle.


Kannte nie die Frauen,

Die erst auf die Haltung

Dann auf Treue schauen.


Hat sich auch erschossen –

Gleich sind sie beim Tode –

Flüchten in die Gräber.

Allgemein ist's Mode.


Früher nur die Schlemmer

Gift zum Nachtisch nahmen –

Jetzt tut's jeder Krämer.«


Venus hört nicht länger,

Was die Katze wußte,

Weil ihr Ohr in Spannung

Anderm lauschen mußte.


Durch die Nacht drang Schreien

Nah vom Palatinum,

Wie ein Kampf von Zweien.
[61]

Eine Mädchenstimme,

Eines Mannes Toben,

Und die Sterne zittern

In dem Himmel oben.


Scheu durch die Ruinen

Flieht die Römerkatze

Fort von Venusinen.


Alle Quadern kriegen

Menschliche Gesichter,

Und sie alle rücken

Unterm Moose dichter.


Venusine ahnte,

Daß sich dort ein dunkel

Schicksal Wege bahnte.


Mond hing wie die Perlen,

Welche Tränen bringen,

Überm Sack des Dunkels,

Drinnen Schreie ringen.


Venus eilte schneller

Zum Palatiumhügel,

Der ein Haufen Keller.


Fiebrig stinkt dort Erde

Unter Mosaiken,

Die wie bunte Augen

Toter Freude blicken.


Wo einst Duft von Ölen

Und von Narden rauchte,

Stehn verpestet Höhlen.
[62]

Venus sucht und findet

Nur vom Kampf die Schreie.

Selbst dem Götterauge

Unsichtbar sind Zweie.


Unsichtbar ohn' Zweifel

Kämpfen, denkt die Venus,

Psyche hier und Teufel.


Jeder Gott auf Erden

Und auch Götterfrauen

Können Unsichtbarstes,

Sichtbar machend, schauen.


Psyche nur verschwindet,

Ebenso der Teufel,

Der sich ehrlich schindet.


Psyche ist zu eitel,

Um sich je zu zeigen.

Teufel ist bescheiden

Und von jeher eigen.


Über ihr Bestehen

Oft die Götter zweifeln,

Keins hat sie gesehen.


Venus sucht und findet,

Wo der Kampf statthatte,

Von der armen Psyche

Was vom Feigenblatte.


Und auf einem Sockel

Lag vom Teufel schneidig,

Heil auch, das Monokel.
[63]

»Fräulein!« schrie der Teufel,

»Anstand hatt' ich leider.

Trug zum Stelldicheine

Strikt hier meine Kleider.


Wenn sie ohne gehen,

Weckt das meine Wollust –

Was sollt' sonst geschehen?«


Darauf schrie die Psyche:

»Alles ist gelogen!

Hab mich für die Schönheit

Einzig ausgezogen.


Sie sind eben wilder,

Leben nur dem Fleische,

Nicht für Kunst und Bilder.«


»Teufel!« schrie der Teufel,

»Wenn Sie mich doch kennen,

Wundert's mich im Stillen,

Daß Sie nach mir rennen!«


»Bin ich Kuh mit Eutern

Die man packt?« schrie Psyche.

»Nur Dich wollt' ich läutern!«


»Nun von Ihren Eutern

War nicht viel zu merken.

Nicht mal eine Fliege

Könnte sich dran stärken.


Schönheit soll nicht leiden:

Werde mich jetzt läutern

Und mich auch entkleiden.
[64]

Wenn die Damen nackend

Für die Kunst einstehen,

Warum sollen Männer

Häßlichkeit begehen?


Männerbrust und Nacken

Können auch erbauen. –

Soll ich mehr auspacken?«


Keine Worte darauf

Von der Psyche lauten.

Heimlich ist sie worden,

Nur die Tränen tauten.


Dies der Venus wegen,

Die sie jetzt entdeckte:

Die macht sie verlegen.


Venus hat den Teufel

Endlich hier gefunden.

Psyche wollt's verhindern

Seit Millionen Stunden.


Psyche ward es inne:

In die offnen Arme

Flog ihm Venusine.


Als er'n Rock ablegte,

Konnt ihn Venus sehen.

Herrlich tat der Nackte

Auf Ruinen stehen,


Nackend im Palaste,

Wo er gleich den Göttern

Vor Jahrtausend' praßte.
[65]

Psyche seufzt zum Monde,

Der sie zu sich holte,

Kam nie mehr zur Erde,

Weil sie nicht mehr wollte.


Doch an Venusine

Freute sich der Teufel

Mit entzückter Miene.

Quelle:
Max Dauthendey: Der Venusinen-Reim. Leipzig 1911., S. 51-66.
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