Siebenter Reim

Venusinens Morgenspaziergang auf der Via Appia unter unschuldigen Gräberbewohnern

Auf der Appiastraße,

Wo die Grabruinen

Manchen armen Leuten

Als Behausung dienen –


Und das Gras, als Futter

Ihren Ziegenherden, –

Lebten Sohn und Mutter.


Auf dem Grabhauf steckten,

Gleich wie ein Paar Ohren,

Ein Paar Fensterläden.

In zwei Eisenrohren


Und in den Zypressen

Sang nachts der Schirokko

Wie in Feueressen.


Sohn und Mutter liebten

Sich wie Ehegatten.

Nie des Sohnes Lippen

Je geküßt sonst hatten.


Eifersüchtig wachte

Über ihn die Mutter,

Nur an sie er dachte.


Saß er bei den Herden,

Fuhren reiche Fremde

Oft an ihm vorüber.

Er in Hos' und Hemde


Hat sie nie beneidet,

Denn wer liebt, vor Allem

Niemals Mangel leidet.
[77]

Prachtvoll war die Mutter,

Konnt' sich lassen sehen.

Doch auch sie tat niemals

Unter Menschen gehen.


Lebte bei den Toten,

Die verbotner Liebe

Straflos Obdach boten.


Doch nicht so die Menschen,

Die in Nachbargräbern.

Machten sich zu Rächern

Und zu Schandangebern.


Einer sprach zum Andern:

Sohn und Mutter müßten

Ins Gefängnis wandern.


Doch die Mutter holte,

Ums Gerücht zu stillen,

Eine Frau dem Sohne

Gegen beider Willen.


Und sie riet ihm düster:

»Nimm das Weib, denn schweigen

Muß jetzt das Geflüster!


Bleibst mir trotzdem weiter

Herz- und Bettgenosse.

Größer wächst nur immer

Meine Lieb, die große.


Laß die Menschen neiden!

Köstlich im Geheimen

Schmeckt die Lust uns beiden.«
[78]

Eifersucht kommt früher,

Als man glaubt gekrochen.

Härter als Gedanken

Sind des Fleisches Knochen,


Zu dem jungen Weibe

Fühlte bald die Mutter

Haß im ganzen Leibe.


Und sie wollte gehen,

Wollt' den Sohn verlassen.

Da begann auch dieser

Still sein Weib zu hassen.


Mocht sie nicht mehr rühren.

Schrie: eh' woll' er sterben,

Als dies Weib noch spüren.


»Glücklich war man früher.

Pfeifend bei den Herden

Lag ich, wie die Sonne,

Leidlos auf der Erden.


Mutter, zum Verderben

Ward's Gered' der Leute!

Mutter, ich will sterben!«


»Sohn, Dein Bett auf Erden

Muß auf Gräbern stehen!

Willst nach Rom du schauen,

Mußt durch Gräber sehen.


Sollst mir niemals sterben!

Doch Dein Weib im Hause

Lebt uns zum Verderben.«
[79]

In der Nacht da scharrten

Sohn und Mutter, beide,

Schweigend eine Grube

In der nahen Heide.


Legten jene nieder,

Die sie leicht erschlagen –

Und sind glücklich wieder.


Keiner hat's gesehen,

Und doch ist ein Deuten

Bald nach ihrem Hause

Unter Nachbarsleuten.


Stets man lauter munkelt,

Und die Lust zu köpfen

Aus den Augen funkelt.


Doch die Mutter fürchtet

Nicht mehr das Gelichter.

Stolz legt sie zum Sohne

In der Nacht sich dichter.


Ruft: »Wenn all' doch wüßten:

Kein Gesetz der Erde

Reißt die Lieb aus Brüsten!«


Und bald holt man Beide

Aus dem Bett im Grabe.

»Richter!« sprach die Mutter,

»Meine einz'ge Habe


War die Lieb' zum Sohne,

Dem ich Weib gewesen; –

Den Geliebten schone!
[80]

Ja, ich hab gemordet,

Denn ich wollte lieben.

Jedem steht sein eigen

Schicksal vorgeschrieben.


Furchtbar ist das meine.

Die Natur schafft Lüste, –

Das Gesetz kennt keine.


Und die Urteil' töten

Leichter als die Hände.

Dem Gesetzbuchstaben

Ich mein Blut verpfände.


Schont den Sohn des Leibes!

Hört die Stimme einer

Mutter – und des Weibes!«


Doch das Urteil zeigte

Vorerst kein Erbarmen.

Vom Schaffott empfangen

Und von Henkersarmen


Dort erst, am Gerüste,

Kam dem Sohn die Gnade; –

Nur die Mutter büßte.


Lächeln auf den Lippen

Ging sie hin zum Beile.

Süß schien ihr das Leben

Noch die kurze Weile.


Hab geliebt, genossen –

Dacht' sie, »und kann sterben«.

– Hat ihr Aug geschlossen ...
[81]

Wenig Jahre später

Auf der heißen Heide,

Trieb der Sohn die Ziegen

Wie zuvor zur Weide.


Hat es fast vergessen

Mord und Todesurteil,

Als wär nichts gewesen.


Just an jenem Tage,

Da mit Sonntagmiene

Aus dem Appiatore

Wandelt Venusine,


Nahm der Bursch ein Bräutchen.

Wieder zwischen Gräbern

Liebten sich zwei Leutchen.


Amor zeigt es Venus

Auf den Zehenspitzen,

Daß in einem Grabturm

Junge Leutchen sitzen,


Die sich erst gefunden,

Sich im Schoße liegen

Ohne Zeit und Stunden.


Ein Leib stillt dem Andern

Brünstig die Gelüste.

Sie beißt seinen Nacken,

Er beißt ihre Brüste.


Kühl im Grab sie liegen;

Draußen in der Hitze

Springen Bock und Ziegen.
[82]

Amor und die Venus,

Jeder süß erschauert:

»Mutter, seit heut morgen

Hab' ich zugemauert.


Merken tat's nicht Einer,

Brachte ihnen Essen, –

Wundern tut sich Keiner.«


Wirklich war der Eingang

Vor dem Grab geschlossen

Mit antiken Krügen

Und mit Broten, großen.


Wein war in den Krügen.

Braut und Bräut'gam tranken

D'raus in tiefen Zügen,


Aßen auch vom Brote.

Venus lacht im Stillen.

»Die«, spricht sie, »sind Götter,

Haben ihren Willen.


So war auch die Erde

In den Adamstagen

Sorglos von Gebärde.«


»Traulich ist o, Freundin,«

Flüstert eine Stimme,

»Des Idylles Frieden, –

Pracht doch hat auchs Schlimme.


Mit Verstand genossen

Sind schön Gut und Böse,

Selbst wenn Blut geflossen.«
[83]

Und die Stimme malte

Blutrot aus dem Blauen

Jenes Burschen Jugend. –

Venus sieht mit Grauen


Mord an seinen Händen

Und die Lust der Mutter,

Lust einst seinen Lenden.


Sieht das große Wehe,

Das wie's Gute waltet,

Und aus Schmerz und Tragik

Schönheit sich gestaltet.


Sieht blutschändend küssen

Sohn und Mutter beide,

Weil die Herzen müssen.


»Teufel«, sprach die Venus,

»Bist mir nachgeschlichen!«

»Göttin,« sprach der Teufel,

»Ich bin nie gewichen.


Bin im Geist daneben,

Wo uns eint Int'resse,

Kann mich nicht fortheben.«


Venus rief: »Vor allem

Bist Du Mann der Männer!

Und als Frau bewundre

Ich den Lebenskenner.


Stets sind Energien

Eine Lust dem Weibe, –

Drum sei Dir verziehen!«

Quelle:
Max Dauthendey: Der Venusinen-Reim. Leipzig 1911., S. 73-84.
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