Sechster Reim

Venusine wird Frau eines Sergeanten, wobei sie sich töten, begraben läßt und aufersteht

Venus wandelt nächtlich

Draußen bei Kasernen,

Dirnenhaft gekleidet,

Unter den Laternen.


Fähnrich und Sergeanten

Sich mit Säbelrasseln

Fleißig nach ihr wandten.


Und bald folgt ihr Einer

In die Seitengassen,

Drückt ihr fest die Hüften,

Kann sie nicht mehr lassen.


Venus war nicht böse,

Freut sich seiner Hände

Und des Schnurrbarts Größe.


Ehrlich sind Soldaten,

Weil sie gradaus lieben,

Deshalb ist die Venus

Auch bei ihm geblieben,


Tat mit Lust sich schenken

Jede Nacht von Neuem,

Ohne jed' Bedenken.


Der Sergeant bald sagte:

Nie mehr wollt er scheiden.

Heirat wär das Beste

Zwischen ihnen beiden.


Venus, unter Lachen,

Freut sich seiner Treue

Und tat Hochzeit machen.
[69]

Beim Kasernenhofe

Öffnet Venusine,

Als die Frau Sergeantin,

Eine Schnapskantine


Und lebt ohne Wolke

Lustig so drei Tage

Beim Soldatenvolke.


An dem dritten Abend

Macht, zur Mittnachtstunde

Der Sergeant im Hause

Noch einmal die Runde,


Als er in den Kellern

Gläserklingen hörte

Und Geräusch von Tellern.


»Venusine!« rief er;

Ist ans Bett geschlichen.

Doch das Bett stand einsam –

Venus war entwichen.


Der Sergeant, der blasse,

Eilt und sieht im Keller

Zwei bei einem Fasse.


Eine Kerze brannte.

Venus saß im Schooße

Einem Mann. Sie tranken.

Er war ohne Hose,


Ohne West' und Kleider.

Der Sergeant, er stolpert

Und verrät sich leider.
[70]

Fluchend richtet er sich

Wieder auf die Beine.

Da stand Venus vor ihm

Lächelnd und alleine,


Ihr Besuch verschwunden. –

Nur der Teufel hatte

So schnell fortgefunden.


»Stirb!« schrie ohn' Besinnen

Der Sergeant betrogen.

Und er hat den Säbel

Wütend blank gezogen.


Venus, immer lächelnd,

Lächelt unerschrocken,

Mit dem Hemd sich fächelnd.


Der Soldat verwundert

Läßt den Säbel sinken,

Weil der Venus Reize

Unterm Hemd ihm winken.


Doch nicht gleich zu Willen

Ist er heut der Dame,

Stürzt erst fort im Stillen.


Schließt sie ein im Keller

Und läßt Venus warten.

Gräbt ein Loch im Dunkeln

Draußen in dem Garten,


Schlägt ein Kreuz darüber –

Und geht dann von Neuem

Zu der Liebe über.
[71]

Hebt sie auf die Arme,

Wirft sie auf ihr Lager.

Liebt sie wild inbrünstig;

Sein Gesicht wird hager,


Blutleer seine Miene.

Leib an Leib im Lieben

Würgt er Venusine.


Als ihr Leib sich streckte

In der Todesstarre,

Schneidet er ein Löckchen

Noch von ihrem Haare,


Trug sie dann zum Garten,

Wo die Hände zärtlich

In die Erd' sie scharrten.


Tiefe Trauer zeigt er,

Doch zeigt keine Reue,

Legt sich auf sein Lager

Und schläft ein aufs Neue.


Venus aber, lächelnd,

Ist zurückgekommen,

Wieder hemdenfächelnd;


Legt sich ihm zur Seite,

Sprach: »Du hast gelitten,

Männlich Dich benommen!

Will dich darum bitten:


Diesen Leib, den schenke

Ich Dir lebend wieder, –

Ewig an mich denke!«
[72]

Und sie läßt zur Seite

Eine Frau ihm liegen,

Schön, wie sie die Menschen

Nie auf Erden kriegen,


Gleich dem Venusbilde, –

Macht die Nacht vergessen

Und verläßt ihn milde.

Quelle:
Max Dauthendey: Der Venusinen-Reim. Leipzig 1911., S. 66-73.
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