Zweiter Reim

Venusinens Romfahrt im D-Zug mit den Bernhardinern

»Eckehardt, mein Lieber,

Liebst du nie das Fesche?

Schrecklich ist dein Wollkleid

Und die Jägerwäsche!


Trag doch nicht so lose,

Amor, lieber Junge,

Deinen Knopf der Hose!«


So sprach Venusine,

Als man in D-Zügen

Saß und nach Italien

Flog in Rasselflügen.


Aus dem Berge draußen

Hielt sie mehr als drinnen

Auf den Takt nach außen.


Aber nichts konnt' hindern,

Daß in frohen Stunden

Sie und ihr Gefolge,

Ganz kulturentbunden,


In die Lüfte wollten,

Aus den Fenstern flogen,

Hinter Wolken tollten.


Und im Zug bemerken

Manche Passagiere:

Im Maschinendampfe,

Nackt ein Weib spaziere.


Konnt' durch Lüfte jagen,

Mit dem Vollmond spielen,

Wald und Berge tragen. –
[21]

Saß da hübsch ein Bursche

In der ersten Klasse.

Halbtot war er leider,

Halb Tuberkelmasse.


Sollte nach dem Süden.

Ihn sah Venusine

Und behext den Müden.


Denkt: Sollst Dich nicht quälen

Hübschester Geselle?

Stehst mit einem Fuße

Auf der Beinhausschwelle.


Dir den Tod versüßen,

Soll mich heut zerstreuen,

Komm und laß dich küssen!


Leis spricht sie zu Amor:

»Liebstes Söhnchen, gehe,

Daß dem hübschen Menschen

Liebes bald geschehe!


Geh auf fester Sohle,

Dicht ihm an das Herze,

Setz' ihm die Pistole!«


Amor zielt voll Eifer,

Schießt auf Wunsch der Mutter,

Trifft den jungen Menschen

Durch das Westenfutter.


Doch, ach, nie bedachten

Götter fehllos handelnd,

Ob sie's richtig machten!
[22]

Kaum ging die Pistole

Los mit frohem Knalle,

Saß der kleine Amor

In der Mausefalle.


Denn der Herr springt pfauchend

Nach der Angstnotleine,

Böse Worte brauchend.


Schaffner und die Führer

Eilen an die Türen,

Und man will den Amor

Strafen mit Gebühren.


Nichts half, daß er meinte,

Er hab nicht getötet

Und wie Kinder weinte.


Jener hübsche Kranke

Flucht nach allen Noten:

»Schußwaffen zu tragen,«

Sagt er, »sei verboten.


Schwer kann man beweisen,

Ob sie blind geladen, –

Ich will friedlich reisen!«


Nichts auch wollten helfen

Venusinens Augen,

Und der Schaffner meinte,

Daß sie gar nichts taugen.


Menschen gut erzogen,

Wäre er der Ordnung

Halber mehr gewogen.
[23]

Strafgebühren zahlte

Venusin erschrocken.

Sucht nicht mehr mit Augen

Reisende zu locken.


In dem Mund, dem roten,

Knirschen ihre Zähne:

»Alles scheint verboten!«


Doch der hübsche Kranke

Muß sie starr besehen,

Rückt ihr leise näher,

Spricht: »Ich muß gestehen,


Wunderschöne Holde,

Daß ich lungenleidend

Und nicht kränken wollte.


Schmerzlich schön ist Ihre

Trauer um die Lippen.

Seh ich Damen leiden,

Muß mein Herz mir kippen.


Herrliche, erhöre!

Kannst Du mir verzeihen?

Sag' nicht, daß ich störe!«


Venus muß von Sinnen

Diesen Menschen wähnen.

Vorhin, als sie lachte,

Bracht' man sie zu Tränen.


Jetzt erst soll sie lieben,

Wo die Lust verschwunden,

Und das Leid geblieben.
[24]

Venus kann nicht finden,

Daß die Lust sie beizte

Jenen Herrn zu lieben,

Weil ihr Leid ihn reizte.


Dieser aber lachte

Über ihr Bedenken,

Weil er anders dachte.


Und er rückt ihr näher,

Ganz auf sie versessen,

Will die Göttin einfach

Um die Taille pressen.


Gute Miene machend,

Denkt die Göttin scherzend:

Ich nehm Alles lachend.


Zum Sankt Gotthard eben

Dampft der Zug von Fluelen

Höher in die Lüfte,

Die sich dünner fühlen.


Hohle Echos krachen,

Und die Tunnellöcher

Dampfen gleich den Rachen.


Hier im Schnee ward Mancher

Von Sankt Gotthards Hunden,

Denkt sich Venusine,

Liebend aufgefunden.


Ach, ein Hund wär heute

Ehrlicher dem Herzen,

Als im Zug die Leute.
[25]

Will mal hier als Göttin

Nach Belieben handeln,

Alle Herrn und Damen

Hündisch mal verwandeln.


Dieses soll mich rächen –

Zu viel ist verboten –

Lieb soll Fesseln brechen!


Seht, und in dem Zuge,

Kaum tat sie's bestellen,

Wurden Alle Hunde,

Grüßten sich mit Bellen.


Alles lief auf Vieren,

Wedelt, sich beriechend.

Keinen tut's genieren.


Eh noch zur Besinnung

Einer konnte kommen,

War ihm das Besinnen

Auch schon fortgenommen.


Bayern und Berliner,

Herren und auch Damen

Wurden Bernhardiner.


Alle diese Menschen,

Die verlogen schüchtern

Sich nach Liebe sehnten,

Fordern sie jetzt nüchtern.


Jenem Herrn von Allen,

Den das Leid nur reizte,

Will die Lust gefallen.
[26]

Sprang und leckt und wedelt

Hinter andern Hunden,

Hat in Lebensfrohsinn

Sich gar schnell gefunden.


Liebte Hundedamen,

Die sich unter Bellen

Schwanzwedelnd benahmen.


Das war ein Bespringen,

Selig ein Begatten!

Und man liebt vor Allen,

Die die Laufzeit hatten.


Schnell sich Alle kannten,

Und in allen Klassen

Ward man zu Verwandten.


Amor lag auf Kissen

Und muß göttlich lachen:

»Mama Venusine,

Du machst tolle Sachen!


Du erlöst die Leute

Auf besondre Weise!

Endlich liebt man heute!« –


Hell voll Glühlichtlampen

Eilen Luxuswagen;

Niemand ahnt von draußen,

Daß sie Hunde tragen.


Und der Gotthard lachte

Über Venusine,

Die das fertig brachte.
[27]

Als der Zug den letzten

Tunnel just passierte,

Lagen tausend kleine

Vögel, schneeverirrte,


Im Gefild, im kalten.

»Halt!« rief Venusine.

Und der Zug muß halten.


Alle Bernhardiner

Sind hinausbefohlen,

Und ein Jeder mußte

Von den Vögeln holen.


Und sie apportieren

Vorsichtig im Maule,

Vögel, die erfrieren.


In den warmen Wagen

Sind bald neugeboren

Diese. Und kaum lebend

Danken sie den Ohren.


Nachtigallen, Meisen

Danken Venusine,

Singend ihre Weisen.


Alle Vögel kannten

Gleich die Göttin wieder.

Auf dem Hörselberge

Lehrt' sie jährlich Lieder,


Jedem Männchen neue,

Daß der Wald erblühe

Und sich's Weibchen freue.
[28]

Auch die Hunde liegen

Horchend auf den Kissen.

Weil sie jetzt die Nähe

Einer Göttin wissen,


Zeigen sie die Spuren,

Heute überwundner,

Menschlicher Kulturen.


Nach Chiasso senken

Sich die Berggelände,

Hundertschluchtig grüßen

Dort Italiens Wände.


So kam Venusine

Zu des Südens Grenze,

Schalk in jeder Miene.

Quelle:
Max Dauthendey: Der Venusinen-Reim. Leipzig 1911., S. 17-29.
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