Der letzte Rest

[156] Eine leere Fahnenstange

Sieht zum Regengrau hinauf,

Dran zög ich als Trauerwimpel

Gern mein nasses Sacktuch auf.

Wie 'ne Henne gackst die Seele,

Laut ausstoßend Schrei um Schrei,

Und sie legt mir unter Schmerzen

Täglich nur ein hohles Ei.

Welke Rosen in dem Glase

Runzelig wie alte Parzen,

Ausgesogen wie an alten

Mutterbrüsten welke Warzen.

Dieses sind in meinem Zimmer

Von der Sommerseligkeit

Noch der letzte Rest und Schimmer –

Alles andere fraß die Zeit.


Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925, S. 156-157.
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