Sündflut

[87] (Sangdichtung)


Die Flut unsichtbare Stimmen
Das letzte Lied Frauenstimme
Das letzte Gebet Männerstimme
Das Schweigen des Todes unsichtbarer Chor.

Schwarz eine Riesengrotte. Tief zerklüftet. Fleischrot der Himmel durch einen klaffenden weiten Riß. Draußen schwarzes Flutmeer, gewälzt, weit zum roten Horizont.

Auf schmaler Felskante, hinter Steinen, ein niederglühendes Feuer. Zerstäubt Rotglut über die nassen Wände. Jagt Rotschatten über das Grottengewölbe.

Rings in zerrissenen Klüften kochen die schwarzen Wasser.

Leise violette Blitze verzittern am Horizont.

Ein irres Weib, einen Aststumpf im Arme wiegend wie ein Kind, kauert am Feuer. Die Haare wirr. Brüste nackt, goldbeblendet. Sie lauscht unruhig auf den Sang der Flut.


Die Flut


Lachen, Kind, lachen,

Dunkel der Wind, Palmen knacken,

Schüttle den Nacken, schlafen nicht,

Nicht schlafen, erwachen!


Hyänen umheulen den nackten Mond,

Flammenkeulen,

Brände weiß, schnellen

Blitze, – blank gellen die Gärten.
[88]

Hörst du draußen im Mondnachtschatten,

Gold klingelt, goldene Ketten.

Hell reißen Matten, Wände,

Die bleichen geschmückten Sklaven,

Schleppen, reiten, fliehen.


Deine Hände klammre, greife mein Haar,

Irr brennen Agaven, Nesseln,

Die kreischende Schar, hinauf,

Felsentreppen,

Schwarze Schatten jagen, brüllen,

Heulende Herden Menschenratten,

Ehern klagen die Berge.


(Das Weib kriecht näher zum Feuer. Zittert angstwild.)


Eiserne Wolken, Meere,

Zischend die Mähne, stürzen,

Wellenkatzen in Knäulen

Weißnackt die Zähne,

Bleich flieht das Blut,

Blank Rachen an Rachen,

Kind! Kind! Mein Kind!!


(Das Weib springt auf. Schlägt mit der Stirn an die Felsen. Preßt das Gesicht an die Felswand.)


Traum – Traumfratzen nur,

Lachen, Kind, lachen,

Du schlummerst geborgen,

Morgen singen die Auen.


(Das Weib kichert halblaut. Preßt den Ast an ihre Brust. Liebkost das Stück Holz.)


Scharlachen die Terpintenbäume,

Hörst du den Phönix

Goldsingend erwachen?

Blau entfachen die Zedernschatten,

Ibisvögel schütteln die Träume

Lachen, lachen, lachen ....


Das Weib schüttelt sich in grellem Lachen. Lautlos fliegt weiß ein Blitz in die Grotte.

Das Weib duckt sich. Lauscht. Richtet sich auf. Geht auf und ab und wiegt das Holz im Arm. Singt innig.


[89] Das Weib


Sterne singen im mondgrünen Reich,

Dunkle Myrthen decken dich weich,

Schlafe mein Kind mit glühenden Wangen,

Mutter wehret dein Bangen.


Leuchtfliegen grün im mondblassen Baum,

Mandeln durchduften rot deinen Traum,

Schlafe mein Kind ohn' Träne und Sorgen,

Morgen lachen die Auen.


Das Weib ist an den Felsrand geschlichen. Starrt hinunter in die Flut. Biegt sich begierig immer weiter über den Schluchtrand.


Die Flut


(singt dämonisch)


Im Erdschoß verborgen, Sonne zerfrißt die Nacht.

Nacht muß blind versinken,

Feuergolden der Morgen;

Ambradüfte! Purpurrauschen!

Sonne, laß uns trinken! ...


Das Weib schnellt lautlos in die zischende Schlucht hinab.

Harte Stille.

Das Feuer erlischt. Die Grotte schwarz.

Die Blitze flattern langsamer auf und nieder, immer lautlos.

Hie und da fließen Blitze weiß in die Klufttiefe. Beleuchten blaß einen Mann. Auf einem Felsvorsprung am Abgrund, niedergeworfen im Gebet.


Der Mann


Jehova, o Herr, dein Morden – schweige,

Zerfleischt die Menschheit,

Blut dir zu Füßen,

Die letzten Herztropfen flehen,

Gnade, Herr, Gnade!

Wir opferten röchelnd Entgelt!


Und du kommst Herr, du kommst,

Schwarz starben Sonne, Sterne.[90]

Erde, Himmel, darben nach dir.

Rausche golden nieder,

Laß Sonnen aufschlagen,

Tausche die ewige Hülle,

Daß sterbliche Glieder deinen Geist zu uns tragen,

Erfülle leuchtend das dunkle Gesetz.


Deine Hand winkt,

Die Schlünde verlöschen,

Du leitest die Meere zurück in die Gründe,

Weiß dein sternblasser Leib,

Du schreitest, eine singende Lotoslilie,

Silbern von rauchenden Bergen.

Deine Straße umrauschen

Heiß Sandel, hyazinthene Düfte,

Morgenrot, Lorbeerrosen,

Elfenbeinlichte Glocken

Neigen sich klingend,

Mit dir in saphirgoldenem Reigen

Die Bronnen des Lebens.


O zögere nicht!

Entstellt, zerplagt, ein Totenschädel

Die bebende Erde.

Zuckend mit letzter Ader

Kriecht, klagt

Ein zermalmtes Geschlecht.

Dein Hader, warum so tödlich?

Recht zum Leben, haben wir Recht?

Du hast uns Atem gegeben,

Fand man uns schlecht! Strafe!

Aber zerschellt ein Vater sein Kind? ...

Wir betteln, wir ringen,

Du offenbarst Dich nicht?!! ...

Herr, Gott, wer sagt mir,

Daß Du bist und warst!

. . . . . . . . . . . .


Schwarze Stille. –

Die Flut schweigend schwarz geglättet.

Ein letzter weißer Blitz zeigt den Felsvorsprung leer. –[91]

Der Himmel bleicht allmählich violett. Dann blaß eisig lila.

Grüne Phosphorstreifen ziehen fern über die Wasser.

Das Meer rieselt in grünem Leuchten.

Eine sanfte schwarze Welle hebt zwei phosphorblaue nackte Leichen hoch. Die Körper halten sich in Todesstarre umschlungen.

Die Welle hebt die blauglühenden Toten ans Ufer auf eine schwarze Klippe. Phosphorglimmende Tränen rinnen von den Körpern silberblau über den schwarzen Stein.

Das Schweigen des Todes singt hart und kühl.


Das Schweigen des Todes


Eisblaue Gärten in eiserner Stille.

Grau in sanglosen Wellen die Düfte.

Klanglos verhärten opalmatt die Quellen.

Glasige Strahlen schneefahler Blüten,

Schweben in kahlen steinernen Zweigen.

Schwarz im Schweigen die schwarzen Bäume,

Gießen durch ewigbleiche Nächte,

Schwarzen Regen in schwarzen Zähren.

Wirrend durch aschendunkle Gehege

Ringen stumme reifblasse Wege,

Blaue, einsam irrende Flammen

Dringen nirgend zum Ziele.


Aber tief in lautlosen Grüften

Gären junge mondrote Sterne,

Schießen rote Korallenwurzeln

Nach dem Purpurkerne der Erde.


Rosige Tauben hebet die Schwingen,

Werde Ölbaum des Friedens.

Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925.
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