Neunundzwanzigster Abschnitt.

[154] Robinsons fernerer Aufenthalt auf der Insel.


Dies wäre die Darstellung der Geschichte und des Zustandes meiner lieben Insel. Die Kolonie war in gutem Fortschreiten, und besonders die Indianer hatten einen bedeutenden Grad von Sittlichung erreicht, denn die europäischen Kolonisten behandelten sie fortwährend mit vieler Güte, und nur die Besorgniß eines möglichen Verraths, wenn andere Wilde landen und sich mit ihnen vereinigen sollten, war Ursache, daß jene auf der fortdauernden Einschränkung auf den angewiesenen Bezirk bestanden, da den Wilden der übrige Theil der Insel und die Stärke ihrer Bevölkerung unbekannt war.

Unter den mancherlei Kunstfertigkeiten, die man die Indianer gelehrt hatte, war auch das Korbflechten, in welchem sie es aber bald ihren Lehrern zuvorthaten. Es ist bekannt, daß unter vielen der neuentdeckten Völker das Korbflechten zu einer so großen Vollkommenheit gebracht ist, daß ihr Geflecht sogar Flüssigkeiten zu halten vermag. So weit hatten es diese Indianer zwar nicht gebracht, wendeten aber das Flechten auf vielerlei Bedürfnisse an, auf welche die Kolonisten von selbst nicht verfallen wären. So machten sie geflochtene Tische, Stühle, Schränke, Betten, Vogelbauer, Siebe u. dgl. mehr, alles mit der größten Solidität, Nettigkeit und zu großer Bequemlichkeit.[155]

Meine Ankunft war diesen Wilden sowohl als den übrigen Kolonisten von größtem Nutzen, da ich ihnen zum Behuf ihrer Arbeiten eine Menge Werkzeuge brachte, als Messer, Scheeren, Nadeln, Zwirn, Drechsler-, Schreiner-, Zimmermanns- und andere Werkzeuge, wodurch sie nicht nur in Stand gesetzt wurden, ihre Arbeiten leichter und besser zu verfertigen, sondern auch auf neue Gegenstände auszudehnen; so machten sie z.B. die Wände ihrer Hütten und die innern Abtheilungen von Flechtwerk, was ihnen in vielerlei Rücksichten, als für die Reinlichkeit und gegen die Hitze und Insekten nützlich und angenehm war. Die Kolonisten, besonders die Engländer, ahmten ihnen hierin nach, und ihre Hütten waren bei meiner Ankunft ganz von Flechtarbeit gemacht, vorzüglich war die des Atkins eine wahre Kuriosität, und hatte einen Umfang von mehr als 120 Schritten und zweiunddreißig Unterabtheilungen, von denen die innerste ein Achteck bildete, und weit stärker als die Umgebungen war. Ueberhaupt zeigte dieser sonst so abscheuliche Bösewicht, dem nichts heilig schien, und dessen Neigungen nur auf Zerstörung des Vorhandenen gerichtet waren, seit seiner Verheirathung, und seitdem er für sich selbst arbeitete, eine mildere Gemüthsart. Seine unaufhörliche Beweglichkeit und Unruhe, die sonst auf Alles und auf Nichts abzweckten, schien nun einen Ruhepunkt und eine Laufbahn gefunden zu haben, wo sie sich nützlich beschäftigen konnten. Sein Erfindungsgeist und sein Kunstfleiß befaßte sich mit Dingen, die ihm vorher ganz fremd und unbekannt gewesen waren. So z.B machte[156] er sich eine Feueresse, mit doppeltem Blasebalg, einen Ambos, wozu er das Eisen eines Hebels verwendete; auch brannte er Kohlen, und gelangte durch diese Einrichtung in den Stand, sich Nägel, Klammern, Hacken, Bolzen, Riegel, und sogar Schlösser und Schlüssel zu verfertigen. Es würde zu weitläufig seyn, eine umständliche Beschreibung seines geflochtenen Palastes zu machen. Natürlich bestanden die Winkel und Ecken aus starken Pfosten, und die innern Abtheilungen waren durch Flechtwerk abgesordert, das ganze Gebäude mit großen Palmblättern mehrfach gedeckt, so daß es gegen Regen, Wind und Hitze völlig gesichert war. Hier wohnte Atkins und sein Gefährte mit ihren Weibern und Kindern, und die Wittwe seines dritten Kameraden, der in dem großen Gefecht mit den Wilden getödtet, und eben derjenige gewesen war, der einst alle Spanier umzubringen gedroht, und den armen Sklaven mit der Axt so schwer verwundet hatte. Hier hatte er nun seinen verdienten Lohn empfangen, und seine Wittwe mit drei Kindern hinterlassen, welche Atkins, sein Gefährte und ihre Familien menschenfreundlich behandelten, und mit allen Bedürfnissen versahen. Aber ungeachtet der an diesem Gebäude angebrachten künstlichen Einrichtungen waren doch die beiden andern Engländer in der Hauptsache, nämlich im Landbau und in ihrer Lebensart, viel weiter gefördert und daher glücklicher als jene. Höchst merkwürdig ist es aber, daß sowohl diese zwei als die beiden andern nicht das geringste Zeichen von Religion äusserten, es wäre denn, daß ein nicht seltenes God damn, nach Matrosenart,[157] dafür gelten müßte. Sie besaßen kein Gefühl oder Kenntniß der christlichen Religion, und ihre Weiber und Kinder waren eben so unwissend. Nur die englische Sprache, wozu die Noth sie zwang, hatten sie ihnen nebst dem, was zum Hauswesen gehörte, gelehrt. Als ich auf der Insel anlangte, belief sich die Gesammtzahl der Kinder auf zwanzig, von denen keines mehr als sechs Jahre alt war, denn es waren kaum sieben, daß die drei Engländer ihre Weiber auf die Insel gebracht hatten. Letztere waren sämmtlich von sanfter Gemüthsart, und daher äusserst gehorsam gegen ihre Männer, dienstfertig unter einander, milde gegen die Kinder und thätig in allen ihren Verrichtungen. Es fehlte ihnen bloß an christlichem Unterricht.

Ich sah die Burg noch immer als die Hauptniederlassung auf der Insel, und die Spanier für den Hauptstamm der Kolonie an, und ihre Rechtschaffenheit, Sittlichkeit und Religiosität rechtfertigten die Vorliebe, die ich für sie fühlte. Daher wohnte ich auch bei ihnen, und wenn ich des Abends von meinen Wanderungen in die Burg zurückkam, so plauderten wir bis tief in die Nacht von unsern Schicksalen und Begegnissen. So verlangte ich einst zu vernehmen, wie sie zu den Wilden gekommen waren, von wo ich sie abholen ließ. Das erzählte mir Don Gusman kürzlich Folgendes:

Wir wurden unglücklicherweise an eine Insel geworfen, die von einem sehr armen, mit Lebensmitteln nur spärlich versehenen Volke bewohnt war. Wären wir von unserm Unglück nicht so betäubt und niedergeschlagen[158] gewesen, so würden wir ohne längern Aufenthalt weiter gefahren und an eine andere Insel gelangt seyn, wo wir wahrscheinlich Früchte, Fische und Ziegen in hinlänglicher Menge gefunden hätten, sowohl um unser Leben zu fristen, als unser Boot mit genugsamem Vorrath zu versehen, um Trinidad zu erreichen, von wo uns auf jene Insel Ziegen und Schweine waren gebracht worden; statt dessen blieben wir so lange bei jener Völkerschaft, bis uns kein Mittel übrig blieb, weiter zu kommen. Oft erhielten wir kaum so viel Wurzeln oder Kräuter, die nur der Mangel eßbar machte, um nicht Hungers zu sterben. Diese Wilden waren träge, und nur die Noth trieb sie an, dergleichen zu suchen, oder zu fischen; dagegen aber waren sie weniger grausam als die übrigen Stämme an diesen Küsten. Wir hofften daher, sie durch Unterricht und Beispiel zu gesitteten Menschen, zu Christen zu bilden; sie fanden es aber sonderbar, daß Fremdlinge, die, ohne sie, sich nicht zu nähren vermochten, sie schulmeistern wollten. Sie verlangten vielmehr, daß wir, aus Erkenntlichkeit für das, was sie an uns thaten, ihnen in ihren Kriegen gegen ihre Feinde beistehen sollten, was wir denn auch nicht verweigerten, obschon unsere Feuergewehre, wegen Mangel an Pulfer, beinahe unnütze und wir dem Pfeilregen ohne Vertheidigung ausgesetzt waren, bis es zum Handgemenge kam; dann aber bedienten wir uns unserer Flinten, in welche wir spitzige Stäbe von hartem Holz, statt der Bajonette, gesteckt hatten, mit Vortheil; auch waren uns drei Helleparten geblieben, so daß es uns gelang, in die Feinde zu dringen,[159] und sie in die Flucht zu treiben. Dennoch wurden einst Fünf von uns mit Keulen zu Boden geschlagen, davon ich einer war, und gefangen weggeführt, aber durch Sie gerettet wurde. Da dies aber den Uebrigen unbekannt blieb, so bedauerten sie mich als todt; desto größer war nachher ihre Freude, als sie mich mit Freitags Vater ankommen sahen, der ihnen Lebensmittel, einige Waffen, besonders aber die Hoffnung brachte, aus ihrer peinlichen Lage gerettet zu werden. Das Brod, dessen sie so lange entbehrt hatten, schien ihnen eine wahre Götterkost, und die Aussicht auf die nahe Befreiung brachte sie vor Freude fast zum Wahnsinn; denn der Mensch vermag sie weit weniger zu ertragen als Leiden.

Nachdem ich nun erzählt, wie ich die Kolonie bei meiner Ankunft gefunden, folgt nun der Zustand, in welchem ich sie verließ. Es lag gar nicht in meiner Absicht, jemand von den Kolonisten von der Insel zu entfernen, da es die übrigen zu sehr hätte schmerzen müssen, in verminderter Anzahl zurückzubleiben. Ich erklärte ihnen vielmehr, daß ich große Auslagen gemacht, um der Kolonie mehr Wohlstand und Sicherheit zu verschaffen, und statt sie zu vermindern, ich mehrere neue Kolonisten mitgebracht hätte, um ihre Anzahl zu vermehren, und durch ihre Künste ihnen eine Menge nützlicher Dinge, die ihnen bisher gemangelt, zu verfertigen.

Am zweiten Tage nach meiner Ankunft gab ich ihnen eine große Mahlzeit, zu deren Zubereitung der Schiffskoch mit seinen Gehülfen an's Land kommen mußte, um eine hinlängliche Menge von Speisen auftischen zu[160] können, wozu ich Rind- und Schweinefleisch nebst vielen andern Vorräthen, die Kolonisten hingegen fünf junge Ziegen lieferten, um der Schiffsmannschaft frisches Fleisch, daran sie schon seit langem Mangel litt, zu essen zu geben. Auch bewirthete ich meine Gäste mit zehn Flaschen Franzwein, eben so vielen englisches Bier und überdies noch Punsch, so daß wir Alle, so wohl am Lande, als an Bord, recht fröhlich waren.

Während der Mahlzeit ward natürlich vielerlei gesprochen, sowohl von ihren Gefechten mit den Wilden, als von ihren Zwistigkeiten unter sich, und der seit einiger Zeit erfolgten Versöhnung. Ich ermahnte sie mit Herzlichkeit und Ernst, sich nie wieder zu entzweien, sondern in guter Eintracht, worin ihr Glück und ihre Stärke bestehe, zu leben. Atkins erwiederte hierauf: daß er nichts mehr wünsche, und sich gern zu aller Freundschaft und gegenseitiger Dienstleistung verpflichte. Die Spanier erklärten: »Da Atkins durch sein kluges und tapferes Benehmen bei dem Angriff der Wilden sich um die Kolonie verdient gemacht, und durch sein bisheriges Betragen ihre Achtung erworben habe, so seye an das Vorhergegangene nicht mehr zu denken, und sie würden es sich zur Pflicht machen, Friede und Freundschaft zu unterhalten, und alles zum Wohl der Kolonie beizutragen.« Nach diesen, mir höchst angenehmen Erklärungen, schritt ich, nach vollendeter Mahlzeit, zur Vertheilung der mitgebrachten Geschenke. Ich fieng damit an, den Kolonisten die neuen Ankömmlinge vorzustellen, die ich mitgebracht hatte, unter welchen der Schneider, der Schlosser, die zwei Zimmerleute,[161] und vorzüglich der geschickte Künstler ihnen sehr willkommen waren. Der Schneider machte noch am nämlichen Tage alle nöthigen Vorbereitungen, um gleich am folgenden sein Geschäft anzufangen, und den guten Menschen, die dessen so lange entbehrt hatten, vorerst Hemden und dann die übrigen Kleider zu machen, wobei er die Weiber anlernte, um ihm helfen zu können, worin sie dann schnelle Fortschritte machten. Als die Zimmerleute und der Künstler Atkins Wohnung besahen, erklärten sie, daß dieser Mann ihrer Hülfe gar nicht bedürfe, es fehle ihm nichts als Werkzeuge. Dies gab mir Anlaß, jetzt sogleich die mitgebrachten zu vertheilen, so daß jeder Kolonist eine Hacke, eine Schaufel, einen Rechen und ein Beil erhielt. Ausserdem ließ ich sie so viel Messer, Scheeren, Nähnadeln, Nägel und anderes kleines Eisenwerk nach Gutbefinden nehmen, da ich überzeugt war, daß sie solche nicht muthwillig vergeuden oder verderben würden. Jede besondere Kolonie bekam überdies noch eine Axt, einen eisernen Hebel und einige Schaufeln. Alles Uebrige, nebst Waffen und Munition, ward in das allgemeine Magazin in der Burg gebracht, woraus sich Jeder, mit Elaubniß des Gouverneurs, versehen konnte, und dieser Vorrath war so ansehnlich, daß sie im Stande waren, dem zahlreichsten Angriff zu widerstehen, indem sie doppelt und dreifach bewaffnet auftreten konnten. Es wäre unmöglich, den Eindruck und das Entzücken der Kolonisten bei dem Anblick dieser reichen und nützlichen Vorräthe auszudrücken. Sie dankten mir mit Freudenthränen in den Augen, nannten mich ihren Vater, Wohlthäter[162] und Retter, und versicherten mich, die Insel ohne meine Einwilligung nie zu verlassen, da ich in einer so großen Entfernung an sie und ihr Wohlseyn gedacht hätte.

Als ich die verschiedenen Niederlassungen auf der Insel besuchte, begleiteten mich, nebst meinem Neffen, dem Geistlichen und den Professionisten, auch der junge Mann, dessen Mutter auf dem Schiffe vor Hunger gestorben war, und seine Magd, welche ein artiges, sittsames Mädchen war. Als diese Beiden den aufblühenden Wohlstand der Kolonie bemerkten, und zugleich bedachten, daß sie in Europa völlig unbekannt waren, und in Ostindien nicht das Geringste zu suchen oder zu erwarten hatten, so baten sie mich, ihnen zu erlauben, auf dieser Insel zu bleiben, und der Kolonie mit gleichen Rechten, wie die Uebrigen, einverleibt zu werden, was ich ihnen herzlich gern bewilligte, ihnen sogleich ein gutes, hinlängliches Erdreich anwies, und durch die Zimmerleute in der Nachbarschaft der beiden Engländer, mit Hülfe der meisten Kolonisten, eine Wohnung errichten ließ, die nach Art derjenigen des Atkins geflochten und in wenigen Tagen vollendet war.

Die Burg war und blieb der Hauptort der Insel, und war, wie schon gesagt, von den Spaniern, von Freitags Vater und den ersten Sklaven bewohnt; ihnen gehörte auch das Landhaus und die Thalgrotte, wohin ein großer Theil der Vorräthe gebracht, und sie zum allgemeinen Magazin gemacht wurde. Auf diese Weise schien mir nun meine Insel im besten Zustande, und nichts zu wünschen übrig zu seyn. Aber der fanzösische[163] Geistliche war anderer Meinung. Wir hatten schon auf dem Schiffe und auch bei unsern Spaziergängen auf der Insel, über religiöse Gegenstände gesprochen, und ich hatte in ihm einen aufgeklärten, wohldenkenden und toleranten Mann gefunden. Als wir von dem Besuche bei Atkins allein zurückkamen, benutzte er diese Gelegenheit, als wir allein waren, und sagte: »Er habe schon seit einigen Tagen gewünscht, mit mir über wichtige Dinge zu sprechen. Er hatte mich, obwohl von einer andern Confession, als einen religiös denkenden Mann erkannt, und sey daher nicht wenig verwundert zu sehen, daß ich auf gewisse Mängel gar nicht zu achten scheine, die doch offenbar genug wären.« Und welche sind denn diese Mängel? fragte ich eben so verwundert. »Sie sind, erwiderte er, der Retter meines Lebens und mein Wohlthäter, und ich werde daher niemals etwas thun, ohne ihre Erlaubniß erhalten zu haben. Ich werde aber auch nichts unterlassen, womit ich glaube Ihnen oder Ihrer Kolonie oder dem Schiffsvolke von Nutzen seyn zu können, und das, was ich Ihnen mitzutheilen wünsche, schließt sich genau an Ihre Absicht, das Glück und Heil Ihrer Kolonie zu befördern, an. Es ist die Pflicht jedes guten Christen, die Menschen, welche ohne Gefühl und Erkenntniß Gottes in ihren Sünden dahin leben, auf den rechten Weg zu leiten. Nun aber leben Ihre Engländer ohne die geringste Aeußerung christlichen Sinnes und eben bei ihnen sind mir drei Mängel klar geworden, die der Kolonie zum Unsegen gereichen müssen. – Und die sind?« – »Ihre Engländer haben sich bei den Wilden Weiber[164] geholt, mit ihnen Kinder gezeugt, ohne sich rechtmäßig verehlicht zu haben.« – Nun wer hätte sie denn trauen sollen? Es war ja kein Geistlicher auf der Insel, und man besaß nicht ein Stückgen Papier, weder Federn noch Tinte, um den Ehekontrakt zu schreiben. Auch bat der Gouverneur so viel möglich Vorsichtsmaßregeln genommen, um jeder Unordnung vorzubeugen. – Dies Letzte macht nur einen geringen Theil der Ehestandspflichten aus. Diese bestehen erstens und hauptsächlich in der gegenseitigen Einwilligung zwischen Mann und Weib, in der Verpflichtung sich als solche gesetzmäßig zu betrachten und zu behandeln, sich alles nähern Umgangs mit andern Personen während der Dauer des Ehestands zu enthalten, und daß der Ehmann für Weib und Kinder nach Vermögen sorge. Von allem dem ist hier ist keine Spur, und die vier Britten können ihre Weiber und Kinder verlassen, sobald es ihnen gefällt. Zweitens scheint es mir unverantwortlich, daß diese Engländer, die doch für Christen gelten wollen, den Ihrigen kein Wort von Christenthum gesprochen haben; und endlich drittens, ist auch den an der Südwestküste angesiedelten Wilden eben so wenig davon beigebracht worden, und doch müssen alle diese, sowohl die Einen als die Andern, als Ihre Unterthanen betrachtet werden. Für das bisher Vernachlässigte sind Sie zwar nicht verantwortlich, wohl aber für die fernere Vernachlässigung, da es Ihnen als Oberherr, als Christ und als Mensch daran gelegen seyn muß, eine christliche Kolonie gestiftet zu haben. Es ist daher[165] Ihre Pflicht, dafür zu sorgen, daß diesen drei Gebrechen sobald möglich abgeholfen werde.

Ich gestehe, daß ich durch die triftigen Gründe dieses würdigen Geistlichen überzeugt und nicht wenig bestürzt wurde, da ich nicht gleich wußte, wie ich mich zu benehmen hätte, und im ersten Augenblicke schon befürchtete, diese Eheleute sämmtlich trennen zu müssen, was unabsehliche Folgen haben müßte. Aber er beruhigte mich, indem er mich versicherte, daß da von keiner Trennung der Gatten die Frage wäre, und wenn ich ihm Erlaubniß geben wollte, so würde er die Sache zu meiner Zufriedenheit und zum Besten der Kolonisten zu besorgen trachten. Die erheilte ich ihm gerne, und war so eitel, ihm die Unterstützung mit meinem ganzen Ansehen zu versprechen. – Was dies betrifft, erwiederte er, so hängt es mehr von der Gnade Gottes als von Ihrer Autorität ab, und wir müssen, nachdem die Sache eingeleitet seyn wird, sie jener ganz allein überlassen. Aber, versetzte ich, dies wird eine längere Zeit kosten als meine Lage mir erlaubt, hier zu bleiben. Bei der Uebereinkunft mit den Rheedern habe ich mir ausbedungen, zwölf Tage auf meiner Insel zu bleiben. Höchstens ward mir gestattet, diesen Aufenthalt noch acht Tage zu verlängern, ich muß aber für jeden Tag 3 Pfund Sterling bezahlen, und ich sowohl als die Rheeder würden durch jede Verzögerung zu empfindlichen Verlust leiden, und wenn ich darauf bestehen wollte, würde man mich hier zurücklassen, was mir unerträglich wäre. Er bemerkte hierauf, daß die Bekehrung der Engländer und ihrer Familien, nebst einer bedeutenden[166] Anzahl Wilder, eines solchen Opfers doch wohl werth seyn möchte. Nun, erwiederte ich, wenn das ist, warum bleiben Sie, der ein Geistlicher ist, nicht hier, um ein Werk auszuführen, das sich vorzüglich für Sie schickt, und dem Sie weit besser gewachsen sind, als ich?

Die Frage rührte ihn ausserordentlich; er ward bald blaß, bald glühend roth, er schien verklärt, hub Augen und Hände gen Himmel, und rief: Dank sey dem Allmächtigen und Ihnen, werthester Herr, der mir einen so deutlichen Fingerzeig zu meinem wahren Berufe giebt, zu dem meine ganze Reise mich benimmt zu haben scheint. Hier gab er mir folgenden Bericht von den merkwürdigen Schicksalen derselben: »Mein erster Entschluß war, nach Martinique zu gehen. Ich schiffte mich zu St. Malo ein, aber das stürmische Wetter nöthigte uns, in den Tajo einzulaufen; hier stießen wir auf den Grund, litten Schaden, so daß das Fahrzeug entladen und ausgebessert werden mußte. In dieser Verlegenheit fand ich ein Schiff, das nach den Maderischen Inseln bestimmt war, aber durch die Unkunde des Kapitäns nach Fial trieb, wo er glücklicherweise seine Ladung von Getreide mit Vortheil absetzen konnte, dafür Salz einlud, und damit nach Neu-Foundland segelte. Da mir nichts anders übrig blieb, machte ich diese Reise mit. Als wir uns bereits in der Nähe befanden, begegneten wir einem französischen Schiffe, das nach Quebec in Kanada und dann von hier aus nach Martinique bestimmt war, wo ich zuerst hin wollte, daher beeilte ich mich, auf selbiges überzugehen, und wir langten glücklich[167] in Quebec an, wo aber der Kapitän starb, und die Abreise auf ungewisse Zeit verzögert wurde. Da ich hier nicht bleiben wollte, schiffte ich mich auf ein Fahrzeug nach Frankreich ein, das nämliche, das in offener See verbrannte, und wo Sie mich vom Untergang retteten. Da nun Ihr Schiff nach Ostindien bestimmt ist, wo ich nichts zu thun habe, und fünf Mal mich anders habe einschiffen müssen, ohne meinen Bestimmungsort erreichen zu können, so will ich nun hier auf dieser Insel bleiben, wo ich mein Missionsgeschäft, das sich mir von selbst anbietet, erfüllen kann.«

Ich ward sowohl durch seine Schicksale, als durch seinen Entschluß beinahe eben so getroffen, als er es durch meine Frage war. Fast hätte sich aber ein neuer Anstand erzeigt. Da ihm die Sprache der Wilden eben so unbekannt als ihnen die seinige war, so bat er mich, ihm Freitag hier zu lassen, mit dessen Sprachkenntniß er sein Bekehrungsgeschäft erfolgreicher zu betreiben hoffte, allein dies konnte weder mir noch Freitag, der sich um keinen Preis von mir getrennt haben würde, anstehen, versicherte ihn aber, daß Freitags Vater ihm hierin weit nützlicher seyn könne, womit er sich denn auch begnügte.

Es war nöthig, die vier Britten gewissermaßen zu dem vorzubereiten, was wir Willens waren auszuführen, da wir glaubten, daß sie dazu wenig geneigt seyn würden. Ich ließ sie daher vor mich kommen, stellte ihnen ihre völlig unchristliche Lebensart vor, zeigte ihnen die Nothwendigkeit einer gesetzlichen Verheirathung, und des Unterrichts ihrer Weiber und[168] Kinder im Christenthume. Wider Erwarten zeigten sie sich Alle und vorzüglich Atkins sehr willfährig, und die Weiber, nachdem man ihnen die Sache erklärt hatte, waren sehr zufrieden. Atkins warf nun die Frage auf: da nur der Mangel eines Geistlichen verhindert habe, ihre Ehen einzusegnen, wo man nun einen solchen finden werde, um dies zu verrichten? Das war's wo ich ihn erwartete. Der Geistliche befand sich in der Nähe, aber nicht als katholischer Priester, sondern bloß schwarz gekleidet. Ich erwiederte daher: es wäre allerdings ein Geistlicher bei mir, der Morgen die Ceremonie vornehmen werde, bis dahin möchte er sich mit seinen Kameraden darüber berathen, was ihm aber gar überflüssig zu seyn schien, denn er sey bereit, und die Andern würden auch wohl nichts dagegen haben.

So glaubte ich alles desto eher in Richtigkeit, da der Geistliche die ganze Angelegenheit selbst angeregt hatte, und doch kam eben von ihm eine neue Schwierigkeit, denn er weigerte die Trauung vorzunehmen, so lange die Weiber nicht Christinnen wären, da dies Sakrament dadurch entweiht werden würde. Er begann also damit, den Engländern rührende Vorstellungen und die Nothwendigkeit begreiflich zu machen, vorerst ihre Weiber zu unterrichten, und mit dem Wesen des Christenthums bekannt zu ma chen. Ich diente ihm hierbei zum Dolmetscher, und durch vieles Zureden kamen wir endlich so weit, daß die Weiber an diesem Tage einen oberflächlichen Begriff davon erhielten, was besonders durch den Eifer des bekehrten Atkins, der eben so bekehrungssüchtig geworden, als er vorher gleichgültig[169] gewesen war, und durch die erbaulichen Bemühungen der jungen, vom Hungertode geretteten Magd gefördert ward, so daß der Priester einwilligte, zuerst die Weiber zu taufen, und hernach ihren Gatten anzutrauen, was denn, wie gesagt, am folgenden Tage statt fand, wo zugleich unser Tausendkünstler mit jener Magd kopulirt wurde. Der Geistliche schloß die Trauungsceremonie mit einer ernstlichen Ermahnung an die Engländer, fortzufahren, ihre Weiber und Kinder in der Religion zu unterrichten. Zu dem Ende theilte ich ihnen einige mitgebrachte Bibeln aus.

Diese Angelegenheit hatte mich in den letzten Tagen nicht wenig beunruhigt, ich war also herzlich froh, sie beendigt zu sehen, und meine Abreise zu beschleunigen. Als ich die nöthigen Zubereitungen machte, kam der junge Britte, den ich gerettet hatte, um mich zu bitten, einige Briefe an seine Verwandten in England, worin er ihnen Bericht von seinen Schicksalen und seinem gegenwärtigen Aufenthalt gab, mitzunehmen, und bei erster Gelegenheit an sie abzusenden. Er dankte mir auch für das ihm geschenkte Erdreich. Dies erregte bei mir die Idee, die ganze Insel unter die Kolonisten dergestalt zu vertheilen, daß jede Kolonie ihr Revier, und jeder Kolonist sein Eigenthum hätte. Mit Hülfe des Künstlers und Atkins war die Eintheilung der Ländereien in kurzer Zeit fertig, da mehr als hinlängliches Land vorhanden, und daher keine so gar genaue Abmessung erforderlich war; doch wurde die Begränzung einer jeden Pflanzung genau beschrieben, und darüber ein von mir unterzeichnetes Aktenstück ausgefertigt,[170] so daß allen Zwistigkeiten über Besitzthum für die Zukunft vorgebeugt wurde. Ich behielt mir die Territorialherrschaft der ganzen Insel, nebst einer Abgabe von jedem Grundstück vor, welche nach einer Frist von zehn Jahren mir oder meinem Beauftragten, oder meinem Nachfolger, jährlich zu entrichten seyn sollte, wozu sich Alle körperlich verpflichteten, worüber ebenfalls ein Dokument ausgefertigt, und von Allen entweder eigenhändig unterschrieben, oder einer um und für den andern bezeugt und gehuldigt wurde.

Dies führte natürlich zur Bestimmung der Regierungsform. Diese ward republikanisch eingerichtet Don Gusman blieb unter dem Titel eines Statthalters und Präsidenten an der Spitze der Kolonie, hatte die vollziehende Macht und eine Anzahl nach bestimmter Form gewählter Mitglieder, bildete die Gesetzgebung, und eine andere Anzahl das Gerichtstribunal. Diese ersten Grundlagen sollen dann bei vermehrter Volksmenge weiter ausgebildet werden. Man fand es auch vortheilhaft, die Wilden, die bis dahin abgesondert gewohnt und sich wohl betragen hatten, in die andern Pflanzungen aufzunehmen. Der Vorschlag ward ihnen durch den Präsidenten, der mit Freitags Vater sich zu ihnen begab, gemacht, und willig von Allen angenommen, und da ich auf keine Weise die Sklaverei auf meiner Insel dulden wollte, so stand es den Wilden frei, entweder ihr eigenes Land zu bauen, oder als Dienstboten um Lohn bei den übrigen Kolonisten zu dienen. Nur drei oder viere wählten das Erstere, die Uebrigen zogen vor, in Dienste zu[171] treten. So erhielten der junge Britte, der Künstler, der Schmied, der Schneider, die Zimmerleute und die übrigen neuen Ankömmlinge die nöthigen Gehülfen zum Anbau ihrer Grundstücke.

Durch diese neue Anordnung bestand die Kolonie aus zwei Hauptabtheilungen. Die erste aus den Spaniern mit Freitags Vater und ihren bisherigen Sklaven gebildet, besaß die Burg, und dehnte sich von da bis zu dem in der Ebene vorbeifließenden Flusse, und östlich bis an die diesseitige Küste, westlich aber bis an die Grenze des zum Landhause gehörigen Geländes. Im Süden gehörte ihnen die Grotte mit ihren Umgebungen. Die Engländer bewohnten nebst den neuen Ankömmlingen und den wenigen Wilden, die ihr eigenes Land bauten, den nördlichen Theil der Insel, dehnten sich südlich bis an den Fluß, der die erste Abtheilung begrenzte, und westlich bis dahin, wo der Pfahl gestanden, den ich bei meiner Entdeckungsreise durch die Insel aufgestellt hatte. Zwischen den Pflanzungen des Atkins und denen der zwei andern Engländer lag noch eine weite Strecke unbebauten Landes, auf welcher sich eben jene Ankömmlinge niederließen, und somit alles zu einem zusammenhängenden Ganzen vereinigten. Die Gegenden an der Nordost- und Westküste, wo die Wilden zu landen pflegten, blieben unbewohnt, damit die Kolonie mit jenen nicht in Berührung gerathe. Auch der Winkel in Südwest, wo bisher die jetzt unter den Kolonisten lebenden Wilden gewohnt hatten, blieb einstweilen unbewohnt.[172]

Nachdem ich alles, was für die Kolonisten bestimmt war, an Land bringen lassen, und zum Theil unter die Kolonisten vertheilt hatte, so blieben nur noch die zwei Feldstücke und die Theile der Schluppe, die zusammen gesetzt werden konnten, an Bord, aber in der Lage, worin ich die Kolonie gefunden hatte, schien es mir unnöthig, ihr solche zurückzulassen, weil ich befürchtete, die Artillerie könnte sie zu Angriffen auf ihre Nachbarn, die Schluppe aber einige Unzufriedene verleiten, die Insel zu verlassen. Ich sagte ihnen also nichts davon, und nahm solche mit auf die Weiterreise.

Quelle:
[Defoe, Daniel]: Der vollständige Robinson Crusoe. Constanz 1829, Band 2, S. 154-173.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Robinson Crusoe
Robinson Crusoe: Der Bücherbär: Klassiker für Erstleser
Robinson Crusoe: Erster und zweiter Band
Robinson Crusoe (insel taschenbuch)
Robinson Crusoe
Robinson Crusoe: Roman (Schöne Klassiker)

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon