Siebenzehnter Abschnitt.

[268] Die Kannibalen.


Nach diesem fieng ich wieder an, nach meiner alten Weise zu leben und meine häuslichen Arbeiten zu besorgen, nur daß ich dabei behutsamer war, und nicht so oft ausgieng, denn wenn ich mich auf mein Landhaus begab, das bekanntlich gegen West lag, so durfte ich mich nicht unbewaffnet dahin wagen; hingegen nach Ost, wo freilich die Gegend nicht so fruchtbar und angenehm, aber von den Wilden unbesucht und völlig sicher war, gieng ich ohne so viele Vorsicht und ohne eine solche Last von Waffen, die mir höchst beschwerlich fiel, aber unentbehrlich schien. Es kam mir mehrere Male in den Sinn, wieder nach dem gescheiterten Schiffe zu fahren, allein die weite und gefährliche Fahrt und die geringe Aussicht zu einer ersprießlichen Beute hielten mich schwankend zurück, und ich weiß nicht, was ich noch gethan haben würde, wenn nicht in einer stürmischen Nacht der Wrak völlig zu Grunde gegangen wäre; denn als ich des Morgens mit dem Fernrohre dahin sah, konnte ich keine Spur mehr davon erblicken.

Meine jetzige Lebensart gab mir nicht hinlängliche Beschäftigung, denn wenn ich des Jahrs einmal mein Feld bestellt und das Einsammeln der Erndte und anderer Früchte beendigt hatte, so blieb mir nichts weiter[269] zu thun übrig, als meine Ziegen zu melken, Butter und Käse zu machen, meine Speisen zuzubereiten, und von Zeit zu Zeit einige Körbe zu flechten, oder Töpfe zu brennen, womit ich aber so wohl versehen war, daß es nur selten und mehr aus Thätigkeit als aus Mangel geschah. Mein Lesen in der Bibel setzte ich täglich fort, nahm auch die andern Bücher aus meinen Kisten, die meistens nur die Schiffahrtskunde betrafen. Diese gaben den Anlaß, daß ich nicht nur Lust bekam hin- und herzustreifen und wenigstens die nächstgelegenen zwei Inseln, sondern auch das entfernte feste Land zu besuchen, und ich glaube wirklich, daß wenn ich das wohlgebaute Boot, mit dem ich aus Salee flüchtete, oder ein ähnliches gehabt hätte, ich würde mich auf gut Glück in die weite See gewagt haben, um irgend eine europäische Niederlassung aufzusuchen, und wieder zu Menschen zu kommen. Die fehlgeschlagene Hoffnung, wo ich das, was ich am sehnlichsten wünschte, und schon so gewiß und so nahe glaubte, nämlich auf dem gescheiterten Fahrzeuge Jemanden zu finden, hatte diese Reiseplane wieder aufgeregt, und ich verfiel oft darauf, zu untersuchen, welchen Theil von Amerika die Wilden, die zuweilen an der Insel landeten, eigentlich bewohnten, und ob es nicht möglich wäre mich so einzurichten, daß ich eben sowohl an ihrer Küste, als sie an der meinigen, landen könnte? Was ich da anfangen, was aus mir werden sollte, wenn ich drüben wäre, und wie ich den Nachstellungen der Wilden oder selbst ihren Händen entgehen sollte? daran dachte ich nicht einmal. Meine ganze Seele war jetzt nur damit beschäftigt, wie ich[270] mit meinem kleinen Boote das feste Land erreichen könnte. Käme ich an das feste Land, so könnte ich vielleicht sogleich Hülfe finden, oder wenn das nicht wäre, längs der Küste hinschiffen, wie ich es an der von Afrika gemacht hatte, bis ich ein bewohntes Land fände, oder einem christlichen Schiffe begegnete, das mich aufnähme, und das Schlimmste, das mir wiederfahren könnte, wäre der Tod, und damit hätte all mein Elend auf einmal ein Ende. Mein gegenwärtiger Zustand schien mir jetzt wieder der elendeste zu seyn, und ich sann Tag und Nacht auf Mittel, von dieser Insel wegzukommen.

Es war in der Regenzeit, im März des vierundzwanzigsten Jahres seit meiner Ankunft in dieser Einöde, als ich eine ganze Nacht schlaflos zubrachte, obschon ich ganz gesund war. Es würde eben so unmöglich als überflüssig seyn, die unzähligen Gedanken aufzuzeichnen, die sich in meinem Kopfe durcheinander drängten. Unter andern gieng die ganze Geschichte meines Lebens, wie ein Miniaturgemälde, oder vielmehr wie Bilder einer Zauberlaterne vor mir vorüber, und erweckte bald fröhliche, bald traurige Betrachtungen in mir. Da ich jetzt wieder Papier, Tinte und Federn besaß, so schrieb ich nicht nur wieder dasjenige auf, was mir täglich begegnete, sondern auch aus dem Gedächtniß, was sich ereignet hatte, seitdem ich nicht mehr hatte schreiben können.

Die Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Zustande ist eine allgemeine Seuche, aus welcher gewiß die größere Hälfte alles Elends entspringt, das die Menschen[271] betrifft, und ich kann hierin allen zu einem warnenden Beispiele dienen. Ohne jetzt auf meine ersten Thorheiten, meine Widersetzlichkeit gegen den Willen und den vortrefflichen Rath meines Vaters und auf meine Entweichung zurückzukommen, so war doch meine unruhige Gemüthsart die Quelle alles mir seither zugestoßenen Elendes. Hätte ich in Brasilien meine Begierden einzuschränken gewußt, und mich damit begnügt, meine Pflanzung zu besorgen und zu verbessern, so würde ich längst über hundert tausend Moidoren im Vermögen haben; welche Thorheit war es daher, das Gewisse für das Ungewisse zu verlassen, um Neger zu holen, die ich vor meiner Thüre hätte kaufen können; der Unterschied des Preises war so unbedeutend, daß es nicht werth war, mich einer so großen Gefahr auszusetzen. Hier stellte sich diese nun in ihrer ganzen Größe dar, dann auch meine glückliche Rettung und die frühern Jahre meines Aufenthalts auf dieser Insel; ich verglich meine damalige ruhige Lage mit der Furcht, den Beängstigungen und Besorgnissen, in denen ich seit dem Augenblick der Entdeckung des menschlichen Fußtapfens gelebt hatte. Ich zweifelte keineswegs, daß die Wilden auch vorher die Insel oft besucht haben, aber die Unbekanntheit mit dieser Gefahr war für mich ein eben so großes Glück als das, ihr nicht ausgesetzt zu seyn. Wie unendlich gütig ist doch die göttliche Vorsehung, daß sie den Erfolg der Dinge vor den Augen des Menschen verborgen hat, so daß er oft unter tausend Gefahren ruhig und heiter umher wandelt, weil er sie nicht entdeckt. Wie oft gieng ich damals[272] unbesorgt und in der tiefsten Sicherheit herum, da vielleicht nur ein Gesträuche, ein Baum, ein Hügel, die Zeit der Ebbe und Fluth, oder die zufällige Annäherung der Nacht zwischen mir und der schrecklichsten Gefahr lag, von den Wilden ergriffen und gefressen zu werden. Ich würde gegen mich selbst ungerecht seyn, wenn ich sagte, daß ich nicht tief gerührt war und Gott von Herzen für die Rettung dankte, die mir nicht einmal bekannt war. Dann ward ich auf's Neue gegen diese Unmenschen ergrimmt, und machte wieder mancherlei Entwürfe, ihnen aufzulauern, sie anzufallen und zu vernichten; so widerspruchsvoll und wankelmüthig ist der Mensch.

Der Wirrwar meiner Gedanken beunruhigte mich so sehr, daß mein Blut in eine ausserordentliche Wallung gerieth, und mein Puls so schnell wie im Fieber schlug. Gegen Morgen, als schon die Dämmerung grauete, fiel ich vor Ermattung in einen wohlthätigen Schlaf. Da träumte mir, ich befände mich auf meinem Morgenspaziergang, und käme an die Ostküste, nächst meiner Anfurth, wo zwei Kanots landeten, aus denen eilf Wilde mit einigen Gefangenen stiegen, um diese zu verzehren. Einer derselben, den sie eben schlachten wollten, entlief ihnen und suchte sich in dem Gebüsche zu retten, das meine Burg umgab. Ich kam ihm mit Freundlichkeit entgegen und suchte ihm Muth einzuflößen. Er fiel vor mir nieder und schien mich um Beistand gegen seine Verfolger zu bitten, von denen ich aber keinen bemerkte. Es schien mir hierauf, daß ich ihm die Hand reichte, mit ihm auf der Leiter über[273] den Wall in meine Burg stieg, wo er mein Knecht wurde. Nun glaubte ich an ihm einen Steuermann zu haben, der mich nach dem festen Lande bringen und mir sagen würde, wohin ich gehen oder mich nicht hinwagen dürfe, was ich zu thun oder zu unterlassen hätte. Das Entzücken über meine nahe Befreiung war unaussprechlich, und mit nichts als mit dem Mißvergnügen und der Bestürzung zu vergleichen, da ich bei'm Erwachen fand, daß alles nur ein Traum sey, welches mich in die größte Niedergeschlagenheit versetzte. Doch leitete mich dies auf die Idee, wo möglich einen Wilden, den sie zum Abschlachten bestimmt und hieher gebracht hätten, aus ihren Klauen zu erretten; ich hoffte dadurch ihn mir, als dem Retter seines Lebens, so dankbar, und durch eine freundliche Behandlung so ergeben zu machen, daß er Alles für mich thun würde; ich beredete mich sogar, selbst mit zwei oder drei Wilden wohl fertig zu werden, und sie so zu zähmen, daß sie meine Sklaven seyn und allen meinen Befehlen gehorchen müßten, wobei ich denn schon verhüten wollte, daß sie mir keinen Schaden zufügten. An diesen Vorstellungen weidete ich mich lange, aber auf der andern Seite ward meine Freude merklich getrübt, daß diese Unternehmung großen Schwierigkeiten ausgesetzt sey, gar leicht mißlingen und zu meinem eigenen Verderben gereichen könnte. Dann beunruhigten mich auch wieder die Zweifel gegen die Rechtmäßigkeit derselben; die Gründe, worauf sie sich stützten, habe ich bereits auseinander gesetzt, und es wäre daher überflüssig, sie zu wiederholen.

Meine Wünsche und Bedenklichkeiten, Gründe und[274] Gegengründe kämpften lange gegen einander, und nach vieler Unruhe und Unentschlossenheit behielten denn doch die ersteren die Oberhand über alles Uebrige, und ich war fest entschlossen, was es auch koste, einen Wilden in meine Hände zu bekommen, und ich rechtfertigte meinen Vorsatz mit dem Grunde, daß die Wilden meine Feinde, die Störer meiner Ruhe waren. Man merkt wohl, daß die Leidenschaft mir diesen Grund eingab, denn er ist falsch.

Nachdem einmal mein Entschluß gefaßt war, kam es darauf an, wie ich ihn ausführen sollte. Nach mehreren entworfenen, abgeänderten, verworfenen und erneuerten Planen, hielt ich mich an den schon einmal gefaßten, nämlich Wache zu halten, um ihre Ankunft und ihr Benehmen zu erspähen, im Uebrigen den Erfolg abzuwarten, und meine Maaßregeln den Umständen gemäß zu ergreifen.

Demnach gieng ich täglich auf Kundschaft aus, besonders nach den westlichen und südwestlichen Küsten der Insel. Meine Schüchternheit war gänzlich verschwunden, und anstatt dem Anblick dieser Kannibalen auszuweichen, brannte ich vielmehr vor Begierde, sie anzutreffen. Aber es verlief eine lange Zeit, ehe sich dazu Gelegenheit zeigte; doch dämpfte diese Zögerung keineswegs mein Verlangen, sondern dieses ward nur desto heftiger, je länger sich die Befriedigung desselben verzog.

Endlich, nach anderhalb Jahren, erblickte ich eines Morgens meine Feinde, aber nicht ohne große Bestürzung, denn es waren nicht weniger als fünf Kanots,[275] und da jedes sechs oder mehr Wilde zu enthalten pflegte, so war es allerdings viel gewagt, ich so allein ihrer dreißig anzufallen. Sie waren an der Nordostküste, jenseits der Bucht, ans Land gestiegen, und zogen etwas links von mir, wo eine sich hinunterziehende Waldspitze sie bald meinen Augen entzog, so daß ich nicht wissen konnte, wie weit landeinwärts sie gegangen waren, welches mich sehr beunruhigte. Statt sie aufzusuchen, kehrte ich in meine Burg zurück, machte Alles zu einer tüchtigen Vertheidigung zurechte, wie ich schon einmal in einem ähnlichen Falle gethan hatte. Nachdem ich in dieser Verfassung eine gute Weile gewartet und gelauscht hatte, ob ich kein Geräusch von ihnen hörte, ward ich ungeduldig, und stieg mit dem Fernglase auf meine Warte, wo ich sie ungefähr hundert Schritte vom Ufer sogleich entdeckte; sie hatten ein großes Feuer angemacht und tanzten mit mancherlei Geberden und Stellungen um selbiges herum. Darauf entfernten sich Einige, und holten aus einem Kanot zwei Unglückliche, von denen ich sogleich den Einen niederstürzen sah, der vermuthlich mit einer Keule zu Boden geschlagen wurde; ohne Verzug warfen sich drei Unmenschen über ihn her, öffneten ihm den Leib und zerlegten ihn in Stücke, indeß der Andere jede Minute ein ähnliches Schicksal erwartete; als er aber bemerkte, daß die Umstehenden mehr auf den Erschlagenen als auf ihn Acht gaben, so ersah er seinen Vortheil, nahm Reißaus, und rannte, von der Liebe zum Leben beflügelt, mit unglaublicher Schnelligkeit gegen den Meerbusen gerade auf meine Wohnung zu, was mich desto mehr in Schrecken setzte,[276] da eine ganze Schaar ihn verfolgte; doch fieng ich bald an mich zu erholen, als ich ihn hinter der Waldecke hervorkommen und nur von Dreien verfolgt sah, über die er jeden Augenblick einen so beträchtlichen Vorsprung nahm, daß wenn er diesen schnellen Lauf nur eine halbe Stunde aushalten konnte, sie ihn nie einholen würden; wenn er aber nicht von ihnen erhascht werden wollte, so mußte er nothwendig über die Bay schwimmen, die hier schon gegen fünfzig Schritte breit war und hohe Ufer hatte; allein die Fluth war ihm günstig und er warf sich ohne Anstand in's Wasser, schwamm in dreißig bis vierzig Sätzen hinüber, erkletterte mit Leichtigkeit das Gestade, und setzte seinen Lauf mit ausserordentlicher Schnellfüßigkeit fort. Von seinen Verfolgern blieb einer stehen, und kehrte bedächtlich und zu seinem Glück zum Blutschmause zurück; die beiden andern waren beherzter, und schwammen dem Flüchtling nach, brauchten aber noch einmal so viel Zeit dazu als dieser.

Jetzt war ich gewiß, daß mein Traum in Erfüllung gehen, der Fliehende in meinem Wäldchen Schutz und Schirm suchen und sich retten werde, und ich fühlte einen unwiderstehlichen Drang ihm beizustehen, wozu die Vorsehung mich deutlich zu berufen schien, um mir einen Gehülfen und Gefährten zu gewinnen. Ich stieg in größter Eile von meiner Warte herunter, nahm zwei Flinten, die ich bereits geladen hatte, stieg über meinen Wall, und lief gerade gegen die Bucht hin, wo ich, da der Weg kurz war und sich sanft bergab senkte, mich bald zwischen dem Entflohenen und den[277] Nachsetzenden befand. Jenem rief ich laut zu, allein der Furchtsame erschrack eben so sehr über mich als über seine Feinde; aber ich winkte ihm mit der Hand nach mir zu, und gieng auf jene los, fiel über den nächsten her, und schlug ihn mit dem Gewehrkolben zu Boden, denn ich wollte nicht gerne meine Flinte abfeuern, aus Besorgniß, durch den Knall mich dem nahen Schwarm zu verrathen, obwohl die Entfernung und die Unbekanntheit mit Feuergewehr es höchst unwahrscheinlich machte, daß sie sich selbigen erklären konnten. Der Gefährte des Erschlagenen stand bestürzt einige zwanzig Schritte hinter ihm stille, ich nahete mich ihm, und bemerkte, daß er den Pfeil auf den Bogen legte, deßwegen kam ich ihm vor, und schoß ihn Knall und Fall nieder.

Dieser Knall, die Flamme, der Rauch erschreckten den armen Wilden so sehr, daß er wie eingewurzelt stille stand, und er schien mehr geneigt, zu fliehen, als sich mir zu nähern; ich rief und winkte ihm wiederholt, er möchte doch zu mir kommen. Er schien es auch zu verstehen, kam einige Schritte näher, stand stille, trat wieder vorwärts und hielt wieder inne. Ich bemerkte wohl, daß er vor Angst zitterte, obschon er seine Feinde todt und sich von ihnen befreit sah, allein er fürchtete gefangen und wie sie getödtet zu werden. Ich winkte ihm abermals, und suchte ihm durch alle erdenkliche Zeichen und freundliche Worte und Blicke Muth einzuflößen. Dies bewog ihn, sich zu nähern, er kniete aber alle zehn oder zwölf Schritte, um mir seine Dankbarkeit oder Unterwürfigkeit zu bezeugen. Ich lächelte[278] ihm entgegen; endlich kam er ganz nahe, kniete wieder, küßte die Erde, ergriff meinen Fuß, und setzte sich ihn auf den Kopf, den er auf den Boden gelegt hatte, welches vermuthlich ein Zeichen seyn sollte, er wolle mein Sklave seyn. Ich reichte ihm die Hand, hob ihn auf, that freundlich gegen ihn, und suchte auf alle mögliche Art ihm Muth zu machen.

Allein es gab noch mehr zu thun. Der Wilde, den ich mit dem Kolben niedergeschlagen hatte, war nicht todt, sondern nur betäubt, fieng an wieder zu sich selbst zu kommen und sich zu regen. Ich zeigte dies meinem geretteten Wilden, der hierauf einige Worte aussprach, die ich zwar nicht verstand, mich aber entzückten, da sie seit fünfundzwanzig Jahren die ersten menschlichen Laute waren, die ich, ausser meiner eigenen Stimme, hörte. Doch es war jetzt keine Zeit, mich diesen angenehmen Betrachtungen zu überlassen, denn der Verwundete hatte sich schon so weit erholt, daß er aufgerichtet saß, und mein Schützling fieng bereits an bange zu werden. Ich richtete meine Flinte auf Jenen, um ihn zu erschiessen, allein Dieser hatte schon so viel Zutrauen zu mir gewonnen, daß er mir zu verstehen gab, ich möchte ihm meinen Säbel leihen. Kaum hatte er ihn, als er auf seinen Feind zulief, und ihm mit einem Streiche den Kopf so fertig als der geschickteste Scharfrichter abhieb, welches mich verwunderte, da ich glaubte, der Säbel müßte für ihn eine unbekannte Waffe seyn, allein ich hatte nachher Gelegenheit zu erfahren, daß die Wilden Schwerter haben, die von so hartem und schwerem Holz und so scharf sind, daß sie[279] damit so gut als wir mit eisernen ihre Feinde mit einem Hiebe niedersäbeln. Nach einer so wohl gelungenen That kam er hüpfend zurück, und legte den Säbel nebst dem Kopfe mit lautem Lachen und seltsamen Geberden zu meinen Füßen.

Nichts erregte aber mehr sein Erstaunen, als daß ich den andern von seinen Feinden in so weiter Entfernung getödtet hatte. Er wies daher auf ihn, und ich erlaubte ihm, dahin zu gehen; er näherte sich demselben, betrachtete ihn aufmerksam, wandte den Körper bald auf diese, bald auf jene Seite, untersuchte vorzüglich die Wunde in der Brust, woran er sich inwendig verblutet hatte; nach langer, verwunderungsvoller Betrachtung kam er mit dem Bogen und den Pfeilen des Erlegten zurück, und ich gab ihm durch Zeichen zu verstehen, daß er mir folgen sollte, weil sonst mehrere seiner Feinde nachkommen möchten. Er war aber vorsichtiger als ich, und antwortete mir durch Zeichen, er wolle vorher die Todten begraben, damit sie die andern nicht finden könnten, und auf meine Einwilligung waren in einer Viertelstunde beide Leichname im Sande verscharrt.

Während dieser Arbeit überlegte ich, daß es vorsichtiger seyn möchte, ihn nicht in meine Burg, sondern in die Grotte zu bringen, wohin ich ihn auch führte. Dies traf zwar nicht mit meinem Traume zu, aber die Behutsamkeit verdiente den Vorzug. Hier reichte ich ihm Brod, getrocknete Weinbeeren und frisches Wasser, welche Gerichte er köstlich fand und mit vielem Appetit verzehrte; dann wies ich ihm einen Bündel Reisstroh[280] an, um darauf von der Ermüdung auszuruhen, die ihm die Lebensgefahr und die angestrengte Flucht verursacht hatten.

Während seinem Schlafe hatte ich Gelegenheit und Muße, ihn zu betrachten. Er war ein wohlgewachsener, schlanker Bursche von mittlerer Größe und ungefähr fünfundzwanzig Jahren; alle seine Glieder zeugten von Stärke und Behendigkeit; sein männlich schönes Gesicht war ohne Wildheit, und aus seinen Zügen sprach, besonders wenn er lächelte, etwas von der Sanftheit, die sonst nur den Europäern eigen ist; seine Gesichtsfarbe war zwar dunkel, aber nicht so schwarzgelb, wie die der Eingebornen von Brasilien, sondern olivenfarbig, die etwas Angenehmes an sich hatte; seine schwarzen Haare waren nicht wollicht-kraus, sondern lang und wallend; das Gesicht war rund, die Stirne hoch, die Augen voll Feuer, der Mund wohlgeformt und voll glänzend weißer Zähne.

Nach diesen Bemerkungen verließ ich die Grotte, um in dem nahe gelegenen Gehäge meine Ziegen zu melken, bei welcher Beschäftigung mich mein Indianer, der kaum eine halbe Stunde geschlafen hatte, antraf. Sobald er mich erblickte, lief er eilends auf mich zu, legte sich demüthig vor mich hin, setzte meinen Fuß auf seinen Kopf, wie er schon gethan hatte, und suchte auf alle mögliche Art seine Dankbarkeit, seine Unterwerfung und Ergebenheit auszudrücken. Ich verstand den größten Theil seiner Zeichen, bezeugte ihm meine Zufriedenheit und mein Wohlwollen, und suchte mit ihm zu sprechen. Zuerst gab ich ihm zu verstehen, er sollte[281] mich Herr nennen, und er sollte Freitag heißen, weil ich meinem Kalender zufolge glaubte, daß der heutige Tag so hieße; dann lehrte ich ihn die Wörter Ja und Nein aussprechen, und ihre Bedeutung verstehen, womit ich den heutigen Sprachunterricht beendigte. Hierauf gab ich ihm Brod und etwas Milch in einem Topfe, ließ ihn sehen, wie ich Brod drein brockte, aß und trank, und winkte ihm, ein Gleiches zu thun; das that er auch, und bezeugte mir, daß es ihm vortrefflich schmecke.

Quelle:
[Defoe, Daniel]: Der vollständige Robinson Crusoe. Constanz 1829, Band 1, S. 268-282.
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