Venus Creatrix

[50] O meine bleiche Braut! du blasse Wolke

im Arm des Sturms! du bebend Haupt,

an meine Brust geneigt aus deinen Schleiern:

erbleichst, erbebst du mir?

O nun erglühst du, heimlich Willige du,

nun öffnest du die herzverklärten Augen,

nun ringt sich von den Lippen dir mein Name,

und inniger küss ich dich – wir sind allein.


Allein. O komm, das Licht der Ampel

wirft Schatten; komm! heut soll kein Schatten sein,

heut sollen alle, alle Lichter leuchten,

in einer See von Licht sollst du mir schwimmen,

du weiße Möwe meine! Flüchte nicht:

sieh, selbst dem keuschen Himmel noch verwehr ich

zu lauschen – horch: der Vorhang rauscht, o komm!

und jeden Spalt verschließ ich faltenschwer,[50]

daß nicht die Nacht, die silbern blauende,

erröte, muß sie deine Schönheit dulden,

daß nicht der Sterne reine Glut

sich neidisch trübe, sehn sie Deine Reinheit.


Tu ab die Myrtenkrone, den Gürtel, komm,

du bist allein! Die jungen Rosen nur,

schlaftrunken über unser Bett gebeugt,

spinnen duftbange Träume

von purpurner Entfaltung scheuer Knospen;

die Rosen nur – und ich.


Und wie in Träumen, wie auf Düften leicht,

von Licht zu Licht mit leuchtenden Händen gleit'ich

und winke – und du kommst.

Da sinken und schwinden

hell von uns weg die irdischen Hüllen alle:

aus seidnen Wogen steigst du her zu mir,

und Brust an Brust gedrängt von blendenden Schauern,

von goldnen Dunkelheiten weit umwölkt,

wiegen uns fernhintastende Schwingen

Schooß an Schooß hinüber

in die Gärten der Ewigkeit.


Flammen der Sehnsucht wachsen da,

glühende Bäche voller Erfüllung treiben

da in Eins die einsam pulsenden Seelen,

Puls in Puls in Glanz ergossen verbluten

heimwehwild die zuckenden Wünsche,[51]

hoch auf strudelt todesselig der Wille,

dürstend umsaust ihn der Odem der Allmacht,

und den weltdurchfurchenden Fittig senkt die Inbrunst,

auszuruhn vom Fluge am Herzen Gottes:

still in matter Hand

beut sie die funkelnden Tropfen

seinem befruchtenden Anhauch dar: ich fühle

– fühlst du? Geliebte – die Quellen des Lebens rinnen!

Mund an Mund Ihm: trinke! Trunken

stamml'ich nach

das Schöpferwort.


. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


O Geheimnis der Empfängnis:

einen Schleier wollt ich lüften,

und Verhängnis hangend um Verhängnis

schwillt aus Auferstehungsgrüften.


Wie erfass ich euch, Gewalten:

Welt, die schicksalvolle Nebel ballt,

bis sich Hirngespinste draus entfalten,

Mummenschanz der Allgewalt!


Helft mir, Sterne! Hüter ihr des Zwanges,[52]

den ich einst als Freiheit pries,

feurige Führer meines Überschwanges,

ja, ihr schürt das Paradies


himmelstürmenden Schöpferwahns mir wieder,

und mein Haupt wie damals reckend

– Blitze stürzten um mich nieder –

fühl ich, wie ich mich am Schrecken


meiner glutgeblendeten Braut berauschte

und mich selbst als Gott besang,

der mit keinem andern tauschte,

weil ihn Deine Glut bezwang,

Quelle:
Richard Dehmel: Die Verwandlungen der Venus. Berlin 1907, S. 50-53.
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