Venus Mamma

[62] Aber nicht wieder! Nein, nie wieder!

Ja, du wolltest mich beglücken:[62]

wie sie an dein Fleisch sich drücken,

diese hilflos kleinen Glieder.

Aber mir diese Lust beschauen,

ist mir ein Grauen.


Zu tief sah ich unsrer zahmen Katze

in die mütterlichen Augen,

sah die täppischen Jungen saugen

unter der steifgezückten Tatze;

und der zarten blinden Brut

schmeckte das alte Raubtier gut.


Decke die Brust zu, wenn die Lippen

deines Sohnes dich berühren!

laß ihn andere Wonnen spüren

als den Blick der Ahnen und der Sippen!

Nein, ich wollte dich nicht betrüben;

nur – nur anders laß uns lieben!


Bebt'ich doch selber, als ich ihn küßte,

und ich will die Wonnen der Ammen

nicht verdammen;

dunkel ist der Zweck der Lüste.

Aber die Mütter – nein, schweigen wir!

wehe, der Mensch ist ein Säugetier.


. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
[63]

Einsamer als je begann ich

meine Seele zu belauern.

Wozu sehnte, wozu sann ich?

Nur um unsern Wollustschauern


heilige Masken vorzustecken?

War dann nicht im Hochzeitskleide

das Getier der Frühlingshecken

gottbegnadeter als wir beide?


Welch ein Jubel der Erhörung,

dies Geschwirr, Gegirr, Geraune!

Mit Bestürzung, mit Empörung

lernt ich Deine Macht anstaunen,

Quelle:
Richard Dehmel: Die Verwandlungen der Venus. Berlin 1907, S. 62-64.
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