Erfüllung

[65] Daß du auch an meinem Herzen,

Herz, nur neue Sehnsucht fühlst

und dich in vergangne Schmerzen

schmerzlicher als je verwühlst:

ist das nicht Erfüllung, Du?


Wenn die Erde schmilzt vom Eise,

daß die Luft nach Frühling schmeckt,

und in immer neuer Weise

wild ihr Grün zum Himmel reckt:

ist das nicht Erfüllung, Du?


Wenn wir dann noch Ostern feiern,

weil ein Mensch sein Leben ließ,

der den Frevlern wie Kasteiern

gleiche Seligkeit verhieß:

ist das nicht Erfüllung, Du?
[66]

Laß die tragische Geberde,

sei wie Gott, du bist es schon:

jedes Weib ist Mutter Erde,

jeder Mann ist Menschensohn,

Alles ist Erfüllung, Du!


Quelle:
Richard Dehmel: Weib und Welt, Berlin 1896, S. 65-67.
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