Lebt wohl

[434] Lebt wohl, es kann nicht anders sein!

Spannt flatternd eure Segel aus,

Laßt mich in meinem Schloß allein,

Im öden geisterhaften Haus.


Lebt wohl und nehmt mein Herz mit euch

Und meinen letzten Sonnenstrahl,

Er scheide, scheide nur sogleich,

Denn scheiden muß er doch einmal.


Laßt mich an meines Sees Bord

Mich schaukelnd mit der Wellen Strich,[434]

Allein mit meinem Zauberwort

Dem Alpengeist und meinem Ich.


Verlassen, aber einsam nicht,

Erschüttert, aber nicht zerdrückt,

Solange noch das heil'ge Licht‹

Auf mich mit Liebesaugen blickt,


Solange mir der frische Wald

Aus jedem Blatt Gesänge rauscht,

Aus jeder Klippe, jedem Spalt

Befreundet mir der Elfe lauscht,


Solange noch der Arm sich frei

Und waltend mir zum Äther streckt,

Und jedes wilden Geiers Schrei

In mir die wilde Muse weckt.


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 434-435.
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