Kurt von Spiegel

[261] O frommer Prälat, was ließest so hoch

Des Marschalks frevlen Mut du steigen!

War's seine Gestalt deren Adel dich trog,

Sein flatternder Witz unter Bechern und Reigen?

O frommer Bischof, wie war dir zu Mut,

Als rauchend am Anger unschuldiges Blut

Verklagte, verklagte dein zögerndes Schweigen!


Am Wewelsberge schallt Wald-Hurra,

Des Rosses Flanke schäumt über den Bügel,

Es keucht der Hirsch, und dem Edelwild nah,

Ein flüchtiger Dogge, keucht Kurt von Spiegel;

Von Turmes Fahne begierig horcht

Der arme Tüncher, und unbesorgt

Hält in der Hand er den bröckelnden Ziegel.


Da horch! Halali! das Treiben ist aus,

Des Hirsches einzige Träne vergossen,

Ein Hörnerstoß durch das waldige Haus

Vereint zum Geweide die zott'gen Genossen,[261]

Und bald aus der nickenden Zweige Geleit

Die Treiber so stumm, die Ritter so breit,

Ziehn langsam daher mit den stöhnenden Rossen.


Der Spiegel spornt sein rauchendes Tier,

»Verfluchte Kanaille, du hast mich bestohlen!«

Da sieht er, hoch an des Turmes Zimier,

Den armen Tüncher auf schwankenden Bohlen.

»Ha«, murrt er, »heute nicht Beute noch Schuß,

Nie kam ich noch wieder mit solchem Verdruß,

Ich möchte mir drüben den Spatzen wohl holen!«


Der Tüncher sieht wie er blinzelt empor,

Und will nach dem ärmlichen Hütlein greifen,

Da sieht er drunten visieren das Rohr,

Da hört er den Knall, und die Kugel noch pfeifen;

Getroffen, getroffen! – er schaukelt, er dreht,

Mit Ziegel und Bohle und Handwerksgerät

Kollert er nieder zum rasigen Streifen.


Als träf' ihn selber das Todesgeschoß

So zuckt der Prälat, seine Augen blitzen,

»Marschalk!« stöhnt er, die Stirne wird naß,

Am schwellenden Halse zittern die Spitzen,

Dann fährt auf die Wange ein glühendes Rot,

Und »Marschalk!« ruft er, »das bringt dir den Tod!

Greift ihn, greift ihn, meine Treiber und Schützen!«


Doch lächelnd der Spiegel vom Hengste schaut,

Er lächelt umher auf die bleichen Vasallen:

»Mein gnädigster Herr, nicht zu laut, nicht zu laut,

Eur Dräuen möchte im Winde verhallen!«

Dann wendet er rasch, im sausenden Lauf

Durchs Tor und die donnernde Brücke hinauf. –

Zu spät, zu spät sind die Gitter gefallen!


Im Dome zu Paderborn ist verhallt

Das Sterbegeläute des alten Prälaten,[262]

Und wieder im Dom hat Kapitels Gewalt

Den neuen Beherrscher gewählt und beraten.

Stumm fährt das Gebirg' und die Felder hinein

Der neue Bischof zur Wewelsburg ein,

Geleitet von summenden Volkskomitaten.


Und als nun über die Brücke er rollt,

Und sieht die massigen Türme sich strecken,

Wie ihm im Busen es zittert und grollt!

An seiner Inful – o brandiger Flecken!

Des Spiegels Blut in dem Ahnenbaum hell!

Leis seufzet er auf, dann murmelt er schnell:

»Herr Truchseß, laßt unsre Tafel nun decken.«


Es kreisen die Becher beim Böllergeknall,

Die stattlichen Ritter, die artigen Damen,

Sich schleudernd des Witzes anmutigen Ball,

Fast von der Stirne die Falten ihm nahmen;

Da horch! im Flure ein Schreiten in Eil;

Es knarren die Türen, es steht eine Säul',

Der Spiegel, der blutige Marschalk, im Rahmen!


Der Bischof schaut wie ein Laken so bleich,-

Im weiten Saal keines Odems Verhallen –

Ans Auge schlägt er die Rechte sogleich,

Und langsam läßt er zur Seite sie fallen.

Dann seufzt er hohl und düster und schwer:

»Kurt! – Kurt von Spiegel, wie kömmst du daher!

Greift ihn, ergreift ihn, ihr meine Vasallen!«


Kein Sünderglöckchen geläutet ward,

Kein Schandgerüst sah man zimmern und tragen,

Doch sieben Schüsse die knatterten hart,

Und eine Messe hörte man sagen.

Der Bischof schaut' auf den blutigen Stein,

Dann murmelt' er sacht ins Breve hinein:

»Es ist doch schwer eine Inful zu tragen!«


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 261-263.
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