Das Hirtenfeuer

[54] Dunkel, dunkel im Moor,

Über der Heide Nacht,

Nur das rieselnde Rohr

Neben der Mühle wacht,

Und an des Rades Speichen

Schwellende Tropfen schleichen.


Unke kauert im Sumpf,

Igel im Grase duckt,

In dem modernden Stumpf

Schlafend die Kröte zuckt,

Und am sandigen Hange

Rollt sich fester die Schlange.


Was glimmt dort hinterm Ginster,

Und bildet lichte Scheiben?

Nun wirft es Funkenflinster,

Die löschend niederstäuben;

Nun wieder alles dunkel –

Ich hör' des Stahles Picken,

Ein Knistern, ein Gefunkel –

Und auf die Flammen zücken.
[54]

Und Hirtenbuben hocken

Im Kreis' umher, sie strecken

Die Hände, Torfes Brocken

Seh ich die Lohe lecken;

Da bricht ein starker Knabe

Aus des Gestrippes Windel,

Und schleifet nach im Trabe

Ein wüst Wacholderbündel.


Er läßt's am Feuer kippen –

Hei, wie die Buben johlen,

Und mit den Fingern schnippen

Die Funken-Girandolen!

Wie ihre Zipfelmützen

Am Ohre lustig flattern,

Und wie die Nadeln spritzen,

Und wie die Äste knattern!


Die Flamme sinkt, sie hocken

Aufs neu' umher im Kreise,

Und wieder fliegen Brocken,

Und wieder schwelt es leise;

Glührote Lichter streichen

An Haarbusch und Gesichte,

Und schier Dämonen gleichen

Die kleinen Heidewichte.


Der da, der Unbeschuhte,

Was streckt er in das Dunkel

Den Arm wie eine Rute,

Im Kreise welch Gemunkel?

Sie spähn wie junge Geier

Von ihrer Ginsterschütte:

Hah, noch ein Hirtenfeuer,

Recht an des Dammes Mitte![55]

Man sieht es eben steigen

Und seine Schimmer breiten,

Den wirren Funkenreigen

Übern Wacholder gleiten;

Die Buben flüstern leise,

Sie räuspern ihre Kehlen,

Und alte Heideweise

Verzittert durch die Schmelen.


»Helo, heloe!

Heloe, loe!

Komm du auf unsre Heide,

Wo ich meine Schäflein weide,

Komm, o komm in unser Bruch,

Da gibt's der Blümelein genug, –

Helo, heloe!«


Die Knaben schweigen, lauschen nach dem Tann,

Und leise durch den Ginster zieht's heran:


Gegenstrophe


»Helo, heloe!

Ich sitze auf dem Walle,

Meine Schäflein schlafen alle,

Komm, o komm in unsern Kamp,

Da wächst das Gras wie Brahm so lang! –

Helo, heloe!

Heloe, loe!«


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 54-56.
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