I.

Erste Bemerkung.

[1] Eine beträchtliche Augen-Entzündung, welche durch einen eisernen Splitter verursachet worden, den des Fabricius Hildans Gemahlin sehr geschickt heraus zoge.


Moliere fragte bisweilen seine Magd um Rath; und er soll, wie man sagt, öfters von ihr erfahren haben, daß die Rathschläge geringerer Personen nicht jederzeit zu verachten seyen. Die Aerzte sollen ihm hierinnen hauptsächlich nachahmen; sie können öfters von den gemeinsten Leuten etwas lernen, deren Erfahrung von allem Vorurtheil mehrers befreyet ist; man muß von einem Rühhirten, sagt[1] Montagne, von einem Grobschmidt, von einem Reisenden, alles zu Rathe halten, und von einem jeden das aufnehmen, was er zu Markte träget; es dienet alles zur Haushaltung, selbst die Thorheiten und Schwachheiten eines andern haben ihren guten Nutzen. Ein grosser und in der Chirurgie sehr geschickter Arzt wurde eines Tages zu einem Bauern beruffen, welcher sich einen eisernen Splitter in das Aug gebracht hatte, der ihn sehr beunruhigte: er war aber so klein, daß die feinsten Instrumente nichts davon fassen konnten; er versuchte alle bekannte Mittel ihn heraus zu ziehen, allein kein einziges Instrument leistete die verlangte Hülfe. Das Aug entzündete sich; man ließ dem Kranken zu Ader, und weil man ein Fieber befürchtete, welches sich auch kurz darauf einstellte, so hielte man ihn zu einer sehr strengen Ordnung im Essen und Trinken an, allein mit allen diesem wurde das Aug von dem eisernen Splitter nicht befreyet. Der Arzt verzweifelte gänzlich, daß es ihm damit gelingen würde. Seine Gemahlin konnte seine Verlegenheit nicht ohne Gelächter ansehen. Sie wollte mit ihm wetten, daß sie so gleich zu dem kranken Bauern hingehen und ihm helsen wollte, und daß sie hievon mehr verstünde als er, für so geschickt man ihn auch hielte, weil sie ein sicheres Mittel wüste, das kleine[2] Stückgen Eisen so gleich heraus zu ziehen, welches ihm zum Trotz so hartnäckig darinnen stecken bliebe. Fabricius Hildanus, welcher hier selbst zugleich der Schauspieler und Geschichtschreiber ist, erstaunte über dieses Versprechen. Er hatte sich so viele Wissenschaft bey seiner Gemahlin nicht vermuthet, endlich ließ er sich es für diesesmal gefallen, ihr Schüler zu werden; er nahm sie also mit sich, und sie besuchten den Bauer miteinander, den sie noch kränker als des Tages vorhero befanden. Die neue Agnodice1 entsetzte sich nicht im geringsten darüber; sie sagte zu ihrem Gemahl, er sollte das Aug öfnen und die Augenlieder sorgfältig von einander halten, sie zog darauf einen wohl zubereiteten Magnet aus ihrer Tasche, und führte solchen mit vieler Vorsichtigkeit so nahe als möglich über die Oberfläche des Auges; sie fuhr damit bald zu einem bald zu dem andern Winkel, ob schon nicht ohne Zittern, und ohne sich wegen des Erfolgs ihrer Operation zu fürchten; allein ihre Furcht war von keiner langen Dauer, dann nach einigen Augenblicken sahe man den Splitter gegen den Magnet zu fliegen. Man wird leicht errathen, daß sie nicht stumm bliebe. Fabricius war nicht unerkenntlich, er gestunde dem Kranken, daß er ohne ihre[3] Hülfe nicht den geringsten Begrif von diesem glücklichen Mittel gehabt hätte, und alle waren vergnügt.


Fabr. Hildanus, Centur. 5. Obs. 21.

Fußnoten

1 S. die CCI. Bemerkung in dem zweyten Theil dieser Anekdoten.


Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 1-4.
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