Heimkehr

[146] 1810


Heimwärts kam ich spät gezogen

Nach dem väterlichen Haus,

Die Gedanken weit geflogen

Über Berg und Tal voraus.

»Nur noch hier aus diesem Walde!«

Sprach ich, streichelt sanft mein Roß,

»Goldnen Haber kriegst du balde,

Ruhn wir aus auf lichtem Schloß.«


»Doch warum auf diesen Wegen

Sieht's so still und einsam aus?

Kommt denn keiner mir entgegen,

Bin ich nicht mehr Sohn vom Haus?[146]

Kein' Hoboe hör ich schallen,

Keine bunte Truppe mehr

Seh ich froh den Burgpfad wallen –

Damals ging es lust'ger her.«


Über die vergoldten Zinnen

Trat der Monden eben vor,

»Holla ho! ist niemand drinnen?

Fest verriegelt ist das Tor.

Wer will in der Nacht mich weisen,

Von des Vaters Hof und Haus!«

Mit dem Schwert hau ich die Eisen,

Und das Tor springt rasselnd auf.


Doch was seh ich! wüst, verfallen

Zimmer, Hof und Bogen sind,

Einsam meine Tritte hallen,

Durch die Fenster pfeift der Wind.

Alle Ahnenbilder lagen

Glanzlos in den Schutt verwühlt,

Und die Zither drauf, zerschlagen,

Auf der ich als Kind gespielt.


Und ich nahm die alte Zither,

Trat ans Fenster voller Gras,

Wo so ofte hinterm Gitter

Sonst die Mutter bei mir saß:

Gern mit Märlein mich erbaute,

Daß ich still saß, Abendrot,

Strom und Wälder fromm beschaute –

»Mutter, bist du auch schon tot?«


So war ich in' Hof gekommen –

Was ich da auf einmal sah,

Hat den Atem mir benommen,

Bleibt mir bis zum Tode nah:

Aufrecht saßen meine Ahnen,

Und kein Laut im Hofe ging,

Eingehüllt in ihre Fahnen,

Da im ewig stillen Ring.[147]


Und den Vater unter ihnen

Sah ich sitzen an der Wand,

Streng und steinern seine Mienen,

Doch in tiefster Brust bekannt;

Und in den gefaltnen Händen

Hielt er ernst ein blankes Schwert,

Tät die Blicke niemals wenden,

Ewig auf den Stahl gekehrt.


Da rief ich aus tiefsten Schmerzen:

»Vater, sprich ein einzig Wort,

Wälz den Fels von deinem Herzen,

Starre nicht so ewig fort!

Was das Schwert mit seinem Scheinen,

Rede, was dein Schauen will;

Denn mir graust durch Mark und Beine,

Wie du so entsetzlich still.« –


Morgenleuchten kam geflogen,

Und der Vater ward so bleich,

Adler hoch darüber zogen

Durch das klare Himmelreich,

Und der Väter stiller Orden

Sank zur Ruh in Ewigkeit,

Steine, wie es lichte worden,

Standen da im Hof zerstreut.


Nur der Degen blieb da droben

Einsam liegen überm Grab;

»Sei denn Hab und Gut zerstoben,

Wenn ich dich, du Schwert, nur hab!«

Und ich faßt es. – Leute wühlten

Übern Berg, hinab, hinauf,

Ob sie für verrückt mich hielten –

Mir ging hell die Sonne auf.


Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 146-148.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1841)
Gedichte
Fünfzig Gedichte
Und es schweifen leise Schauer: Gedichte (Lyrik)
Sämtliche Gedichte und Versepen
Gedichte (Fiction, Poetry & Drama)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon