Jäger und Jägerin

[203] Sie


Wär ich ein muntres Hirschlein schlank,

Wollt ich im grünen Walde gehn,

Spazierengehn bei Hörnerklang,

Nach meinem Liebsten mich umsehn.


Er


Nach meiner Liebsten mich umsehn

Tu ich wohl, zieh ich früh von hier,

Doch sie mag niemals zu mir gehn

Im dunkelgrünen Waldrevier.


Sie


Im dunkelgrünen Waldrevier

Da blitzt der Liebste rosenrot,

Gefällt so sehr dem armen Tier,

Das Hirschlein wünscht, es läge tot.


Er


Und wär das schöne Hirschlein tot,

So möcht ich jagen länger nicht;

Scheint übern Wald der Morgen rot:

Hüt schönes Hirschlein, hüte dich!


Sie


Hüt schönes Hirschlein, hüte dich!

Spricht's Hirschlein selbst in seinem Sinn:[203]

Wie soll ich, soll ich hüten mich,

Wenn ich so sehr verliebet bin?


Er


Weil ich so sehr verliebet bin,

Wollt ich das Hirschlein, schön und wild,

Aufsuchen tief im Walde drin

Und streicheln, bis es stille hielt.


Sie


Ja, streicheln, bis es stille hielt,

Falsch locken so in Stall und Haus!

Zum Wald springt 's Hirschlein frei und wild

Und lacht verliebte Narren aus.


Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 203-204.
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