|
[343] Nächtlich in dem stillen Grunde,
Wenn das Abendrot versank,
Um das Waldschloß in die Runde
Ging ein lieblicher Gesang.
Fremde waren diese Weisen
Und der Sänger unbekannt,
Aber, wie in Zauberkreisen,
Hielt er jede Brust gebannt.
Hinter blühnden Mandelbäumen
Auf dem Schloß das Fräulein lauscht –
Drunten alle Blumen träumen,
Wollüstig der Garten rauscht.
Und die Wellen buhlend klingen,
Ringend in geheimer Lust
Kommt das wunderbare Singen
An die süß verträumte Brust.
»Warum weckst du das Verlangen,
Das ich kaum zur Ruh gebracht?
Siehst du hoch die Lilien prangen?
Böser Sänger, gute Nacht!
Sieh, die Blumen stehn voll Tränen,
Einsam die Viole wacht,
Als wollt sie sich schmachtend dehnen
In die warme Sommernacht.
Wohl von süßem, rotem Munde
Kommt so holden Sanges Macht –
Bleibst du ewig dort im Grunde,
Unerkannt in stiller Nacht?
Ach, im Wind verfliegt mein Grüßen!
Einmal, eh der Tag erwacht,
Möcht ich deinen Mund nur küssen,
Sterbend so in süßer Nacht![343]
Nachtigall, verliebte, klage
Nicht so schmeichelnd durch die Nacht! –
Ach! ich weiß nicht, was ich sage,
Krank bin ich und überwacht.«
Also sprach sie, und die Lieder
Lockten stärker aus dem Tal,
Rings durchs ganze Tal hallt's wider
Von der Liebe Lust und Qual.
Und sie konnt nicht widerstehen,
Enge ward ihr das Gemach,
Aus dem Schlosse mußt sie gehen
Diesem Zauberstrome nach.
Einsam steigt sie von den Stufen
Ach! so schwüle weht der Wind:
Draußen süß die Stimmen rufen
Immerfort das schöne Kind.
Alle Blumen trunken lauschen,
Von den Klängen hold durchirrt,
Lieblicher die Brunnen rauschen,
Und sie eilet süß verwirrt. –
Wohl am Himmel auf und nieder
Trieb der Hirt die goldne Schar,
Die Verliebte kehrt nicht wieder,
Leer nun Schloß und Garten war.
Und der Sänger seit der Stunde
Nicht mehr weitersingen will,
Rings im heimlich kühlen Grunde
War's vor Liebe selig still.
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1841)
|
Buchempfehlung
»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.
162 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro