[297] Frühe Morgens in die Schenke
Trat ein junger Wandrer ein,
Grüßte sittig und verlangte
Einen klaren Becher Wein.
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Doch es sprach vom Haus die Tochter,
Werther Gast, kein Wein ist oben,
Gestern Abend bei dem Feste
Ist er ganz durchaus zerstoben.
Müßt euch eben was gedulden,
Bis ich aus dem Keller komm,
Um die Ecke, aus dem Keller
Unterm St. Georgendom.
Nun so gehe nicht zum Keller,
Drunten ist es kühl und feucht,
In dem nächtlichen Gedämmer
Da verderben Blumen leicht.
Silberfrische Labung bringe
Draußen von dem guten Bronnen,
Mild und freundlich lacht der Morgen
In der warmen Frühlingssonnen.
Und der Silberquell wird munden
Besser mir, denn goldner Wein,
Soll er mir von deinen lieben
Händen hold kredenzet sein!
Auf dem Tische steht der Becher,
Vor dem Jüngling steht die Maid,
Und er spricht im Schaun versunken,
Recht in Seelenseligkeit:
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Goldes Werth hat nicht das Wasser,
Weißt du, was ich zahlen muß?
Diesen Becher, liebstes Mädchen,
Zahl ich nur mit einem Kuß!