Romanze

[289] Darf ich einmal dein genießen

Ohne Trennungsschmerz?

Werd ich dich, Geliebte, schließen

Endlich an dies Herz?

Kaum daß ein gestohlner Kuß

Noch uns Glücklichen vergönnet,

Da nach ewigem Genuß

Unsre Seele brennet.
[289]

Aber du, Geprüfte, Theure,

Bleibest treu gesellt,

Wenn ich durch die Klippen steure

Und der Kahn zerschellt –

Stehst du rettend auf dem Stein,

Händereichend, denn ich zähle

Auf dein kühnes Herz allein,

Deine große Seele.


Stille, Mädchen, deine Zähren,

Große Lieb ist kühn!

Hero und Leander wären

Bloße Phantasien?

Hero und Leander war!

Und gewiß, auch heutgen Tages

Gibt es Liebe und Gefahr,

Herzen ihres Schlages.


Wer ist gegen uns verschworen?

Kleinmuth fahre hin!

Wer nicht wagte war verloren

Stets von Anbeginn.

An der Liebe nur, getrost,

Halte fest mit deinem Herzen,

Und sein Frühlicht haucht der Ost

In die Nacht der Schmerzen!

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 289-290.
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