Beim Wein

[108] Wenn laute Becher klingen

Und golden grüßt der Wein,

So wollen wir auch singen

Und guter Dinge sein,[108]

So wollen wir, so sollen

Wir bis der Tag erwacht,

Durchjubeln und durchtollen

Die ganze schöne Nacht.


Wenn sich aus allen Winden,

Nach langer leerer Zeit,

Die Freunde wieder finden

Mit alter Herzlichkeit,

So sei, was unterdessen

Bekümmerniß gemacht,

Vertrunken und vergessen

Die ganze schöne Nacht!


Es soll kein Achselzucken

Uns Grund zum Aerger sein,

Und müßten wir ihn schlucken,

Wir schluckten ihn mit Wein;

Die Heuchler und die Neider,

Sie seien ausgelacht,

Zum Aergernisse Beider,

Die ganze schöne Nacht!


Und wessen wir gedenken,

Worauf wir Häuser baun,

Worauf wir hocheinschenken –

Noch immer sinds die Fraun!

Laßt nicht den Geist verschäumen,

Der Liebsten seis gebracht!

Sie möge süß verträumen

Die ganze schöne Nacht.
[109]

Wenn laute Becher klingen

Und golden grüßt der Wein,

So soll ein fröhlich Singen

Und tüchtig Trinken sein!

Mit Schwächen und Gebrechen

Sind wir nur schlecht bedacht,

Die alten Deutschen zechen

Die ganze schöne Nacht!

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 108-110.
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