[177] Frau Doctorinn Herbst hatte den Besuch, den sie der Witwe zugedacht hatte, jetzt wirklich abgelegt; und kam mit Gesinnungen von ihr zurück, die sich aus denen womit sie hinging, errathen lassen. – Die Frau war gerade nicht schön, aber reizend: es gab wohl andere Frauen, die, wenn auch nicht jetzt, wenigstens ehemal, bei der Vergleichung mit ihr gewonnen hätten, und die trotz aller Verwüstungen, welche ein zu häufiger Ehesegen anzurichten pflegt, sich noch immer zum Verwundern erhielten. Allein das Sanfte und Einnehmende in der Miene und dem Betragen der Lyk, ihre vortreffliche Kinderzucht, ihre Achtung gegen das Andenken eines Mannes, der durch[178] seine sinnlose Verschwendung sie unglücklich gemacht, der sie aber gleichwohl geliebt hatte, ihre innige Dankbarkeit gegen den bewussten Freund, von dem sie nicht ohne Thränen im Auge reden konnte: alles das war von höherm Werthe als Schönheit; und die Doctorinn fühlte sich in solche Begeisterung dadurch gesetzt, dass sie ihrem Manne wiederholt erklärte: sie würde ihr Haupt nicht eher sanft legen, als bis sie die Verbindung zwischen ihrem Bruder und der Witwe zu Stande gebracht hätte. – Es ist kein Weib auf Erden, sagte sie, womit der Bruder glücklicher leben könnte; sie besitzt in ihrem natürlichguten Verstande, in ihren durch Erfahrung bestätigten Grundsätzen, in ihrem zur Ruhe und zur Häuslichkeit so ganz sich hinneigenden Charakter, gerade das was[179] dem Bruder noth thut, und was der Vater selbst an der Gattinn seines Sohnes nicht besser wünschen könnte.
Der Doctor nickte hie und da mit dem Kopfe, und murmelte Ja; ging aber nachdenkend und verdriesslich umher. – Was ist dir? fragte die Doctorinn endlich.
Ich komme von dem Gläubiger unserer Witwe, dem Horn. Du weisst, er hat für gegenwärtigen Augenblick ihr Wohl und ihr Wehe in Händen.
Nun? – O der nichtswürdige Mensch!
Kennst du ihn denn?
Aus seinem Gesichte nicht, aber aus deinem. – Was gilt's, er will ihr nicht länger nachsehen, will sie zu Grunde richten?
Das nun nicht; dazu ist er zu gottesfürchtig. Er will nur sein Geld.[180]
Und aus ihr mag werden, was will! Nicht wahr?
Kümmert das einen Kaufmann?
Die Doctorinn bat in hohem Tone um Ausnahme für ihren Vater, die der Doctor mit Freuden machte; und nun fuhr sie ganz unbarmherzig über den Gläubiger her. Ohne dass sie diesen Horn je gesehen hatte, ward er vor ihrer Phantasie eins der hässlichsten, zurückschreckendsten Gesichter der ganzen Stadt. – Ich mögte, sagte sie, wundershalber den Elenden doch kennen lernen, der ein so braves, liebenswürdiges Weib, eine Mutter von zwei unmündigen Waisen, so schändlich verfolgen kann. – Aber nein! nein! Mich schaudert, wenn ich mir das Ungeheuer nur denke.
Kind! Es ist ein ganz gemeines, plattes Menschengesicht, aus dem in der[181] Welt nichts hervorleuchtet, weder Gutes noch Böses. Ein Gesicht, wie es unter den leeren Geldseelen so viele haben, und wie man sie an Börsentagen zu Dutzenden kann herumlaufen sehen.
Aber, fuhr sie fort, dachte denn der Mensch mit keiner Silbe an die Verbindlichkeiten, die er gegen dich hat? an die Krankheiten seines Weibes und seiner Kinder, wo du Tag und Nacht, mit Gefahr deiner eignen Gesundheit – –
Ach schweig doch! Das ist ja Alles bezahlt.
Bezahlt? – Lässt sich so was bezahlen?
Und vielleicht, wenn er in seinem Buche mein Folium ausschlägt, bin ich bei ihm noch tief, tief in der Schuld. Denn: hat er mich nicht zu Tische gebeten? Hab' ich nicht, in Gesellschaft[182] von Rathsherrn und Matadoren, Fasanen bei ihm gegessen? Tokaier bei ihm getrunken?
Der Elende! – Ehre mir Gott meinen Vater!
Stille! Wer wird in solcher Gesellschaft ihn nen nen? – Aber, mein Kind – damit wir das Wichstigste nicht vergessen – –
Ja wohl! Wie wir die arme Witwe aus seinen Klauen reissen –
Die nicht mehr; aber mich. – Meine Gutherzigkeit hat mir einen sehr üblen Streich gespielt, und ich kann darüber leicht in's Gefängniss wandern.
Um's Himmels willen! du hast dich an dem Menschen doch nicht vergriffen?
Pfuy! Dazu acht' ich meine Hände zu hoch. – Ich habe nur aus Verdruss, weil nichts mit ihm auszurichten war,[183] Feder und Dinte gefordert, habe mir den Betrag der Schuld auf Mark und Schilling angeben lassen, und habe ein Wechselchen ausgestellt – auf mich selbst: von etwas über dreitausend Mark; in acht Tagen zahlbar.
Bravo! sagte die Doctorinn, und flog ihrem Mann an den Hals. – Aber ist es möglich, dass der fühllose Mensch den Wechsel annahm? von dir!
Warum nicht? Ich habe das schöne Haus hier, und habe Dich. Ein drei-, viertausend Mark, und wenn auch noch etwas mehr, bin ich ihm werth; unbesehens!
Hast du denn aber Geld zu bezahlen?
Da steckt der Knoten. – Keine dreihundert Mark.
Mann! Mann! So lieferst du ja dem Unholde dich selbst in die Hände.[184]
Freilich! – Denn was ich seit einiger Zeit gesammelt hatte, ist vorige Woche, wie du weisst, zu Capital gemacht und ausgethan worden. Neue Einnahme, wenigstens beträchtliche, seh' ich fürs erste nicht ab; und geschrieben ist nun einmal der Wechsel, und will bezahlt seyn. – Indessen – weisst du, worauf ich mein volles Vertrauen setze?
Nun? Auf einen Rest von Scham bei dem Horn?
Nicht doch! – Auf die kluge Tochter des klugen Herrn Stark, die ich glücklicher Weise zur Frau habe. – Die, mit ihrem Kopfe, hilft mir sicherlich durch. –
Eigentlich hatte der Doctor einen Anschlag auf den vollen runden Beutel gemacht, den der Vater, beim Besuche des Sohns, unter den Spiegel gestellt hatte, und der seines Wissens noch unangerührt[185] dastand. Allein die Doctorinn, die nach abgestattetem Danke für das so gütige als gerechte Vertrauen, welches man in ihren Verstand setzte, ein wenig nachgesonnen hatte, schlug auf einmal in die Hände, und rief: Ich hab's!
Das Geld? fragte der Doctor.
Nein, aber die Art und Weise, wie wir's bekommen. Die Witwe selbst schafft es an.
Die Witwe? –
Und das von unserm Alten. Von meinem Vater.
Von deinem Vater? –
Nun ja! ja! Was giebts denn da zu verwundern? – Einmal ist's doch nothwendig, wenn wir unser Ziel erreichen wollen, dass der Alte die Witwe kenne; und eine bessere Gelegenheit dazu, als diese, wird sich nicht finden. – Kurz,[186] sie macht einen Besuch bei dem Vater, bittet den Vater, gefällt dem Vater, bezahlt ihre Schulden, heiratet den Bruder.
Himmel! rief der Doctor, und ich habe noch kein Kleid auf die Hochzeit. – Die kömmt mir rasch über den Hals. Ich will nur gleich in den Laden.
Haha! – Aber spotte nur? spotte! Die Sache ist so gut wie geschehen. Es ist unmöglich, wenn der Vater die Witwe sieht, dass sie ihm nicht gefalle, und auf dieses Gefallen bauen wir dann weiter fort, bringen ihn von allen seinen Vorurtheilen zurück, lassen ihn die Heirat nicht bloss genehmigen, sondern selbst wünschen.
Wenn er nun aber die Witwe nicht vorlässt; wie da?
Leere Grille! –
Oder wenn er wohl gar – was wir[187] doch wirklich zu fürchten haben – sie ungütig aufnimmt?
Wenn Er –? Sie stand hier einen Augenblick stille, und sah auf den Boden. – Mann! rief sie dann aus: Du bist mitunter doch allerliebst. Ich mögte dich küssen für deinen Einfall.
Für welchen?
Dass er sie ungütig aufnehmen könnte. – O, wenn der Himmel das wollte!
Versteh' Euch Weiber ein Andrer!
Komm! Ich eröffne dir das Verständniss. – Nicht wahr? Wenn der Vater sie ungütig aufnimmt: so begeht er, ganz gegen seine sonstige Art, einen Fehler, den er durchaus, es koste auch was es wolle, wieder wird gut machen wollen; so setzt er sich selbst aus der guten Laune heraus, in der es immer so schwer wird ihn zu fassen und mit ihm fertig zu[188] werden; so sind wir auf einmal, und gleichsam durch einen Sprung, an dem Ziele, zu dem wir uns sonst – wer weiss wie langsam und durch wie viel Schwierigkeiten? – hindurchwinden müssten.
Alles gut! sagte der Doctor. Wenn nur nicht zu besorgen wäre – –
Freilich! – Dass er den Fehler nicht macht.
Ganz im Gegentheil! – Dass er ihn nicht für Fehler erkennt.
Ach, wenn er ihn nur erst macht! Die Erkenntniss wollen dann wir ihm schon verschaffen. –
Aber, mein Kind – indem er bedenklich den Kopf schüttelte, und eine sehr ernsthafte Miene annahm – dem eignen Vater eine Falle zu legen – ich weiss nicht – –
Eine Falle! – Was nun das wieder[189] ist! Eine Falle! – Ich sinne in der Welt auf nichts Arges, nur auf Liebes und Gutes; und da kömmt der Mann und erhebt ein Geschrei, als ob ich über Tücke und Hinterlist brütete. – Wer hat mir denn das Basiliskenei in mein Nest geschoben, als eben Er? Wer hat den unglücklichen Einfall gehabt, als ob der Vater sich übel benehmen könnte? Er wird sich sehr gut benehmen, sehr gut. Das soll der Herr Doctor nur wissen! – Mit diesen Worten ergriff sie ihre Enveloppe, und war schon längst auf der Strasse, als der Doctor noch immer den Faden suchte, woran er seinen casuistischen Knäuel entwirren könnte.
Ausgewählte Ausgaben von
Herr Lorenz Stark
|
Buchempfehlung
Die Fortsetzung der Spottschrift »L'Honnête Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plissline« widmet sich in neuen Episoden dem kleinbürgerlichen Leben der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«.
46 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro