XXX.

[319] Komm' ich nicht ein wenig zu oft? sagte die Doctorinn, indem sie einen Augenblick an der Zimmerthüre der Witwe stillstand. Werden Sie Sich nicht bald meine Besuche verbitten?

O meine Freundiun! mir Ihre Besuche verbitten! Ich, die ich mich lieber niemal von Ihnen trennte! – Sie thun mir da eine Frage – –

Die übler klingt, als gemeint ist. Weiss ich's nicht schon, dass Sie mich recht gerne ertragen?

Ertragen! – Nun kommen Sie mir vor Mitternacht nicht von dannen.

Ich Arme! Da wär' ich ja schrecklich gestraft. – –

Man nahm jetzt Platz, und die Doctorinn[320] wollte so eben auf ihr Hauptthema einlenken; als ein Lehrling aus der Lykischen Handlung hereintrat, und den alten Mann von gestern ansagte, der Madam Lyk aus dem Wagen gehoben habe.

Der Doctorinn schoss auf der Stelle das Blatt. Schlicht? rief sie aus. Der kömmt nicht anders, als wenn er geschickt wird. Was kann der wollen?

Er will, sagte der Lehrling, und schielte seitwärts die Doctorinn an, Madam Lyk unter vier Augen sprechen.

Nicht unter sechsen? Ei mein Gott! da muss ich ja fort. Das ist übel. – Doch wenn Sie erlauben, Freundinn; so schleich' ich mich hier in dies Seitenzimmer, und wahrlich! wahrlich! ich will dort recht fromm seyn. Ich will an's Fenster und nicht an die Thüre treten.

Wie Sie mich quälen! sagte die Witwe.[321] Bleiben Sie doch! Was für Geheimnisse kann er denn haben?

Wer weiss? Er mag wohl einmal auch nicht geschickt seyn. Er ist noch Junggeselle.

Leichtfertige Freundinn! – Sie trat jetzt mit vieler Höflichkeit in die Thüre, und nöthigte den Alten herein, der sogleich durch die Heiterkeit seines Gesichts die gute Beschaffenheit seiner Botschaft ankündigte, und die Doctorinn in ihrer Ahnung bestärkte.

Sieh da, sagte diese: lieber, guter alter Vater! Bist du's denn wirklich? – Ach mein Himmel! Und geputzt wie ein Bräutigam, oder wie ein Brautwerber. Was stellt das vor?

Der alte Schlicht lachte herzlich. –

Wirklich, so galant hab' ich dich in meinem Leben nicht gesehen.[322]

Man hat gut galant seyn, liebe Frau Doctorinn, wenn man Gönner hat, die auf einen was halten. – Er sah hier, wie verstohlen, auf seine neue atlassne Weste, und von der Weste wieder auf seine Wohlthäterinn; mit einem Ausdruck von Dank und Liebe, der ein noch älteres Gesicht, als das seinige, hätte verjüngen können. – Die Weste war ein Angebinde der Doctorinn an seinem letzten Geburtstage gewesen, und er trug sie, um seiner Sendung Ehre zu machen, heute zum ersten male.

Die Doctorinn, von seiner Pantomime gerührt, schlug ihm sanft auf die Schulter. – Aber ist es denn wahr, lieber Alter, dass du mit Madam Lyk ganz allein seyn willst? dass ich hier fort muss?

Wie so? Wie so?

Der Handlungsbursche, der dich hier anmeldete, sagte – –[323] Ach, der Handlungsbursche ist – – Bei einem Haare hätt' er ein Kraftwort herausgestossen; aber zum Glück besann er sich noch, übersetzte den Narren, den er im Sinne hatte, in: nicht recht klug, und versicherte, dass die Frau Doctorinn sein ganzes Anbringen hören dürfe; sie komme selbst darin vor. –

Mit grosser Ernsthaftigkeit hielt er dann seinen Vortrag. – Sein Principal, sagte er, der Herr Stark, bedaure ganz ungemein, dass er gestern, wegen zunehmender Gehörschwäche, die eigentliche Absicht des von Madame ihm gegönnten angenehmen Besuchs nicht verstanden, sondern diesen Besuch für eine blosse überflüssige Höflichkeit genommen habe. Er sei nachher durch seine Frau Tochter, die hier anwesende Frau Doctorinn Herbst – die bei dieser Gelegenheit einen sehr[324] herzlichen Blick erhielt – über jene Absicht näher belehrt worden; und da er nun ihn, den Monsieur Schlicht, theils als einen Handlungskundigen, theils als einen treuen und verschwiegnen Diener, aus vieljähriger Erfahrung kenne: so habe der Herr Principal eben ihm den Auftrag gegeben, der Madame die Versicherung seiner vollkommenen Bereitwilligkeit au ihren Diensten zu überbringen, auch demnächst sich in das Comtoir des Herrn Horn zu verfügen, um sofort die etwanige Schuld bei diesem ungestümen, dem Herrn Stark von der schlechten Seite schon wohlbekannten Manne durch Wechsel oder baar, wie er selbst es wollen würde, zu tilgen. Übrigens bitte sein Herr Principal, wenn ähnliche Fälle mit noch andern Gläubigern eintreten sollten, dass Madame sich nur gleich an Ihn wenden,[325] und ihn überhaupt wie ihren Curator betrachten wolle, als wozu er sich mit Vergnügen erbiete. Zugleich wünsche er, mit allem Dank verschont zu bleiben, weil er durch den Herrn Sohn sehr wohl unterrichtet sei, dass er in keinem Falle bei der Unterstützung von Madame etwas wage, und sich also bei dieser kleinen Gefälligkeit eigentlich gar kein Verdienst um sie beimessen könne. – Er, Monsieur Schlicht, ersuche jetzt um beliebige genaue Angabe der ganzen Hornischen Forderung, damit er dem noch übrigen Theile seines Auftrages genügen, und dem Herrn Principal die ganze Sache als völlig abgemacht berichten könne. – –

Kaum hatte Monsieur Schlicht mit vielem Wohlbehagen seinen Vortrag geendigt: so ergriff die Doctorinn die Hand der Witwe, und fragte, nicht ohne töchterlichen[326] Stolz im Herzen: Hatt' ich nun Unrecht?

O meine Freundinn! – Eine solche Grossmuth an einer Fremden, an einer fast gänzlich Unbekannten! – Aber ich weiss ja, wem ich diese Hülfe zu danken habe.

Wem? Wem? – indem sie sich vor ihrer Umarmung zurückbeugte. – Meinem Vater; sonst keinem!

Er hat die edelste Tochter. –

Kennen Sie die? – Eine Schwätzerinn ist's, die nichts auf dem Herzen behalten kann; die dem Alten Alles vorplaudern muss was sie weiss, und die ihm denn auch gesagt hat, was sie von der unangenehmen Lage ihrer Freundinn und von der Absicht des gestrigen verunglückten Besuches wusste. – Das ist Alles gewesen; ich versichere Sie. Kein Wort von[327] Fürsprache, von Aufmunterung Ihnen zu helfen; kein Gedanke daran! Das hätte die Freundinn herabgesetzt, und den Vater beleidigt. Der handelt nicht, wie es ihm Andre eingeben; der handelt nach seinem eigenen Herzen.

Ich höre Sie mit einer Bewunderung – einer Empfindung – –

Lassen wir das! – Und nun umarmte sie die Witwe mit wahrer, herzlicher Freundschaft. – Mein guter Schlicht, der nie viel Zeit hat, wartet auf Antwort; und ich denke doch, Sie werden ihn durch keine abschlägige kränken?

Die Witwe bat jetzt Monsieur Schlicht, seinem Herrn Principal ihre innige Verehrung, ihre tiefe Rührung über den unverdienten Beweis seiner Gewogenheit zu versichern; aber zugleich ihm zu sagen, dass der Gehorsam gegen den einen Theil[328] seines Befehls ihr den Gehorsam gegen den andern unmöglich mache. – Ich werde Sie Selbst, lieber Herr Schlicht, mit einigen Zeilen von meiner Hand beschweren, die Sie ihm zu überreichen die Güte haben werden. Den persönlichen Dank behalt' ich mir vor. – Sie erlauben doch, beste Freundinn? – mit einer Wendung gegen das Seitenzimmer.

Gehen Sie, gehen Sie nur! Sie thun etwas sehr Überflüssiges; aber ich weiss, Sie würden es doch nicht lassen. –

Die Doctorinn nutzte die Augenblicke, da sie mit Schlicht allein war, um ihn von Allerlei zu unterrichten, was ihm zu wissen Noth that: von dem Wechsel, den ihr Mann an Horn ausgestellt hatte, um die Witwe ausser Gefahr zu setzen; von ihrem Wunsche, dass der Vater davon nichts merke, und also nicht ihr Mann[329] quitirt werde, sondern die Witwe; von ihrer Absicht, den Bruder noch einige Tage vorgeblich auf's Land zu schicken, bis ein gewisser Entwurf gereift sei, der ihn von seiner Grille, nach Br ... zu gehen, unfehlbar zurückbringen werde; endlich von der aufhörenden Nothwendigkeit, das Wohlbefinden des Bruders und seine Abfahrt auf's Land, die aber erst diesen Nachmittag müsste geschehen seyn, vor dem Vater geheim zu halten. – Monsieur Schlicht, mit seiner gewöhnlichen Gefälligkeit, versprach, sich das Alles zu merken, und fand die Anschläge seiner lieben Frau Doctorinn ganz vortrefflich.

Madam Lyk trat mit einem Briefchen und einem Zettelchen in der Hand, auf welchem die Hornische Schuldforderung verzeichnet war, wieder herein, und gleich nach ihr erschien ein Mädchen mit einer[330] Flasche süssen Weins und mit Gläsern. Die Doctorinn verbat, indem sie ihren Widerwillen gegen starke Getränke; Monsieur Schlicht, indem er seine Geschäfte zu Hause vorschützte, wo er noch so Manches zu thun habe, dass die Stelle ihm unter den Füssen brenne. Die Witwe, die sich ihm für seine Mühe so gern erkenntlich bewiesen hätte, bot alle ihre Beredtsamkeit gegen ihn auf, und schon gerieth er mit der seinigen sehr in's Stocken; aber die Doctorinn, um mit der Witwe allein zu seyn, schlug sich auf seine Seite, und half ihm durch. – Ich kenne, sagte sie, meinen lieben, guten Schlicht: er thut Alles was ihm obliegt, mit grosser Treue, mit grossem Eifer; und da ihm das Haus meines Vaters zur Aufsicht übergeben ist, so hängt er daran nicht anders, als ob er, wie die Schnecke,[331] damit verwachsen wäre. Er trägt es zwar nicht auf dem Rücken, aber er trägt es dafür auf dem Herzen. Ihm ist nicht anders wohl, als wenn er darin steckt.

Das war einmal ein Lob, ganz nach, dem Sinne von Monsieur Schlicht, und er dankte dafür, indem er es ehrlich annahm, mit vieler Freude. Auch Madam Lyk sagte ihm noch beim Abschiede viel Schönes; sie erinnerte sich alles des Guten, was sie aus dem Munde des Herrn Stark von ihm gehört hatte, und freute sich die Bekanntschaft eines Mannes gemacht zu haben, der einer so hochachtungswürdigen Familie, als die Starkische, so vorzüglich werth sei. – Kein Madera, noch Cyper, noch Syrakuser, noch was sonst die Flasche der Witwe enthalten mogte, hätte das Herz des alten Schlicht mehr erquicken, oder ihm den Kopf mehr[332] benebeln können, als diese lieblichen Worte; denn wirklich schien er, als er auf die Strasse hinaustrat, ein wenig berauscht. Er sprach in einem fort mit sich selbst, und gesticulirte dabei so lebhaft, dass Mehrere der Vorübergehenden stillstanden, und mit Lachen ihm nachsahn. Der Inhalt seines Selbstgespräches war: dass von allen Frauen der Stadt die Frau Doctorinn ohne Widerrede die beste, aber gleich nach ihr Madame Lyk die liebenswürdigste und vortrefflichste sei. – Indem, er sich dachte, dass irgend jemand so frech seyn könne ihm das zu läugnen, stiess er mit dem Stock so heftig gegen das Pflaster, und schnitt so wilde Gesichter, dass ein paar spielende Kinder vor Schrecken zusammenfuhren, und mit Geschrei in die Häuser liefen.

Quelle:
Johann Jakob Engel: Schriften. Band 12, Berlin 1806, S. 319-333.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Herr Lorenz Stark
Herr Lorenz Stark: Ein Charaktergemälde
Schriften: Band 12. Herr Lorenz Stark
Herr Lorenz Stark (2)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Noch in der Berufungsphase zum Schulrat veröffentlicht Stifter 1853 seine Sammlung von sechs Erzählungen »Bunte Steine«. In der berühmten Vorrede bekennt er, Dichtung sei für ihn nach der Religion das Höchste auf Erden. Das sanfte Gesetz des natürlichen Lebens schwebt über der idyllischen Welt seiner Erzählungen, in denen überraschende Gefahren und ausweglose Situationen lauern, denen nur durch das sittlich Notwendige zu entkommen ist.

230 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon