[126] Man kennt doch in ganz Rom den Marchese, man weiß auch, daß er die Kunst liebt und mit allen Schauspielern befreundet ist. Böswillige Menschen gibt es überall, man braucht ja nicht zu glauben, was sie von den Leuten erzählen, welche sie beneiden; und natürlich beneiden sie den Marchese, weil er reich ist, nach seinem Behagen lebt, eine gute Frau und eine schöne Tochter hat. Von dem Marchese erzählen sie, er sei eigentlich ein Schneidermeister und habe sein Vermögen entweder durch Gelegenheitsgedichte zu den Hochzeiten vornehmer Leute erworben, was natürlich ganz unglaublich ist, oder durch eine tollkühne Spekulation in Apfelsinen.
Der Marchese ist also reich, wenigstens vermögend, und möchte natürlich gern einen Orden haben. Nun begeht er die Torheit, sich nicht an den Staatssekretär Seiner Heiligkeit zu wenden, sondern an den Kommandanten der Garde. Er geht zu ihm und spricht: »Herr Kommandant, ich gebe Ihnen eine schöne Gelegenheit, Ihren Einfluß zu zeigen. Wenn Sie mir den Orden des Goldenen Vlieses verschaffen, so wird jeden sagen: ›Was ist der Kommandant für ein Mann!‹« Der Kommandant dreht seinen Schnurrbart, nennt ihn einen verdammten Schneider und sagt, er wolle ihn so zerschlagen, daß er seine Knochen im Schnupftuch nach Hause tragen könne, er solle sie sofort zählen und numerieren; er wolle ihn auf den Kopf hauen, daß er Plattbeine kriege, und er wolle ihn ohrfeigen, daß er dreimal vierundzwanzig Stunden lang Zähne spucke. Der Marchese zittert bei diesen wilden Drohungen. Der diensttuende Leutnant lacht, aber der Marchese sagt ernst zu ihm: »Herr Leutnant, mein Körper zittert, weil er die Gefahren ahnt, welche mein Mut ihm bereiten wird.« Natürlich kommt es zum Duell. Der Kommandant ist ein breiter,[127] dicker Herr, er behauptet: »Die Partie ist ungleich; wenn ich steche, dann fahre ich an dem dürren Schneider immer vorbei.« »Herr Kommandant,« sagt der Marchese, »ich bin es, der im Nachteil kämpft; wo ich auch verwundet werde, ich werde tödlich verwundet, denn ich bin ganz Herz.« Mit diesen Worten zieht er seinen Degen. Der Kommandant blickt ihn lange an, schüttelt dann den Kopf und spricht zu seinem Sekundanten: »Bedeute den Schneider, er soll mich um Verzeihung bitten, dann will ich sein Leben schonen.« Der Marchese weist selbstverständlich diesen beschimpfenden Vorschlag ab und verlangt, daß der Kommandant blank zieht. »Der Mann ist tapfer, es tut mir leid um ihn; wenn ich den Degen erst gezogen habe, dann hält mich nichts mehr zurück; ich kenne mich«, erwidert nachdenklich der Kommandant. »Mein Degen verläßt nie ohne Ursache seine Scheide, aber er kehrt auch nie zurück, ohne der Ursache eine Folge gegeben zu haben«, sagt der Marchese, und seine Augen rollen. »Der Griff meines Schwertes ist ein Magnet, der meine Hand an sich zieht, aber mein Edelmut ist die elektrische Kraft, welche die Natur meiner Hand in ihr Gegenteil verkehrt und sie zwingt, abzustoßen«, erklärt der Kommandant. »Den Helden ehrt dieses Eisen durch sein Blut, den Feigling beschimpft es durch Schläge«, ruft der Marchese und dringt drohend auf den Kommandanten ein. Der Kommandant verbirgt sich hinter seinem Leutnant, reicht dem Marchese die Hand, und spricht: »Ein so tapferer Mann soll erhalten werden. Genugtuung muß sein. Wenn Ihr denn mich nicht um Verzeihung bitten wollt, nun, ich bin großmütig, so bitte ich um Vergebung.« Dem Marchese bleibt nichts übrig, als seinen Degen in die Scheide zu stoßen; er verneigt sich vor dem Kommandanten, dieser erwidert die Verneigung, dann trennt man sich.
Auf der Straße trifft der Marchese auf Cinthio, Cinthio, den eben Violette verlassen hat.[128]
Der Marchese ist der Besitzer des Hauses, in welchem Cinthio wohnt, er ist also mit Cinthio besonders nahe befreundet. Die Beiden sind in einer Gemütsverfassung, die sie geneigt macht, in die Schenke zu gehen, denn Cinthio ist traurig über den Wankelmut des weiblichen und der Marchese ist wütend über die Feigheit des männlichen Geschlechtes. Sie fassen sich unter, der Marchese erklärt, daß er bezahlen wird, denn es ist am Zweiten des Monats, und die Mieter, soweit sie zahlungsfähig sind, haben gezahlt. Er ist kein Bourgeois, der Marchese, das hat man wohl schon gemerkt, er ist eine Künstlernatur; und so glaubt er denn am Zweiten immer Reichtümer in der Tasche zu haben, die nie zu Ende gehen.
Cinthio versteht nicht den Kummer des Marchese, aber der Marchese versteht den Kummer Cinthios. Er gießt ihm ein und sagt: »Trinke, es ist Cacciadiavolo, der Heilige Vater trinkt ihn immer vorher, wenn er die Ketzer verfluchen will. Das ist ein guter Wein, er erleichtert das Gemüt. Siehst du, wenn der Kommandant Mut gehabt hätte, dann hätte ich ja die Angst gehabt; aber so war es umgekehrt. Das ist meistens der reine Zufall, wer den Mut hat und wer die Angst. Ich will dir sagen, das ganze Leben ist überhaupt ein Zufall. Wie du mich hier siehst, bin ich doch ein gemachter Mann, nicht wahr? Jeden Abend gehe ich ins Theater, ich trinke nur Wein aus der Flasche, nie offenen Wein, ich schlafe, so lange ich will. Na, was soll ich dir sagen? Alles Zufall! Ebensogut könnte ich noch auf dem Schneidertisch sitzen!« Und nun trinkt er weiter und erzählt, wie er als junger Mann sich in die Meisterstochter verliebt hatte; der Meister hatte Geld und wollte natürlich nicht seine Tochter einem Gesellen geben. Was geschieht? das Mädchen klagt: »Wenn es so weit ist, dann gehe ich ins Wasser.« Na, das wollte der Marchese doch nicht, er geht mit ihr heimlich zu einem Priester und sagt: »Trauen.« Sie stehen beide vor dem Altar, der Priester verliest[129] die Formeln, plötzlich kommen dem Marchese Bedenken, nämlich da war noch so ein Schweizergardist, dem er nicht grün war; wenn man nun nachher gar nicht der Vater von Pepina ist! Die Liebe – gut! Aber die Ehre geht vor. Also, wie er »ja« sagen soll, sagt er »nein«. Der Priester ist wütend, klappt das Buch zu, das Mädchen heult, macht ihm Vorwürfe, sagt, daß er sie blamiert hat; schließlich einigen sie sich, der Priester soll noch einmal lesen, und der Marchese soll diesmal »ja« sagen, dann will sie »nein« sagen, damit es aussieht, als ob sie es ist, die nicht will. Also gut, es wird alles gemacht; aber was tut sie? Sie sagt auch »ja«; und wie der Marchese wild wird und sagt, so hat er es nicht gemeint, da schimpft der Priester, verlangt seinen Taler und erklärt, daß sie nun richtig verheiratet sind. »Und es ist mein Glück gewesen,« schließt der Marchese, »ein halbes Jahr darauf stirbt der Schwiegervater, wir haben nach unserer Pepina keine weiteren Kinder gekriegt, und ich bin doch jetzt ein Herr!«
Der Leser stellt sich vielleicht schon vor, daß mehr wie eine Flasche Cacciadiavolo getrunken ist, als der Marchese diese Erzählung beendet hat. Nun umarmen sich die Beiden, weinen, trösten sich, machen Brüderschaft, der Marchese bezahlt; es ist dunkel geworden, und sie wanken nach Hause.
Unterwegs kommt dem Marchese die Idee, daß sie beide durch die Brüderschaft sich vertauscht haben, daß er Cinthio und Cinthio der Marchese geworden ist. Cinthio protestiert vergeblich, schließlich leuchtet auch ihm die Vertauschung ein. So ist es denn ganz natürlich, wie sie zu Hause angekommen sind, daß Cinthio in die Wohnung des Marchese geht, die nur eine Treppe hoch liegt, und der Marchese in die Wohnung Cinthios unterm Dach.
Die Wohnung Cinthios ist leer und öde; der Marchese sinkt auf das Lager und kann nun nichts mehr erleben; wir können ihn also verlassen.[130]
Cinthio aber, von irgendeinem dunklen Instinkt geleitet, findet ein wunderbares Bett auf und beginnt einen tiefen Schlaf.
Wir wissen nicht, wie lange er schlief. Zu irgendeiner Nachtstunde wacht er auf, ist verwundert über das schöne Bett, in dem er mit schmutzigen Stiefeln liegt, noch mehr verwundert über zwei Frauenstimmen nebenan. Der Cacciadiavolo ist ein ordentlicher Wein. Man betrinkt sich; gut, aber wenn man ausgeschlafen hat, dann ist auch alles vorbei; man hat keine Kopfschmerzen, man hat seinen klaren Verstand; vielleicht verspürt man eine leichte Magenverstimmung, das ist aber auch alles.
Allmählich wird ihm klar, daß die Marchesa zu ihrer Tochter spricht. Sie tröstet: »Es gibt ja noch andere Männer, er ist doch nur ein Komödiant.« »Aber er hat so viel Gemüt«, erwidert Pepina. Jetzt merkt Cinthio, daß von ihm die Rede ist. Die Marchesa seufzt und sagt: »Ja, das hatte der Schweizer auch, und nachher hat er doch gesagt, wenn er eine Frau nach Hause bringt, die noch nicht einmal den Stall ausmisten kann, dann lachen ihn die Hunde aus.« Pepina heult, die Marchesa fährt fort: »Ich habe ja auch geheult, und wie ich meinem Vater alles gesagt habe, drei Wochen lang habe ich die Flecke auf dem Rücken gehabt, wie ein Regenbogen habe ich ausgesehen, damals waren die Eltern noch nicht so weich wie heute, und dann hat er mir gesagt: ›Nun kannst du den krummbeinigen Schneider nehmen, daß du uns aus dem Haus kommst‹, und nachher habe ich mich getröstet und habe mir gesagt: die Männer wollen's nun einmal nicht anders haben, und dann habe ich deinen Vater genommen, und siehst du wohl, das ist doch eine ganz glückliche Ehe geworden. Seine erste Liebe kriegt man nie.« Hier stampft Pepina mit dem Füßchen auf und sagt: »Ich will aber Cinthio heiraten.«
Cinthio entkommt unbemerkt aus dem fremden Bett, der Marchese verrät natürlich nichts von dem Tausch. Wir wissen[131] nicht, wie es mit Cinthios Initiative geht; das ist aber auch nicht nötig, daß wir das wissen; manche Männer heiraten und manche werden geheiratet. Jedenfalls schied er später aus dem Verband der Truppe und war ein gemachter Mann. Er ging jeden Abend ins Theater, als Zuschauer natürlich; und da er doch viel von der Kunst verstand, so gab er bald beim Publikum den Ton an; er trank nur Wein aus Flaschen und schlief jeden Morgen solange er wollte.
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