Der Fund

[289] Ein junger Mann namens Beppo hat treu und ehrlich lange Jahre einem Kaufmann gedient. Wenn die Frauen kamen und für einen Soldo Öl verlangten, so maß er ihnen das Öl in ihre Flasche, indem er mit spitzen zwei Fingern das Maß hielt und die anderen drei Finger zierlich spreizte, dann den Trichter schwungvoll aus der Flasche zog, ihn noch einmal aufstieß, daß auch der letzte Tropfen in die Flasche lief, und ihn endlich mit sicherem Augenmaß wieder in sein Loch im Ständer stellte; wenn sie eine Tüte Pfeffer haben wollten, so riß er unbarmherzig aus einem schönen alten Buch ein Blatt, rollte es fix in der Hand zur Tüte, schob mit elegantem Schwung des Beines die Stehleiter zu sich, kletterte leicht nach oben, zog den Kasten halb vor und nahm mit dem Schaufelchen Pfeffer heraus, stieg dann herunter, indem er der entzückten Frau eine Schmeichelei sagte, legte die Tüte auf die Wage und schüttete mit dem Schaufelchen sorgfältig prüfend, als wiege er Gold ab, die Pfefferkörner in die Tüte.

Wie gesagt, Beppo hatte seinem Herrn treu und ehrlich gedient. Aber natürlich hatte er keine Veranlassung, über die Grenzen seiner Pflichten hinauszugehen. Er versteht die Kunst, einzuwiegen und einzumessen, das heißt, wenn er hundert Pfund oder hundert Maß zu verkaufen hat, so kann er hundert und ein Pfund oder hundert und ein Maß verkaufen, ohne daß eine Frau zu wenig bekommt. Dieses eine Pfund oder eine Maß ist natürlich sein eigener Gewinn, von dem er seinem Herrn nichts zu sagen braucht; er hatte es deshalb immer so eingerichtet, daß er von jedem Skudo einen Quattrino für sich einbehielt; das war nur eine abgerundete Rechnung; aber der Herr stand sich ganz gut dabei, denn Beppo war ein treuer und ehrlicher Ladendiener. Diese Quattrini[290] aber, kann man sich denken, häuften sich im Laufe der Zeit an; und so kommt es denn, daß Beppo, wie er nun seinen Dienst aufgegeben hat, um nach seinem Heimatsort Ariccia zurückzugehen und dort selber einen Laden zu eröffnen, einen schönen Beutel voll Skudi in der Tasche hat.

Vor dem Tore schließt sich ihm ein junges Mädchen an, die auf einem Esel sitzt, den sie mit fester und zierlicher Hand lenkt. Die Freunde haben Beppo gewarnt; es gibt so viele Gauner und Räuber in Rom und Umgebung, daß man sehr vorsichtig sein muß mit neuen Bekanntschaften, wenn man viel Geld in der Tasche trägt. Beppo ist auch ein verständiger Mensch, der weiß, daß ein ehrlicher Mann heutzutage niemand trauen darf; die Menschheit ist zu klug für ihn geworden. Aber das junge Mädchen hat so feurige, schwarze Augen und macht einen so freundlichen Mund, und dann ist sie ja doch überhaupt ein junges Mädchen, und kurz und gut, Beppo geht neben ihr, und die Beiden erzählen sich etwas; er spricht von dem Geschäft, das er in Ariccia eröffnen will, wo es nur an Unternehmungsgeist fehlt, denn ein Geschäft ist in Ariccia zu machen, es muß nur der richtige Mann kommen, und sie teilt ihm mit, daß sie in Velletri eine Stelle annehmen will als Köchin bei einem Pfarrer, und daß sie selig ist, mit ihm bis Ariccia zusammen zu sein, denn man hört so viel, was alles geschieht, daß man wirklich Angst kriegen könnte; dabei sieht sie ihn mit einem so freundlichen Blick an und lacht so, daß ihm ganz warm ums Herz wird.

So ziehen die Beiden nun vergnügt weiter auf der Via Appia; es ist Herbst; die Jäger halten überall ihre großen Jagden ab und schießen die Sperlinge; die Karren mit den Bottichen begegnen ihnen, in denen die Weintrauben eingestampft sind, die lieben Kinderchen sitzen unsagbar schmutzig auf den Trauben und quetschen sie zusammen, und die Männer, welche die Pferde führen, sind bis oben mit rotem Traubensaft beschmiert;[291] von überall her hört man Jauchzen, Singen, Knallen, Schreien, und Beppo fühlt sich so glücklich wie noch nie in seinem Leben, er denkt an seinen Laden in Ariccia, an den Tresen, an die Büchsen mit Zuckerwerk, die auf ihm stehen, und wenn man den Kindern ab und zu eine Kleinigkeit zugibt, dann kommen sie immer; er denkt an die Wagen, welche blankgeputzt über ihm hängen, an das Einwiegen, und dann denkt er auch, was er für ein hübscher Kerl ist, und daß sich das Mädchen neben ihm gleich in ihn verliebt hat. Aber er nimmt sich in acht und verplempert sich nicht, denn man weiß ja nicht, ob sie Geld hat, und ein Kaufmann muß eine Frau mit Geld haben, und das kennt man schon, man denkt, man hat ein hübsches Mädchen, und mit einemmal kommt da ein Bruder oder Vater und sagt: Heiraten!

Die Beiden sind früh aufgebrochen, um noch vor der großen Hitze in Ariccia zu sein. Nun aber beginnen sie hungrig zu werden, denn es ist Frühstückszeit. So gehen sie denn vom Wage ab in eine Wiese, wo unter einer einsamen Pappel ein alter marmorner Sarg steht als Tränke für die Kühe; das junge Mädchen – wir wollen es nur verraten, es ist die berühmte Colomba – steigt von ihrem Esel, der verständig mit den Ohren zuckt und sich dann an das Fressen begibt; sie zieht ein reinliches Tuch vor, um es auf der Wiese auszubreiten für die mitgebrachten Speisen; da stößt sie plötzlich einen Laut der Überraschung aus; sie hat im Grase ein kleines Päckchen gefunden, das offenbar hier jemand verloren hat, ein sauber und fest verschnürtes Päckchen in steifem Papier mit einer Aufschrift. Sie wendet das Päckchen hin und her, Beppo nimmt es ihr aus der Hand: »Lies du, ich kann nicht lesen«, sagt Colomba, und Beppo buchstabiert die Aufschrift: »An den hochwohlgeborenen Herrn Matteo, Juwelenhändler in Rom.« »Wenn kostbare Steine in dem Päckchen wären?« fragt Colomba. »Erst prüfen, dann urteilen«, erwidert[292] Beppo, zieht sein Taschenmesser und schneidet die Verschnürung auf. Es kommt ein Schächtelchen zum Vorschein und ein Brief. Colomba faßt nach dem Schächtelchen, öffnet es, da liegt auf weißer Seide ein wunderschöner goldener Ring mit einem Smaragden. Sie streift ihn sofort an den Finger und betrachtet ihn verliebt, indem sie ihn in der Sonne spielen läßt; Beppo ergreift ihre Hand und sieht ihn sich genau an. Er wird aufgeregt. »Das ist ein Stück für einen Kardinal,« sagt er, »das ist ein Stück für den Heiligen Vater.« »Lies den Brief«, ruft ihm Colomba zu. Er kann sich nur schwer von der Hand mit dem Ring trennen, aber er entfaltet doch den Brief und studiert ihn, indessen Colomba den Ring weiter nach allen Seiten spielen läßt.

»Der Besitzer hat den Ring an Matteo schicken wollen, er ist fünfhundert Skudi wert, Matteo soll ihn ihm verkaufen«, sagt endlich Beppo, nachdem er das Lesen des Briefes beendet hat. Dann fährt er fort: »Ich mache dir einen Vorschlag. Es ist ein Glück für dich, daß ich ein ehrlicher Mann bin. Wir haben den Ring zusammen gefunden.«

»Nein, ich habe ihn allein gefunden«, sagt Colomba.

»Wir haben den Ring zusammen gefunden«, fährt Beppo fort; »du kannst ihn nicht verkaufen, du wirst bloß von den Händlern betrogen. Ich will den Ring annehmen und bezahle dir deinen Teil aus. Ich bin Kaufmann, ich weiß, was ich zu tun habe, mich soll keiner übers Ohr hauen, ich verstehe mich aufs Geschäft. Natürlich habe ich das Risiko. Ich biete dir für deinen Teil hundert Skudi. Abgemacht.«

Colomba beginnt zu weinen. Der Ring ist so schön, und steht ihr so gut, und sie würde ihn Sonntags immer tragen, und sie hat ihn doch gefunden, und er gehört doch ihr, und nun will ihr Beppo nur hundert Skudi geben, und sie ist ja ein armes Mädchen, für arme Mädchen sind solche teuren Ringe nicht, das sieht sie wohl ein, aber sie ist nicht so dumm wie[293] Beppo denkt, sie kann ihn auch selber verkaufen, und hundert Skudi für einen Ring, der fünfhundert Skudi wert ist, das ist eine Ungerechtigkeit, das kann ja der liebe Gott nicht dulden, und sie ist eine Waise, und hat nicht Vater und nicht Mutter, aber für die Waisen sorgt der liebe Gott; und so redet sie weiter und redet immer mehr, und Beppo antwortet ihr, und sie kommen ins Handeln, und schließlich geht Beppo bis hundertfünfzig Skudi. Er holt seinen Beutel heraus, klaubt ihn auf, zählt ihr das Geld vor, sie weint, liest es sorgsam zusammen, zieht ein Tuch und knotet es ein, der Beutel ist recht schmal geworden, wie er ihn mit der Schnur wieder zuzieht, aber dafür hat er ja nun den Ring. Sie trocknet sich die Tränen, er will zärtlich ihre Hand ergreifen, aber sie stößt sie von sich und geht zu ihrem Esel. »Was willst du denn tun?« fragt Beppo erstaunt. Sie aber antwortet ihm nicht, sondern steigt auf, und als er immer dringlicher fragt, da erklärt sie ihm, daß er ein Räuber ist, daß sie nicht mehr mit ihm reisen will, denn eigentlich hatte sie den Ring allein gefunden, und nun will sie wieder nach Rom, sie muß sich erst ausweinen, denn das hatte sie nicht gedacht, daß es so schlechte Menschen gibt. So wendet sie denn ihren Esel zurück, Beppo aber bleibt, und im Grunde ist er nicht ganz unzufrieden, daß er sie nicht mehr sieht, denn nun kann sie ihm doch nicht mehr vorklagen.

Er sah sie also nicht mehr, und er hat sie auch später nie wieder gesehen, obgleich er sie in Velletri und in Rom suchte wie eine Stecknadel, denn als er seinen Ring zu einem Händler brachte und ihn für fünfhundert Skudi anbot, da lachte der Mann und sagte, daß der Stein aus Glas sei und die Fassung vergoldetes Kupfer. Deshalb blieb ihm nichts anderes übrig, als daß er zu seinem alten Herrn ging und wieder Ladendiener wurde, damit er das verlorene Geld erst wieder zusammenbekam; denn mit dem, was er noch hatte, konnte er bei der heutigen scharfen Konkurrenz keinen Laden in Ariccia eröffnen.

Quelle:
Paul Ernst: Komödianten- und Spitzbubengeschichten, München 1928, S. 289-294.
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