Die Verschreibung

[172] Die Gelehrten der Volkswirtschaft behaupten, daß das Goldgraben sich im Ganzen noch nie verlohnt habe. Es sei wohl möglich, daß ein Mann einmal Glück habe und einen Klumpen von der Größe eines Kindskopfes finde; wenn man aber zusammenrechne, was alle Goldgräber finden und was sie alle arbeiten, so stelle es sich heraus, daß auf den einzelnen ein so geringer Arbeitslohn falle, daß er nicht von ihm leben könne. Es müssen also die Goldgräber irgendwie durch die Arbeiten und Kapitalien der andern Menschen erhalten werden.

Ungefähr ebenso geht es beim Theater her. Zwar gibt es keinen Direktor, der nicht überzeugt ist, daß er morgen den großen Schlager findet, und es wird auch von Direktoren gemunkelt, die ihn gefunden haben und nun in einer eigenen Villa bloß ihren künstlerischen Neigungen leben; aber im Durchschnitt sind doch die Verhältnisse so, daß der Theaterdirektor wie der Goldgräber sich von fremder Arbeit und den Kapitalien der Andern ernähren muß.

Man kann sich denken, daß er da zuweilen in eine unangenehme Lage kommt.

Der Direktor unserer Truppe wird von dem kunstsinnigen Publikum schlecht unterstützt. Er behauptet, daß die Gage des Arlechin allein ihn die halbe Tageseinnahme kostet. Manche sagen, das sei übertrieben, denn er bleibt sie ihm meistens schuldig; aber in Rom blieben damals auch die Abonnenten dem Direktor oft das Abonnement schuldig, und so ist es doch möglich, daß der Direktor nicht übertreibt.

Natürlich muß man in solchen Verhältnissen suchen, jemanden zu finden, der Einem borgt. Manche Schauspieler behaupten, hier liege das eigentliche Talent des Direktors. Denn ein[173] Theaterdirektor borgt ja natürlich ganz anders als gewöhnliche Leute; er borgt für die Kunst; und wenn man für die Kunst borgt, so erinnert man die Leute nur an ihre Pflicht; man nimmt ihnen gegenüber selbstverständlich eine ganz andere Stellung ein, als wenn man für sich selber borgt. Aber ohne Peinlichkeiten geht es doch nicht ab. Da gibt es reiche alte Damen, die für das Theater begeistert sind; bei ihnen hat man oft Unannehmlichkeiten mit den Erben. Ein junger Mann, dessen Vater gestorben ist und ihm ein Vermögen hinterlassen hat, ist wohl selbständiger, aber meistens hat er dann auch ein Drama geschrieben oder will als Aurelio oder Cinthio auftreten Die vornehmen Herren sind meistens unzugänglich, sie sagen, das Theater habe seine Blütezeit hinter sich.

Unser Direktor ist ein sehr begabter Direktor. Es ist ihm sogar geglückt, von einem früheren Mitglied Geld zu bekommen, von Cinthio, der eine reiche Frau geheiratet hat und nur noch zum Vergnügen ins Theater geht. Aber seine Begabung gereicht ihm zum Unheil. Schon längst hätte er Bankerott machen und von neuem anfangen müssen, wie es andere auch tun; er aber hat immer wieder einen Kapitalisten gefunden. Nun endlich ist es so weit, daß man ihn verklagen will.

Eine Klage an sich hat ja nicht viel zu bedeuten. Wenn man nichts hat, so kann einem nichts genommen werden; und der Direktor ist ein ehrlicher Mann; er hat wirklich nichts; nicht nur sein väterliches Erbteil hat er zugesetzt, auch die Erbschaft einer Tante ist aufgegangen. Ein Oheim, der an der Ecke dem Theater gegenüber Maronen verkauft, hatte seit Jahren alle Glockengulden aufgehoben, die er bekam; an den Sonntagen setzte er die Brille auf und putzte sie, das war so sein Sonntagsvergnügen. Der Direktor hatte dem Oheim den Strumpf mit den Glockengulden weggenommen, indem er ausrief: »Meine Existenz steht auf dem Spiel, meine Ehre!« Wochenlang waren die Gagen in Glockengulden ausgezahlt;[174] der alte Mann hatte von Coraline einen seiner Gulden bekommen, als sie für einen Soldo Kastanien von ihm kaufte, und in seinem Kummer hatte er wieder von neuem anfangen wollen zu sammeln; er war zu den Schauspielern gegangen und hatte gleichsam zufällig das Gespräch auf Glockengulden gebracht; er sah auch einen seiner Gulden in anderen Händen; aber er konnte ihn doch nicht zurückerwerben, denn er hatte ja ein Menschenalter gebraucht, um den Strumpf zusammenzusparen; und so brach ihm denn vor Gram das Herz. Er hinterließ seinem Neffen, den er zärtlich liebte, nur den Maronenofen, der aber schon halb durchgebrannt war, und den einen Glockengulden, den er von Coraline eingewechselt hatte.

Also eine Klage war gegen den Direktor eingereicht, und zwar eine ganz besondere Klage.

Der Direktor hat Samuel besucht und bittet ihn um seinen Rat. Samuel ist erstens Jude und hat deshalb viel Verstand; zweitens macht er viel Geldgeschäfte und weiß deshalb, wie man sich in Geldsachen benehmen muß; und endlich ist der Direktor auch ihm schuldig, und Samuel weiß natürlich, daß nur Einer sein Geld wieder bekommen kann, entweder er oder ein Anderer, wenn überhaupt etwas wiederzubekommen ist; er ist also der natürliche Bundesgenosse des Direktors.

Der Direktor erzählt, er habe die Leute beruhigen wollen, aus bloßer Gutmütigkeit, und deshalb habe er ihnen seine Einrichtung verschrieben. Dann seien Andere gekommen und wollten auch beruhigt sein, und so habe er sie denen auch verschrieben. Nun sagen die Zweiten, sie seien betrogen, weil ihm die Einrichtung gar nicht mehr gehört habe – »ich spiele jeden Abend, und die Einrichtung soll mir nicht gehören!« ruft er hitzig aus – und der Richter, der natürlich ein Idiot ist, glaubt diesen Leuten. Ein Glück dabei ist nur, daß die Ersten, denen er sie verschrieben hat, die Zweiten verhindert haben, ihm die Einrichtung fortnehmen zu lassen. Denn die wollten sie[175] ihm fortnehmen; und wo wäre dann die Komödie geblieben?! Was denken sich diese Dummköpfe eigentlich! Man kann doch nicht ohne Dekorationen spielen! Die haben eine Ahnung vom Theater!

Samuel ist sehr verwundert, denn der Direktor hat ihm seine Einrichtung auch verschrieben; und zwar, wie er sich nach dem Datum der beiden anderen Verschreibungen erkundigt, zuallererst. Das beruhigt ihn ja nun; er ist sich klar darüber, daß ihm nichts geschehen kann; aber wenn man den Direktor jetzt etwa wegen Betrugs ins Gefängnis setzt, so ist ihm das auch peinlich; denn schließlich, was nützen ihm die Dekorationen? Soll er selber auf die Bühne treten und den Leuten ein Schauspiel geben?

Samuel also zieht seine Schnupftabaksdose, bietet erst dem Direktor eine Prise; nimmt dann selber mit spitzen Fingern seinen Tabak, zieht ihn nachdenklich ein, niest, stäubt seine Weste ab; und dann sagt er entschieden:

»Wenn der Richter dich nach etwas fragt, das mit Geld zusammenhängt, so antwortest du immer nur ›Bäh‹.«

Dem Direktor leuchtet der Rat ein; er dankt seinem Freund vielmals und empfiehlt sich; vor Gericht befolgt er den Rat; der Richter wird grob und verurteilt seine Gläubiger zu einer Geldstrafe, weil sie sich ungebührlich gegen das Gericht betragen haben, indem sie ihm einen offenbar Verrückten vorführen, der für seine Handlungen nicht verantwortlich ist. Die Gläubiger bezahlen seufzend das Geld und schwören sich zu, den Direktor nie wieder zu verklagen.

Weshalb Samuel eigentlich dem Direktor Geld geborgt, weiß man nicht. Daß die Kapitalanlage nicht gut war, hatte er ja wohl wissen müssen; und so muß er wohl einen besonderen Grund gehabt haben, den er für sich behielt. Nun, nach der Gerichtsverhandlung, bedenkt er sich, wie er sein Geld wieder an sich ziehen könne. Er spricht mit dem Direktor und sagt[176] ihm, daß er die Kunst zu sehr liebe, um ihn drücken zu wollen; aber er habe jetzt größere Zahlungen zu machen, und in Geldsachen muß man sich auf den Rechtsstandpunkt stellen; und so redet er noch mehr, in der Absicht, den guten Direktor zu Rückzahlungen zu bewegen, indem er ihm droht, daß er die verschriebene Einrichtung verkaufen lassen werde.

Wenn Einer mahnt, so mag er sagen, was er will, der Andere wird immer verstimmt werden. Der Direktor erklärt, daß er sich allerdings scheine geirrt zu haben in der Auffassung von Samuels Persönlichkeit; er habe immer geglaubt, daß Samuel ihm einmal einen festen jährlichen Zuschuß zahlen werde; daß er jetzt freilich, nun er seine Gesinnungen kenne, nie etwas von ihm annehmen würde, und wenn Samuel es ihm kniefällig anböte; was seine Drohungen betreffe, so sehe er wieder einmal, was man von seiner Gutmütigkeit habe, denn er hätte ihm doch die Einrichtung nicht zu verschreiben brauchen. Aber er sei jetzt gewitzigt; Samuel möge ihn nur verklagen; er habe die Einrichtung schon vorher einem Andern verschrieben, und es gebe noch Richter in Rom, die Recht und Unrecht unterscheiden können.

Man kann es Samuel nicht verdenken, daß er in Wut gerät; er behauptet, der Direktor sei ein Betrüger, und er werde ihn anzeigen. Der Direktor schüttelt lächelnd den Kopf; er war ja selber einmal Schauspieler gewesen und so hatte er denn vor seiner Gerichtsverhandlung Studien vor einer Schafherde gemacht, um seine Antwort recht naturwahr vorzubringen. Deshalb antwortet er mit außerordentlich naturwahrem Ausdruck »Bäh«.

Es war nicht der Verlust, der Samuel zu Herzen ging, es war die Kränkung. Samuel bekam ein hitziges Fieber und mußte sich ins Bett legen. Er hatte nur eine alte Haushälterin, welche wußte, wo sein Geld versteckt war. Niemand bekümmerte sich um ihn, und so starb er zuletzt am Gallenfieber.

Quelle:
Paul Ernst: Komödianten- und Spitzbubengeschichten, München 1928, S. 172-177.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon