Die gesparten Schlachtschüsseln

[203] Wenn ein sorgsamer Hausvater heute ein Schwein schlachtet, dann hat er einen sauberen und sehr großen irdenen Topf; in diesen legt er die Ohren, die Schnauze, die Pfoten und die Rippchen, nachdem er alles tüchtig mit Salz eingerieben und bestreut hat; dann wartet er vierzehn Tage und sagt endlich zu seiner Hausfrau: »Morgen könntest du wohl einmal Pökelknochen mit Sauerkraut und Erbsen zubereiten«; und so hat er denn, je nach der Größe seiner Familie, zwei bis drei wohlschmeckende und nahrhafte Mittagessen.

Nun muß man aber wissen, daß dieses Einpökeln der Knochen eine verhältnismäßig junge Erfindung der Menschen ist. In früheren Zeiten verstand man diese Stücke nicht aufzubewahren; und da doch eine Familie nicht alles auf einmal essen konnte, so hatte sich die Sitte herausgebildet, daß der Hausvater, welcher schlachtete, seinen Nachbarn von ihnen schickte; man nannte das die Schlachtschüssel. Wenn dann die Nachbarn schlachteten, so schickten sie auch ihm eine Schüssel, und so ging zuletzt alles nach der Gerechtigkeit und hatte doch dabei seine nachbarliche Freundschaft.

Der Messer Filippo, der in Rom an der Porta del Popolo in dem alten Turm seines Geschlechtes wohnt, hat von seinem Gevatter in Albano ein fettes Schwein gekauft, ist dann zu Pietrino gegangen, dem Hausschlächter, und hat ihm gesagt, er möge zum Schlachten kommen; Pietrino hat geantwortet, einem Freund könne er nichts abschlagen, und ist erschienen.

Das Schwein wiegt seine drei Zentner. Der Gevatter in Albano hat beschworen, daß es reine Eichelmast ist, denn das ist bei ihm Prinzip, die Eichelmast, denn warum? Aufgeschwemmt ist das Schwein leicht, aber den Kernspeck bekommt es nur bei der Eichelmast.[204]

Pietrino ist begeistert von dem Schwein, denn er weiß aus Erfahrung, daß der schlachtende Hausvater es liebt, wenn man das Schwein lobt. »Das ist ein Stückchen für den Heiligen Vater,« sagt er, »das ist eine Seltenheit! Da wird Ihnen das Fett in den Mundwinkeln herunterfließen, wenn Sie den Braten essen! Aber nur die Schwarte recht knusperig! Sie muß mit Wasser begossen werden, sonst wird sie zäh. Ja, das ist ein Tierchen! Wie es einen ansieht! So lieb und gut!«

Das Schwein grunzt und macht ein mißtrauisches Gesicht. »Komm du nur«, redet Pietrino jetzt das Schwein an und sucht es am Hinterfuß zu fassen, indessen sich das Schwein ihm gewandt entzieht. »Komm du nur, es tut ja gar nicht weh! Ein Augenblick, dann ist es vorbei! ... Drei Zentner? Guter Kauf, das Schweinchen wiegt seine viertehalb Zentner. Das ist ja ordentlich ekelhaft, wie das fett ist. Das ist ja nicht zu essen, das Schwein, so fett ist es!«

Hier hat Pietrino endlich den Hinterfuß gefaßt und den Strick um ihn geschlungen; nun wirft er den Strick über den Haken, der in der Hauswand eingemauert ist, Messer Filippo und die Signora legen mit Hand an, und so wird das quiekende Schwein hochgezogen, bis es ganz in der Luft hängt und die Umgebung mit seinem Geschrei erfüllt. Der große Topf, in welchem das Blut aufgefangen wird, steht bereit, die Signora mit dem Quirl kauert neben ihm, Pietrino nimmt sein Schlachtmesser, prüft es mit Kennerblick auf dem Handballen, wirft dem Schwein noch ein paar tröstende Worte zu und macht dann den Schnitt. Das Blut strömt, die Signora quirlt, das Schwein quiekt und röchelt, Pietrino beobachtet; zuletzt beugt er sich, legt sein Ohr an den Rüssel und gibt sich den Anschein, als höre er aufmerksam auf die letzten Töne des Tieres; dann richtet er sich auf und sagt: »Es hat ein mündliches Testament gemacht. Den Messer Filippo setzt es zum Universalerben ein und mich hat es zum Testamentsvollstrecker ernannt.«[205] Die Signora lacht über diesen Witz so lebhaft, daß sie rücküber fällt, und wenn Messer Filippo nicht zugesprungen wäre, so hätte sie den Topf mit dem Blut umgestoßen. Das ist nun wieder für Pietrino so komisch, daß er in Lachen verfällt, sich immer vornüber beugt und den Bauch hält. Da er ein stattlicher Fleischer ist, so erregt das seinerseits die Heiterkeit des Messer Filippo, und so lachen denn alle drei eine ganze Zeit, indem immer, wenn einer aufhört, der andere wieder anfängt.

Nun durchbohrt der Fleischer dem toten Tier die Kniekehlen und steckt das Krummholz durch; es werden zwei hölzerne Stühle aus der Küche geholt, auf welche die beiden Männer treten, und dann heben sie das Schwein und hängen es am Krummholz auf, damit es der Fleischer aufschlagen kann.

Wie es da nun so hängt, da beginnt Messer Filippo zu klagen, indem er sich über die Nachbarn beschwert und erzählt, welches Interesse sie alle an dem Schwein haben, wie sie das Gewicht abschätzten und über die Mast sprachen und ihm Ratschläge für die Würste gaben, und wie der eine sogar eine Anspielung auf die Schälrippchen gemacht hat, und wie heutzutage das Leben so teuer ist, und das Schwein kommt ihm mit allen Nebenausgaben hoch genug.

Pietrino ist hier ganz der Meinung des Messer Filippo; er findet, wer Schälrippchen essen will, der kann selber schlachten, denn der Hausschlächter wird ohnehin gedrückt heutzutage; und er schließt, daß er an der Stelle des Messer Filippo niemandem eine Schlachtschüssel schicken würde, sondern er würde sich die Knochen schön einsalzen und mit Sauerkraut und Erbsen essen, wie das die Deutschen tun, die kluge Leute sind und wissen, was gut schmeckt.

Dies ist für Messer Filippo eine neue Rede, denn er hat es bis dahin nicht anders gewußt, als daß man den Nachbarn die Schlachtschüssel schicken muß, weil Einem der Segen[206] sonst schlecht wird; deshalb fragt er Pietrino nach dem Näheren, und der erzählt ihm denn genau, wie man Alles macht.

Das versteht nun Messer Filippo sehr gut; aber er sagt sich, daß die Nachbarn ihm das übelnehmen würden, wenn sie die Schlachtschüssel nicht bekämen, denn diese Leute glauben ja doch ein Anrecht zu haben, wenn Einer, der ein bißchen etwas hat, sich ein Schwein schlachtet, weil sie selber nichts haben; und das erscheint ihm wirklich unrecht von den Leuten, denn er denkt gar nicht mehr daran, daß er selber ja doch auch immer Schlachtschüsseln bekommen hat. Und so schließt er denn, daß ihm das Herz zwar blutet über die Ungerechtigkeit, denn er ist immer ein Feind der Ungerechtigkeit, aber er will die Knochen doch lieber nicht einpökeln und den Nachbarn morgen früh jedem seine Schüssel schicken. Die Signora nickt mit dem Kopf und sagt, ihr Mann sei eben immer zu gut, aber sie könne dagegen nichts tun, er lasse sich ja nie in seine Geschäfte hineinreden.

Hier legt Pietrino den Finger an die Nase und sagt: »Messer, ich habe einen Einfall. Es ist ein Glück, daß ich nicht heute früh kommen konnte, wie Eure Exzellenz eigentlich wollten, und Eure Exzellenz haben mich ja auch sehr darüber gescholten. Denn warum? Jetzt hacke ich das Schwein noch auf, wir nehmen die Eingeweide heraus und waschen die Kaldaunen, ich kann es auch noch zerteilen, und dann ist Feierabend. Wäre ich gekommen, wie der Messer wollte, dann würde heute alles fertig, und ich müßte heute abend die Schlachtschüsseln herumtragen, wofür ich ja denn freilich von jedem Nachbar einen Soldo Trinkgeld zu erwarten habe. Aber so bringen wir das Schwein in den Keller, und wenn wir morgen früh mit der Arbeit fortfahren wollen, dann sagt Messer Filippo: ›Das Schwein ist mir diese Nacht gestohlen.‹«

Die Unverschämtheit der Nachbarn muß natürlich den Messer Filippo ärgern, und um ihnen einen Possen zu spielen, geht er[207] auf Pietrinos Vorschlag ein, und es wird alles so gemacht, wie Pietrino vorgeschlagen hat.

Pietrino ist, wie der Leser schon gemerkt haben wird, ein kluger Mensch. Er sorgt also dafür, daß das Schwein im Keller versteckt wird, in den man durch das Fenster leicht einsteigen kann, damit der Diebstahl glaubhaft ist; und als es Nacht geworden ist und Messer Filippo und seine Gattin fest schlafen, da erscheint er still vor dem Hause mit seinem kleinen Handwagen. »Es war doch gut, daß ich es noch zerteilt habe, es trägt sich so leichter«, spricht er für sich, als er es herausholt und auf seinen Wagen legt. Er nimmt auch Herz, Lunge und Leber mit, die in einer Schüssel liegen, und die Kaldaunen, die noch im Wasser schwimmen, und den Topf mit dem Blut. Dann zieht er seinen Wagen fröhlichen Herzens nach Hause.

Am andern Morgen in der Frühe geht er zu Messer Filippo; vor dem Hause stehen die Nachbarn und sprechen untereinander, indem sie auf das Haus zeigen; ein Polizist hockt vor dem Kellerfenster, die Hände auf die Kniee gestützt, und sieht in den Keller; die Tür öffnet sich, und aufgeregt erscheint Messer Filippo, einem andern Polizisten eine Erzählung machend; der Polizist schüttelt ruhig den Kopf und hört ihn an.

Pietrino tritt neben ihn und sagt leise: »Ausgezeichnet! Ganz recht!«

»Das Schwein ist diese Nacht gestohlen!« schreit ihm Messer Filippo zu.

»Was? Gestohlen? Das Schwein?« fragt Pietrino laut, und leise fügt er hinzu: »So ist es richtig! Kein Mensch schöpft Argwohn!«

Dem Messer Filippo kommen die Tränen, er faßt mit beiden Händen die Hand Pietrinos und sagt: »Gestohlen, wirklich gestohlen!«

»Sehr gut, das ist der richtige Ton«, erwidert leise Pietrino.

»Nein, wirklich gestohlen!« ruft der Messer.[208]

»Und die Tränen! Ganz echt!« sagt Pietrino.

»Heute morgen, ich denke, ich will es mir doch einmal ansehen, ich gehe in den Keller ...«, erzählt Messer Filippo den Nachbarn. »Nichts. Nichts. Da liegt das weiße Tuch, es ist noch blutig. Nichts weiter. Nichts.«

Die beiden Polizisten besprechen sich, grüßen dann den Messer Filippo und gehen. Sie haben ihre Pflicht getan. Die Nachbarn beginnen sich zu zerstreuen. Pietrino nimmt den Messer Filippo unter den Arm und führt ihn in das Haus, in die Küche, wo die Signora gebrochen auf der Eimerbank sitzt und weint.

»Nun wollen wir gleich aus Wurstmachen gehen«, sagt er. »Aber Pietrino, es ist wirklich gestohlen«, ruft der Messer, vor ihm stehend und die Hände beteuernd hochhebend. »Euer Exzellenz! Unter uns! Ich bin doch verschwiegen!« erwidert Pietrino.

Messer Filippo führt ihn in den Keller, zeigt ihm wortlos den leeren Tisch, auf dem das Schwein gelegen, das blutbefleckte Tuch, die leeren Schüsseln.

»Wie Euer Exzellenz will«, sagt kalt Pietrino. Er gibt sich den Anschein, als glaube er immer noch nicht den Diebstahl. »Meinen Tagelohn muß ich bekommen, und die Trinkgelder, die mir die Nachbarn gegeben hätten, werden mir Euer Exzellenz gewiß auch nicht verweigern.«

Quelle:
Paul Ernst: Komödianten- und Spitzbubengeschichten, München 1928, S. 203-209.
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