Die zehn chinesischen Hofkleider

[102] Eine Gesandtschaft vom Kaiser von China war nach Rom gekommen. Der Kaiser hatte gehört, daß in Rom der Heilige Vater lebt, und hatte es anständig gefunden, dem seine Empfehlungen zu übermitteln. Er hatte ihm die Werke der chinesischen Dichter in Prachtausgaben geschickt, zehn Pfund kaiserlichen Tee, mehrere Ehrengewänder und ein vollständiges Porzellangedeck für zwölf Personen.

Die Gesandtschaft bestand aus zehn Herren vom ersten Rang im chinesischen Reich. Die Herren waren in kostbare, gestickte Gewänder gekleidet und erregten großes Aufsehen bei der Straßenjugend.

Vermutlich sind in China die Sitten in bezug auf Gesandtschaften anders als in Rom. Die Chinesen hatten darauf gerechnet, daß ihnen eine Wohnung im Schloß seiner Heiligkeit eingeräumt würde und daß sie ihre Beköstigung aus der Hofküche erhielten; sie hatten sich ihre Reise auch von den chinesischen Gelehrten berechnen lassen, und denen ist vielleicht ein Rechenfehler untergelaufen; kurz und gut, die guten Herren kamen in Rom in eine arge Geldverlegenheit. Diese schien auf sie selber einen geringeren Eindruck zu machen als auf ihre Gläubiger, denn sie für ihr Teil gingen mit ebenso ruhigen und freundlich lächelnden Gesichtern durch die Straßen Roms lustwandeln wie vorher, indessen die Gläubiger verstört wurden, an den Straßenecken zusammentraten, und leise und eindringlich miteinander sprachen, indem sie die Köpfe zusammensteckten und mit den Armen fuchtelten. Nun, die Gläubiger klagen, die Gesandten werden verurteilt, der Gerichtsvollzieher kommt, macht ihrem Dolmetscher klar, um was es sich handelt, was nicht leicht ist, denn der Dolmetscher ist auch[103] ein Chinese, welcher die Einrichtungen Europas nicht kennt; und nimmt ihnen endlich ihre kostbaren Hofkleider, um sie öffentlich zu versteigern. Die Chinesen schämen sich, daß sie keine Hofkleider mehr haben, und schließen sich in ihre Wohnung ein; was weiter mit ihnen geschieht, das geht uns hier nichts an, für unsere Geschichte sind nur die Hofkleider wichtig.

Also die Hofkleider werden versteigert. Aber wer in Rom soll sich wohl chinesische Hofkleider kaufen? Sie sind ja sehr kostbar, aber sie sind unpraktisch und bei uns nicht in der Mode. Die Schneidermeister betrachten sie sich, ob man sie ändern kann und zucken dann bedauernd die Achseln. Eine vornehme Dame hat ihre Kammerjungfer geschickt, damit sie ihr Urteil abgibt, aber die Kammerjungfer findet, daß die Kleider nach Chinesen riechen, es wird ihr übel und sie verlangt einen Tropfen Kölnisches Wasser.

Der Theaterdirektor besucht grundsätzlich alle Versteigerungen; einesteils weil er mit alten Sachen gehandelt hat, ehe er sein jetziges Geschäft übernahm, anderenteils, weil er bei den Versteigerungen auf Ideen kommt, und die Ideen sind bekanntlich bei einem Theaterdirektor die Hauptsache. Er befühlt die Anzüge, prüft die Stoffe, die Stickerei, er beißt in den Brokat; zieht die Seide auf zwei Nagelspitzen auseinander; der Versteigerer ruft aus: »Ein chinesisches Hofkleid aus grüner Seide mit Goldstickerei, einen Drachen darstellend, wer bietet?« Es bietet niemand; der Theaterdirektor denkt, wenn er das Kleid sehr billig bekommt, dann kann er es immer brauchen, er bietet zehn Soldi; der Versteigerer schreckt zurück, aber er muß ausrufen: »Zehn Soldi sind geboten, wer bietet mehr, niemand mehr? Ein chinesisches Hofkleid aus grüner Seide mit Goldstickerei, einen Drachen darstellend«; niemand bietet mehr, und so bekommt der Direktor das Hofkleid mit dem Drachen, und in derselben Weise bekommt er die anderen Hofkleider, auf welchen das Meer gestickt ist, über dem[104] Vögel schweben, der Himmel mit flatternden Schmetterlingen von allen Farben, der Höllenhund, welcher einer armen Seele ins Bein beißt und ähnliches.

Der Direktor hat also die gesamten Hofkleider erstanden, und nun fehlt ihm nur noch die Idee. Die Idee kommt ihm aber auch, nämlich er trägt dem Dichter auf, ein Stück zu den Kleidern zu schreiben.

Was das für ein Stück sein soll, das ist natürlich die Sache des Dichters.

Man kann dem Dichter Vorstellungskraft und Erfindung gewiß nicht absprechen; aber wie soll er es machen, für zehn chinesische Hofkleider ein Stück zu erfinden? Wahrscheinlich würde nicht einmal der Leser dieser Geschichte eine solche Aufgabe lösen können. Also der Dichter schreibt das Stück nicht.

Wir sehen, daß in diesem Kriege das deutsche Volk Dinge möglich macht, die man früher für unmöglich gehalten hätte, und wenn die Heeresleitung heute etwa solche Stücke brauchte, so würden sie ihr gewiß in der nötigen Anzahl zur Verfügung gestellt werden. Aber das deutsche Volk hat eben auch die Organisation. Mit der Organisation kann man erreichen, was man will. Die oberste Heeresleitung schickt einen Befehl an die Generäle, diese geben ihn an die Obersten, die an die Majore, die an die Hauptleute, die an die Oberleutnants, die an die Unterleutnants, die an die Unteroffiziere, und die Unteroffiziere kommandieren einfach die nötige Anzahl von Gemeinen, daß sie Punkt zwei Uhr auf dem Kasernenhof anzutreten haben, um Stücke für zehn chinesische Hofkleider zu dichten.

Der Direktor muß sich anders helfen, aber von der unbegrenzten Leistungsfähigkeit der menschlichen Natur ist er ebenso überzeugt wie die deutsche Heeresleitung.

Coraline ist dem Dichter bisher nie menschlich nähergetreten. Plötzlich redet sie ihn auf einer Probe an und beginnt ein Gespräch mit ihm. Sie fragt ihn, ob das Dichten schwer ist; ob[105] er lieber allein dichtet oder in Gesellschaft, ob er auch alte Stücke aufarbeitet, daß man denkt, sie sind neu, und ähnliches, und da sie hübsch ist und sehr viel Geist hat, so bezaubert sie den Dichter. Der Dichter verspricht, sie zu besuchen, sie glaubt das nicht eher, als bis er in ihr Zimmer tritt, denn warum hat er sich immer so von ihr ferngehalten? Er verspricht es nochmals und sie stellt die Behauptung auf, daß die Dichter unzuverlässige Leute sind; er beteuert, daß er kommen wird, und sie erklärt, daß dann alle anderen Schauspielerinnen sie beneiden werden; und so geschieht es denn, daß der Dichter noch am selben Nachmittag bei ihr anklopft.

Er tritt ein. In ihrem Zimmer, sauber über Bügel gebreitet und glatt gestrichen, eins neben dem anderen, auf Nägeln, welche der Direktor in gleichen Zwischenräumen in die Wand geschlagen hat, hängen die zehn chinesischen Hofkleider. Sie führt den Dichter vor die Wand und bittet ihn, die Kleider zu betrachten, plötzlich ist sie von seiner Seite verschwunden, sie ist aus der Tür geschlüpft, hat außen den Schlüssel umgedreht und ruft ihm nun durch die Tür zu, daß Brot, Käse und Wein in der Lade stehen, Papier, Tinte und Feder sind auf dem Tisch, und er kommt nicht eher aus dem Zimmer, als bis er das Stück geschrieben hat.

Der Dichter könnte rasen, er könnte an die Tür hämmern, Stühle und Tische umwerfen, aus dem Fenster nach der Feuerwehr schreien und ähnliches. Aber dann würde er den Ruf einer Dame gefährden, und den Ruf einer Dame gefährdet er nicht. Was bleibt ihm übrig? Er öffnet die Lade, ißt und trinkt, und dann setzt er sich an den Tisch und schreibt.

Wir wollen ja nicht behaupten, daß der Dichter Coralinen liebt; aber er glaubt sie jedenfalls zu lieben, und das tut hier dieselben Dienste. Coraline hat das Gewand mit den bunten Schmetterlingen an, der Dichter denkt sich selber in dem Gewand[106] mit dem Drachen; sie sind beide Geister, sie sind zwei Geisterkönigskinder, die einander lieben, weil sie sich im Traum erschienen sind. Coraline hat gesehen, wie der Dichter weinte, und nun weint sie auch, sie weint beständig. Er weinte nur, weil er einen Reim nicht finden konnte, den er schon lange suchte, und weil er von einem Bösewicht, der noch nicht aufgetreten ist, deshalb verhöhnt wurde; aber das kann sie natürlich nicht wissen, weil die Beiden sich überhaupt noch nicht gesprochen haben. Es tritt der Theaterdirektor auf; er hat das Kleid an, auf welchem der Höllenhund einen armen Sünder ins Bein beißt und ist der Bösewicht; natürlich will er die Liebenden auseinanderbringen. Aber Coraline ist treu. Und nun zeigt sich die Macht der Dichtung. Der Dichter träumt. Coraline erscheint ihm im Traum in dem Gewand, wo die Vögel über dem Meer schweben; von ihrem Anblick begeistert, findet er seinen Reim. Er schreibt ihn gleich auf, sein Gedicht ist fertig, er liest es vor, der Theaterdirektor ist besiegt, die Nebenfiguren, welche in dieser kurzen Inhaltsangabe nicht erwähnt sind, versammeln sich auf der Bühne, und Coraline sinkt dem Dichter in die Arme.

Das Stück ist fertig, der Direktor schließt dem Dichter selber die Tür auf und nimmt es ihm ab, um die Rollen ausschreiben zu lassen, denn er verspricht sich von den Hofkleidern eine durchschlagende Wirkung.

Der Dichter verlangt Coralinen zu sehen. Wir können mit Bestimmtheit behaupten, daß er sie nicht liebt; aber was tut das? Wir dürfen bei der Liebe, bei einem Dichter, bei einem liebenden Dichter keine Logik verlangen: er liebt sie gar nicht, und trotzdem müssen wir sagen, daß seine Liebe zu ihr unglücklich ist.

Quelle:
Paul Ernst: Komödianten- und Spitzbubengeschichten, München 1928, S. 102-107.
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