Vierzehntes Kapitel
Worin unser Held eine Rede hält, die die größte Bewunderung verdient, nebst dem Betragen eines Ehrenmannes von seiner Bande, das vielleicht unnatürlicher ist als irgend etwas in dieser Geschichte.

[123] Es war ein Mann in der Bande namens Blueskin; er hatte vormals zu den Kaufleuten gehört, die mit toten Ochsen und Schafen handeln und welche man gewöhnlich Schlächter zu nennen pflegt. Dieser Ehrenmann besaß zwei notwendige Eigenschaften eines großen Mannes; nämlich einen unerschütterlichen Mut und eine gänzliche Verachtung des lächerlichen Unterschiedes zwischen Mein und Dein, welches unendliche Streitigkeiten verursachen würde, wenn sich nicht die Gerechtigkeit ins Mittel schlüge und beides in das Ihrige verwandelte. Die gewöhnliche Manier, seine Güter durch den Handel umzutauschen, schien ihm zu langweilig; daher beschloß er, sein Metier als Kaufmann aufzugeben, und als er mit[123] einigen von Wilds Leuten bekannt geworden war, versah er sich mit einem Gewehr und ließ sich in die Bande enrollieren. Hier betrug er sich auch eine Zeitlang sehr anständig und ordentlich und nahm mit dem Teil von der Beute vorlieb, die unser Held ihm zukommen ließ.

Doch im Grunde behagte ihm diese Sklaverei gar nicht: denn wir hätten noch einer dritten heroischen Eigenschaft gedenken sollen, die mit in seinen Charakter gehörte, und dies war der Ehrgeiz. Als er nun eines Tages einem Kavalier eine goldne Uhr abgenommen hatte und dieser Diebstahl in der Zeitung angekündigt und dem, der die Uhr wieder abliefere, eine ansehnliche Belohnung versprochen ward, weigerte er sich, die Uhr auf Wilds Ordre zurückzugeben.

»Wie? Herr Blueskin«, sagte Wild, »Sie wollen die Uhr nicht wieder herausgeben?«

Blueskin: Nein, Herr Wild. Ich habe sie aufgetrieben und will sie behalten, oder, wenn ich sie von der Hand schlage, will ich das Geld in meine eigene Tasche stecken.

Wild: Sie werden doch nicht behaupten, daß Sie irgend ein Recht auf diese Uhr haben?

Blueskin: Ich mag ein Recht darauf haben oder nicht – genug, Sie können mir Ihr Recht darauf ebensowenig beweisen.

Wild: Das sollen Sie gleich sehen. Nach den Gesetzen unserer Bande fällt sie mir anheim. Bin ich nicht das Haupt dieser Bande?

Blueskin: Ich möchte wissen, wer Sie dazu gemacht hätte? Die Sie dazu gemacht haben, taten es doch nur um ihres eignen Besten willen, daß Sie sie anführen, von der reichsten Beute Nachricht geben, Zeugen für sie erkaufen, auf jede mögliche Weise zu ihrem Vorteil und ihrer Sicherheit beitragen, aber nicht einzig und allein die Früchte ihrer Arbeit und ihrer Gefahr einernten sollten.

Wild: Sie irren sich sehr. Es scheint, Sie sprechen von gesetzmäßigen Verbindungen, wo das Oberhaupt nur um des allgemeinen Besten willen da ist, um durch seine Fürsorge, seine Talente und seine Geschicklichkeit das Glück seiner Untergebenen zu befördern, und wo er eben darum ihren Reichtum seinen Launen und Vergnügungen nicht opfern darf. Aber mit einer Verbindung, wie die unsrige, hat es eine ganz andere Bewandtnis. Wer wollte wohl an der Spitze einer Räuberbande stehen, wenn er keinen Nutzen davon hätte? Und ohne Oberhaupt, wissen Sie wohl, würde unsere Bande nicht lange bestehen. Nur ein Oberhaupt und Gehorsam gegen dieses Oberhaupt kann sie vor dem Untergange bewahren, der sie jeden Augenblick bedroht. Es ist unstreitig besser, Sie[124] begnügen sich mit einem mäßigen Lohne und genießen das wenige mit Ruhe und Sicherheit unter dem Schutze Ihres Oberen, als daß Sie alles, was Sie nur können, an sich reißen und in beständiger Furcht und Angst leben. Wahrhaftig – niemand in der ganzen Bande hat weniger Ursache, zu klagen, als Sie. Ich habe Ihnen meine Gunst geschenkt. Ein Beweis davon ist das Band, welches Sie an Ihrem Hute tragen und das Ihnen den Rang eines Hauptmanns gibt. Darum, lieber Hauptmann, heraus mit der Uhr.

Blueskin: Hol der Teufel Ihr Fuchsschwänzen! Denken Sie, daß ich mir etwas aus einem Stück Band mache, das ich für sechs Pfennige hätte kaufen und ohne Ihre Erlaubnis hätte tragen können? Oder daß ich mich für einen Hauptmann halte, weil Sie mich so nennen, Sie, der nicht einen Korporal machen kann? Der Name Hauptmann ist bloß ein Schatten; Bezahlung, Bezahlung ist das Wesen, und ich lasse mich nicht mit Schattenwerk abspeisen. Ich will nicht länger Hauptmann heißen, und wer mich Hauptmann schilt, dem will ich den Hals brechen, so wahr ich Blueskin heiße.

Wild: Hat man je so ein dummes Geschwätz gehört? Respektiert Sie nicht jeder in der Bande, seitdem ich Sie Hauptmann getauft? Doch Ihrer Meinung nach ist das nur ein Schatten, und Sie wollen jedem den Hals brechen, der Ihnen diesen Ehrentitel fernerhin gibt. Könnte man nicht mit eben dem Recht zu einem Staatsminister sagen: »Sie haben mir bloß Schattenwerk gegeben. Das Band, das Sie mir überreicht, bedeutet nichts, als daß ich eine große Tat für das Wohl und für den Ruhm meines Vaterlandes getan habe, oder daß ich ein Abkömmling solcher Leute bin, die sich auf diese Weise ausgezeichnet. Ich selbst aber bin ein Schurke, und eben das waren auch alle meine Vorfahren, soviel ich weiß. Darum will ich einem jeden den Hals brechen, der mich Ritter oder gestrenger Herr nennt?« Aber alle großen und weisen Leute halten sich hinlänglich durch etwas belohnt, was ihnen Ehre und Rang in ihrem Orden verschafft, ohne sich um das Wesentliche zu bekümmern; und wenn ein Titel, ein Band oder eine Feder diesen Zweck befördern, so ist dies alles kein Schattenwerk mehr. Doch ich habe jetzt nicht Zeit, darüber mit Ihnen zu räsonieren. Darum geben Sie nur ohne Widerrede die Uhr her.

Blueskin: Ich bin ebensowenig ein Freund vom Räsonieren, wie Sie, und darum sage ich Ihnen ein für allemal, ich will Ihnen weder jetzt die Uhr, noch jemals wieder etwas von der Beute geben, die ich auftreiben werde. Ich habe die Uhr an mich gebracht, und ich will sie tragen. Nehmen Sie Ihre Pistolen, gehen Sie selbst[125] hinaus auf die Landstraße und mästen sich nicht auf andrer Leute Kosten.

Bei diesen Worten ging er trotzig fort und eilte in eine Taverne, wo er verschiedene von seinen Spießgesellen antraf, denen er von allem Nachricht gab, was zwischen ihm und Wild vorgefallen war; er riet ihnen zu gleicher Zeit, seinem Beispiel zu folgen, worin sie ihm denn auch vollkommen recht gaben. Blueskin ließ nun eine ganze Bowle Punsch auftischen, und sie waren eben dabei, auf Wilds Verderben wacker zu zechen, als ein Constabel mit einem zahlreichen Gefolge nebst unserm Helden in das Zimmer trat und Blueskin bei den Ohren nahm, ohne daß seine Spießgesellen es nur gewagt hätten, ihn zu verteidigen: so sehr jagte sie Wilds plötzliche Erscheinung ins Bockshorn. Die Uhr ward bei ihm gefunden, und dies nebst Wilds Aussage war schon hinlänglich, ihm einen Platz in Newgate zu verschaffen.

Gegen Abend trafen sich Wild und alle, die mit Blueskin gezecht hatten, wieder in der Taverne, und alles äußerte die tiefste Unterwürfigkeit gegen unsern Helden. Sie schimpften jetzt ebensosehr auf Blueskin, wie sie zuvor auf Wild geschimpft hatten, und tranken auch ebenso herzlich auf dessen Verderben. Sie sagten einmütig mit unserem Helden, daß man die Uhr bei ihm gefunden, sei die gerechte Strafe für seinen Ungehorsam. So unterdrückte dieser wahrhaft große Mann durch ein zur rechten Zeit gegebenes Exempel eine der gefährlichsten Verschwörungen, die nur in einer Bande entstehen können, und welche gewiß seinen unvermeidlichen Ruin bewirkt haben würde, wenn er ihn nur einen Tag nachgesehen hätte. So notwendig ist es für große Männer, daß sie immer auf ihrer Hut sind und ihre Pläne so schnell wie möglich ausführen, während nur der schwache und ehrliche Mann ungestraft in Ruhe und Trägheit versinken darf.

Achates Fireblood war bei diesen beiden Gelagen zugegen gewesen, und hatte er sich gleich etwas zu voreilig mit dem Strome hinreißen lassen, so kehrte er doch wieder zu seiner Pflicht zurück, sobald er nur sah, daß der ganze schöne Entwurf ins Stocken geriet. Von dieser seiner Treue gab er dadurch einen unbezweifelten Beweis, daß er Wild von allen den Maßregeln unterrichtete, die man gegen ihn genommen. Er sagte zu Wild, er habe sich bloß mit in die Verschwörung eingelassen, um diesen Maßregeln desto besser auf die Spur zu kommen; aber in der Folge erklärte er auf seinem Totenbette, das ist zu Tyburn, er sei damals einer der härtesten und eifrigsten Gegner Wilds gewesen.

Unser Held nahm Firebloods Aussage mit einem sehr gnädigen[126] und ruhigen Gesichte auf. Er meinte, da die Bande ihren Irrtum einsehe und bereue, sei es seine Pflicht, alles zu verzeihen. Aber schrieb er gleich dieser Verzeihung auf die Rechnung seiner Gelindigkeit, so hatte er im Grunde doch ein sehr edles und politisches Motiv dazu. Er überlegte, wie gefährlich es sein würde, so viele mit einem Male zu bestrafen. Ferner schmeichelte er sich, die Furcht werde die übrigen schon im Zügel halten. Überhaupt hatte Fireblood ihm nicht gesagt, was er nicht schon wußte: nämlich, daß sie alle ausgemachte Schurken seien, die sich nur durch Furcht beherrschen ließen, auf die er kein Zutrauen setzen und die er folglich mit der äußersten Vorsicht bewachen müsse. Ein Spitzbube, sagte er, muß wie das Schießpulver mit großer Behutsamkeit behandelt werden; beide können ebensogut denjenigen, der sie zum Verderben anderer gebrauchen will, wie seinen Gegner in die Luft sprengen.

Doch kehren wir jetzt nach Newgate zurück, zumal alle großen Männer in dieser Geschichte mit schnellen Schritten dahin eilen. Die Wahrheit zu gestehen, so ist dieser Ort auch durchaus keine unschickliche Behausung für irgend einen großen Mann. Da wir voraussehen, daß dieser Ort die Szene für den übrigen Teil unserer Geschichte sein wird, so wollen wir sie im folgenden Buche eröffnen und also diese Gelegenheit ergreifen, das dritte Buch zu schließen.[128]

Quelle:
-, S. 123-129.
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